Obwohl ich sagen würde, dass ich in der Mode auf dem Laufenden bin, muss ich bei manchen Luxusmarken zuerst mal das Internet befragen: Wer designt da gleich noch mal? Designerwechsel bei bekannten Modehäusern waren früher ein großes Ding, aber sind heute irgendwie gang und gäbe. Lange „Berufs-Ehen“ à la Karl Lagerfeld mit Fendi und Chanel – das war einmal. Viele der neuen Kreativdirektoren sind Ende 20, Anfang 30, kommen aus der Streetwear-Szene wie Matthew W. Williams (ganz neu bei Givenchy) oder haben einen der renommierten Preise (ANDAM, LVMH etc.) gewonnen, wie Rushemy Botter und Lisi Herrebrugh (ziemlich neu bei Nina Ricci), die beim Hyères Festival siegten. Manche wie Daniel Lee (seit 2018 bei Bottega Veneta) haben sich über Jahre hinweg bei anderen wichtigen Maisons nach oben gearbeitet. Die Auswahlkriterien variieren je nachdem, was das Modehaus künftig vorhat. Meistens jedoch geht es um Verjüngung.
Umso mehr ließ mich eine Personalie aufhorchen, die kurz vor Weihnachten in der allgemeinen Covid-Lockdown-Diskussion beinahe unterging: Gabriela Hearst übernimmt bei Chloé. Hearst entspricht keinem der derzeit gängigen und oben aufgeführten Auswahlkriterien. Die Designerin aus Uruguay ist 43, hat noch keinen Preis gewonnen und kennt keines der großen Häuser von Innen, sondern steht für Nachhaltigkeit. Sie bevorzugt Naturstoffe und sie möchte Kleider designen, die „Frauen bis ans Ende ihrer Tage tragen können“. Bei ihrem 2015 gegründeten eigenen Label sollen in spätestens zwei Jahren 80% ihrer Kollektion aus recycelten Materialien bestehen. Das ist ein ambitioniertes Ziel.
Hearsts Stil ist elegant, schlicht, zeitlos. Also nicht unbedingt das, was man von Chloé kennt. Auch ist das Pariser Haus nicht gerade für seine Nachhaltigkeit berühmt. Das jedoch soll sich jetzt ändern. Chloé-CEO Riccardo Bellini empfing seine neue Kreativdirektorin mit folgenden Worten: „Wir teilen die Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, aktiv an einer öko-verantwortlichen Zukunft mitzuwirken und Chloé zu neuen Höhen zu führen.“ Hört, hört! Ist das nun Greenwashing? Nein, weil Gabriela Hearst authentisch diese – für Chloé neue – Ausrichtung verkörpert. Genau deshalb ist diese Personalie auch so spannend. Sie passt in unsere Zeit.
Wir stecken derzeit in einer Krise, wie wir sie seit dem zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben. Unsere Zukunft scheint unsicher und virtuell. Wir schwanken zwischen Nostalgie und Depression – auf der Suche nach alten Werten und modernen Lösungen. Welche Art Mode-Designer brauchen wir für diese herausfordernde Zeit? Für welche Werte sollte derzeit ein/e Kreative/r stehen? Mit welchen Themen kann man Kunden überzeugen, in der Post-Pandemie überhaupt noch Mode zu kaufen? Die wichtigsten Business-Schlagworte des Jahres 2020 waren Diversität und Nachhaltigkeit. Beide Themen werden uns auch die nächsten Jahre noch beschäftigen. Doch um sie zu bespielen, braucht es Designer, die solche Werte authentisch vertreten.
Als Kundin achte ich auf Marken-Botschaften. Aber: Den Worten müssen Taten folgen.
Als Kandidaten für Nachhaltigkeit gibt es bereits einige: Stella McCartney gehört zu den Pionieren und steht seit mehr als einem Jahrzehnt mit ihrer veganen Ausrichtung für einen gelebten Wandel in der Mode. Dass LVMH sie als Beraterin engagiert hat, war ein schlauer Zug des Luxuskonzerns. Spencer Phipps erhielt gerade eben von der Pitti Uomo den „Reda x Sustainable Style Award“. Zu Recht, denn der Amerikaner hat seit Gründung seines Labels Phipps beeindruckende Kollektionen aus recycelten Materialien abgeliefert. Bethany Williams gilt nicht umsonst als einer der wichtigsten Nachwuchsdesignerinnen, weil sie – wie auch Shooting-Star Marine Serre – versucht, den ökologischen Impakt ihrer Mode so gering wie möglich zu halten. Alle drei Jungdesigner sind für mich potentielle Kandidaten für höhere Weihen in einem großen Modehaus.
Und in Bezug auf Diversität? Da fällt einem sofort Virgil Abloh, Designer von Off-White und Louis Vuitton Homme, ein. Aber nicht unbedingt wegen seiner Hautfarbe. Der Bauingenieur und Mode-Autodidakt bringt einen interdisziplinären Ansatz in die Mode, der erfrischend anders und modern ist. Seine Kreation ist vorurteilsfrei, und mit seinen zahlreichen Nebenbeschäftigungen als DJ oder Designer für Ikea oder Mercedes schaut er beständig über die Tellerrand. Auch Balenciaga-Designer und Vetements-Gründer Demna Gvasalia, ein Flüchtling aus Georgien, der über Russland nach Deutschland kam und eigentlich Bankier werden wollte, passt in dieses Schema. Oder Sängerin und im Nebenjob Modedesignerin Rihanna, die mit ihrer Wäschelinie Savage x Fenty seit Jahren ein anderes Körperverständnis propagiert und die Body-Positive-Bewegung hoffähig gemacht hat. Zu nennen wäre auch Olivier Rousteign, adoptiert, mit afrikanischen Wurzeln, der heute bei Balmain brilliert und sich Musen sucht, die wie er selbst nicht dem konservativ-gesellschaftlichen Idealbild entsprechen. Er kleidet zum Beispiel Yseult ein. Die Afro-Französin und Sängerin thematisiert ihre Rundungen in ihren Liedern, zeigt sich nackt in Videos, bricht Tabus und steht für mehr Diversität in der Schönheit.
Als Kundin achte ich auf solche Geschichten und Botschaften einer Marke. Sie machen mir ein Label sympathisch oder bewirken, dass ich mich mit ihm identifizieren kann. Damit wiederum steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich vom Fan zum Käufer werde. Aber ganz nach Goethe: Den Worten müssen Taten folgen. Ein unternehmerisches Versprechen für Diversität und Nachhaltigkeit muss mit konkretem Engagement untermauert werden. So habe ich auch mit einer gewissen Genugtuung letzte Woche die Mail von Chloé gelesen, die in meinem Postfach aufpoppte. Sie trägt den Titel: „Für einen positiven Wechsel. Frauen vorwärts für eine nachhaltigere Zukunft.“ Darunter stand detaillierter Vier-Punkte-Plan mit konkreten Maßnahmen, zu was sich Chloé ökologisch und sozial verpflichtet. Genau das wollte ich lesen und habe ich von Gabriela Hearst als neuer Designerin erwartet.