Wozu braucht es eine Veranstaltung wie die Neo.Fashion?
Die Teilnehmer lernen bei uns fürs Leben. Von der Abgabe der Bewerbung über die Erstellung der Kollektion bis hin zur Organisation der Show, die Pressearbeit, der ganze Weg bis zum Termin – das ist eine Erfahrung, die die jungen Designer und Graduates sonst so nicht machen würden.
Ihr versteht Euch als Training fürs Designersein?
Absolut. Wir machen das in erster Linie für die Teilnehmer. Und die Besucher können Fashion Design erleben, das noch komplett frei von Kommerz ist, wo die DesignerInnen sich frei ausdrücken können. Sachen, die sie so woanders nicht sehen. Es ist schon sehr spannend zu erleben, wie sich die jungen Leute beispielsweise mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität auseinandersetzen. Nicht zu vergessen, dass wir zu den wenigen Formaten gehören, wo man sich als modeinteressierter Mensch einfach ein Ticket kaufen kann.
Du bist im Hauptberuf ja Inhaber einer Werbeagentur. Lastet Dich das nicht aus? Wieso engagierst Du Dich für den kreativen Nachwuchs der Modebranche?
Naja. Ich kam 2017 auf einer Veranstaltung eher zufällig in Kontakt zur HTW Berlin. Da entstand die Idee, und wir haben das dann weitergesponnen und einfach mal angefangen. Das hat sich dann irgendwie verselbstständigt. Wir bekommen von den Designern immer wieder die Aufforderung: ‚Macht das doch weiter‘. In diesem September zeigen nun 80 Graduates von zehn Hochschulen und 26 junge Nachwuchsdesigner:innen aus Deutschland, Äthiopien und der Ukraine bei uns ihre Entwürfe und Kollektionen.
Was hast Du als Unternehmer davon? Kann man damit Geld verdienen?
Naja. Die Veranstaltung trägt sich mittlerweile. Nachdem wir nun auch Förderung vom Senat erhalten, zahlen wir wenigstens nicht mehr drauf. Das ist für mich aber auch nicht die erste Motivation. Unser Antrieb ist, den jungen Leuten eine relevante Plattform zu bieten, wo sie sich zeigen können, wo sie Erfahrungen sammeln und Netzwerke spinnen können. Ich selbst komme aus dem Leistungssport (Zehnkampf und Basketball, die Red.), und für mich war es immer wichtig, auf ein Ziel hin arbeiten zu können. ‚Auf der Neo.Fashion zeigen‘ ist für immer mehr Absolventen so ein Ziel.
Wie offen waren die Hochschulen für Deine Idee?
Gar nicht. Die waren skeptisch, weil sowas ja schon öfter versucht wurde. Ich verstehe das. Jede Hochschule in Deutschland hat ja andere Schwerpunkte. Die einen sind eher künstlerisch, die anderen eher industrienah unterwegs. Eine Hochschule in Reutlingen hat eine ganz andere Ausrichtung als etwa die Kunsthochschulen in Bremen oder Berlin. Die Idee, dass zehn Hochschulen ihren Leistungsstand auf einer Veranstaltung gemeinsam präsentieren, das bedeutet ja Wettbewerb. Manche scheuen diesen Vergleich. Aber wie im Sport fördert Wettbewerb auch hier die Leistung. Wenn die Graduierten später in die Industrie gehen oder sich selbstständig machen, müssen sie sich ja ebenso dem Wettbewerb stellen. Deswegen sind wir froh, dass die Hochschulen uns mittlerweile unterstützen. Wir haben inzwischen sogar Netzwerke entwickelt, wo wir uns austauschen und an die Umsetzung von gemeinsam Ideen arbeiten.
Ihr trefft unter den Teilnehmern ja auch eine Auswahl. Wer entscheidet das nach welchen Kriterien?
Das machen die Hochschulen selbst. Sie nominieren ihre besten Graduates für ihre Shows. Und sie schlagen den oder die Beste für unsere Neo.Fashion-Award Show vor, wo eine Jury dann den Preisträger ermittelt.
Wer sitzt in der Jury?
Die Jury wurde vom Fashion Council zusammengestellt. Da ist zum Beispiel Claudia Hofmann vom FGC dabei, Leyla Piedayesh von Lala Berlin, Florian Müller von Müller PR und Sebastian Warschow von Haebmau. Ach ja, und Timo Wolf von H&M. Esther Perbandt hatte letztes Jahr einen Elevator Pitch angeregt: Jeder Designer, jede Designerin hat zehn Minuten Zeit, sich der Jury vorzustellen. Das machen wir dieses Jahr wieder so. Die Graduierten lernen auf diese Weise, sich zu reflektieren und sich richtig darzustellen.
