„Da können Sie mir doch sicherlich preislich noch etwas entgegenkommen, oder?“ Handeln wie auf einem arabischen Bazar, das geht heute auch in der Modeboutique gleich um die Ecke. Früher war solches Feilschen um die Preise schlecht angesehen, heute beweist es das eine gewisse Chuzpe beim Einkaufen. Und unterstreicht unsere Macht als Konsument. Der Kunde ist schließlich König! Oder nicht?
Das überall heute gehandelt wird, liegt natürlich auch daran, dass mit Verschwinden der offiziellen Schlussverkaufsphasen in der Bundesrepublik immer irgendwo irgendein Sales stattfindet. Schnäppchen gibt es nun das ganze Jahr, längst auch im Weihnachtsgeschäft. Dass in Deutschland zur wichtigsten Einkaufszeit des Jahres die Preise fallen, darüber wundern sich sogar unsere internationalen Nachbarn, die zu dieser Zeit nicht nur gute, sondern auch rentable Umsätze machen. Ein weiterer Grund, an den ausgezeichneten Preisen zu zweifeln, ist das Aufkommen der Fast-Fashion-Firmen. Die Anbieter aus Schweden, Spanien, England und neuerdings China leisten ganze Arbeit, um gesetzte Preisgefüge in der Mode durcheinander zu bringen. Kleidung kostete einst ein Vermögen, aktuell oft weniger als eine Tasse Kaffee. