Vor einigen Monaten saß ich im Publikum einer Podiumsdiskussion, ich, hätte man früher gesagt, wohnte ihr bei. Eine Formulierung die ich übrigens nie so recht verstanden habe. Und auch den auf der Bühne in unbequeme, in Sponsorenfarbe bezogene Ikea-Sesselchen gepferchten Moderatoren und Gesprächspartnern schien allenfalls rudimentär klar zu sein, warum man sie mit Mikrofonen verkabelt hatte und was sie dort nun so reinpalavern sollten. Das Thema war, das muss ich leider so salopp sagen weil völlig kryptisch verquast, „irgendwas mit Mode“.
Ohnehin gingen die wenigen Wortfetzen, die in eine allenfalls zu erahnende Richtung mäanderten, im teils erbrochenen Englisch der Teilnehmer unter. Ich will mich hier gar nicht weit aus dem Sprachlabor-Fenster hängen, wobei mich doch immer wieder erstaunt, wie arg Medienmacher, Konzernlenker und andere Tagtäglich-Kommunikatoren nach drei Runden Frage-Antwort-Pingpong bereits an die äußersten Grenzen dieser hassgeliebten globalen Lingua Franca stoßen. So ginge es mir mit Französisch, Spanisch und Bayerisch auch, zweifellos. Nur, liebe Organisatoren solcher Panels, wenn weder der Moderator noch die Interviewten auch nur im Dunkeln und auf drei Meilen Entfernung als native speaker durchgehen können und brachiale Akzente jegliche Verständlichkeit sabotieren, dann gönnt euch eine Dolmetsch-Fachkraft. Ja, ist auch nervig weil den Flow verzögernd, aber alle Beteiligten, die Zuhörer eingeschlossen, haben wenigstens eine Chance, etwas von dem Gesagten mitzunehmen.
Was mich von den praktischen Unwägbarkeiten zu den inhaltlichen Unzulänglichkeiten solcher Runden führt, ohne die ja in der Modebranche kein Zusammensein mehr stattfinden darf. Offenbar. Let’s talk, let’s discuss, let’s Think Tank. So als befinde man sich in einer gigantischen Psychotherapie, in der allein das Sprechen einen ersten seelischen Durchbruch darstellt.
Auch die Aufhänger und der Output bewegen sich kaum über einer sonntäglichen Politik-Talkshow. Früher drosch man auf die böse Fast Fashion ein, dann beklagte man den lausig unterstützten Modestandort Deutschland, führte hitzige Diskussionen über Nachhaltigkeit und schwenkte über in das Minenfeld Diversity. Jetzt treibt man als neuestes rosafarbenes Nutztier die Künstliche Intelligenz über die Podeste und Key-Note-Pulte. Entweder haben die meisten Akteure dabei eine App, Dienstleistung, ein Buch, sich selbst zu verkaufen, oder es gibt so viel wissenschaftlichen Nerd-Content, dass einem schwindelig wird. Meist aber bleibt es bei dem Credo: „Im Seichten kannst du nicht ertrinken“. Binse an Binse, Allgemeinplatz an Allgemeinplatz und reichlich „Vielen Dank für die Aufmerksamkeit“. Nein, ich empfehle mich hier nicht als buchbarer Experte, der das alles besser machen würde. Wobei…
Reden bleibt Silber, Machen ist das wahre Gold.
Mir geht es um zwei Learnings, die Sie bei Gefallen gern mit ins neue Jahr nehmen können. Ansonsten einfach innerhalb von 30 Tagen hier in den Kommentaren retournieren oder umtauschen.
Erstens: Jede große Branchenveranstaltung braucht ein stilles Örtchen. Ein Diskussionspanel ist jedoch weder rechtlich noch moralisch zwingend. Wirklich nicht. Schon gar nicht, wenn eigentlich kaum genug Zeit zur Vorbereitung bleibt, wenn man leidlich geeignete Sponsoren-Vertreter platzieren muss und Unterthemen sowie auch nur entfernt anflantschbare bullet points bereits in unzähligen anderen Talks, Podcasts, Vlogs und, oh ja, Magazinartikeln durchgekaut wurden. Wie in der grünen Mode, so es die denn gibt, gilt auch beim Content: Less is always more.
Zweitens: The revolution will not be panel-ized. So habe ich schon vor über zweieinhalb Jahren eine Kolumne auf profashionals übertitelt. Ich muss wie der Rufer in der Wüste feststellen, dass es außer Heiserkeit wenig gebracht hat. Reden bleibt Silber, Machen ist das wahre Gold. Nehmen wir nur den Komplex Sustainability und Klimaschutz: Kann man die Talks dazu noch zählen? Und Plastikinseln, Polkappen, Arbeitsschutz in Schwellenländern … alles topp jetzt, oder? Überkonsum kein Problem mehr, gewollter Warenüberschuss, Textilmüllberge…. längst erledigt, behoben, weg? Müsste doch, wird seit 15 Jahren rauf und runter diskutiert, oft vor zahlendem Publikum und mit putzigen „Wir retten den Planeten“-Kapseln dazu.
Nicht falsch verstehen. Ich halte mich weder für einen ausgewiesenen Zyniker noch habe ich mir als doomsday prepper bereits Kellervorräte angelegt. Aber wie wir alle wissen: Immer das Gleiche zu erzählen und darin eine neue Wirkung zu vermuten, ist schlicht crazy. Und anstrengend und kostspielig. Gut, vermutlich geht es bei solchen Show-Gesprächen eh nur um ein Gefühl von value for money für Ticketkäufer von Messen, Konferenzen und Summits. Das Panel als Seite Lachs vom Fischmarkt, der bei Großeinkäufen noch gratis mit eingewickelt wird. Nur nützen tut’s halt nichts. Wie die TED-Talks über die Gefahren von Social Media vor zwei Jahrzehnten, wie die diversen Warnungen im Hinblick auf die verführerisch-teuflische AI. Von einer gewissen Wahl in, sagen wir „Süd-Kanada“ kürzlich mal ganz abgesehen. Und was wurde da vorab geredet, gechattet, geTikTokt, geschrieben.
Wenn noch gemütlich gegen Honorar allerorts geplaudert werden kann, dann scheinen die Probleme einfach noch nicht dringend genug zu sein. Dann muss es wohl noch dicker kommen, damit der Reflex „Dazu brauchen wir eine Diskussionsrunde“ für einen anderen übersprungen wird. Jenen, den ich „Wir machen das jetzt einfach“ nennen würde.
Siems Luckwaldt ist seit rund 20 Jahren ein Experte für die Welt der schönen Dinge und ein Kenner der Menschen, die diese Welt möglich machen. Ob in seinem aktuellen Job als Lifestyle Director von Capital und Business Punk, für Lufthansa Exclusive, ROBB Report oder das Financial Times-Supplement How To Spend It.