Wie interessiert zeigt sich die Industrie an der Neo.Fashion?
Geht so.
Warum ist das so? Wissen die Unternehmen nur nicht, dass es Euch gibt? Oder hat es mit den gezeigten Entwürfen zu tun, die ja nicht selten eher im Bereich der Kunst und weniger im Kommerz einzuordnen sind?
Ich denke Ersteres. Wir haben es einfach noch nicht geschafft, die richtigen Stellschrauben zu drehen. Wir haben bei uns die 80 besten Nachwuchsdesigner in drei Tagen auf einer Veranstaltung! Diese Tatsache ist vielen in der Industrie, glaube ich, gar nicht bewusst. Die Unternehmen suchen ja kreative Köpfe, die man bei uns sehr wohl identifizieren kann. Wir zeigen im Übrigen viele tragbare Kollektionen.
Studium ist ja meistens nicht so praxisnah. Das ist nicht nur im Modebereich so.
Bilden die Schulen denn nach Deinem Eindruck den Nachwuchs aus, den die Industrie sucht?
Studium ist ja meistens nicht so praxisnah. Das ist nicht nur im Modebereich so. Wenn sich Abiturienten bei mir für eine duale Ausbildung bewerben, dann können die oft noch nicht mal eine Email schreiben, mit korrekter Anrede, förmlicher Verabschiedung und so weiter.
Ist es nicht häufig auch so, dass auf Seiten der Designer falsche Vorstellungen über die Praxis bestehen? Alle wollen Lagerfeld werden, aber wieviele Lagerfelds und Jil Sanders hat Deutschland denn in den vergangenen Jahrzehnten wirklich hervorgebracht?
Wieviele Menschen wollen Profi-Fußballer werden, und am Ende können vielleicht 1000 in Deutschland davon leben. Ich denke, es liegt in der Verantwortung der Industrie, über die Tätigkeiten und Perspektiven zu informieren. Wenn die Industrie hier offensiver kommunizieren würde, wäre viel gewonnen.
Wo steht die Neo.Fashion in fünf Jahren? Hast Du so etwas wie eine Vision?
Es gibt den klaren Wunsch, dass möglichst alle Design-Hochschulen bei uns teilnehmen. Es gibt immer noch welche, die nicht dabei sind. Weil sie nicht wollen oder weil sie finanziell nicht können.
Was kostet denn die Teilnahme?
Eine Teilnahme kostet aktuell 5.000 Euro. Ziel Nummer Zwei wäre es, den Graduierten über unsere Plattform den Berufseinstieg zu ermöglichen, ein Netzwerk aufzubauen, das eine Industrieperspektive eröffnet. Und das auch die Rückkopplung aus der Praxis in die Lehre erlaubt.
Die Industrie und die großen Marken orientieren sich im Talent Sourcing zunehmend international. Denkt Ihr in diese Richtung? Oder seid Ihr eine deutsche Veranstaltung?
Wir haben dieses Jahr Nachwuchsdesigner aus der Ukraine dabei. Wir haben eine Show mit Designern aus Äthiopien.
Ich denke eher an eine Teilnahme von Modenschulen aus London oder Antwerpen.
Natürlich wäre ein Austausch mit diesen angesagten Institutionen super. Aber ich bin dafür, dass wir erstmal hierzulande unsere Hausaufgaben machen. Wir müssen uns hier in Deutschland mit unserer Ausbildung ja nicht verstecken. Ich weiß, dass viele Bachelor-Studenten anschließend international an solchen Unis ihren Master machen. Um auf Deine Frage zurückzukommen: In fünf Jahren sollten wir soweit sein, dass wir ein relevantes Netzwerk und eine wirtschaftlich funktionierende Organisation aufgebaut haben, dann stehen uns die Türen offen.
Fotos: Julie Becquart
Jens Zander ist der Initiator von Neo.Fashion. Die seit 2017 stattfindende Veranstaltung hat sich zum Ziel gesetzt, Plattform und Drehscheibe für die besten Absolventinnen und Absolventen der Modehochschulen und jungen Designtalenten im deutschsprachigen Raum zu sein. Die nächste Neo.Fashion findet vom 6. bis 8. September zur Fashion Week in Berlin statt. Infos gibt's hier.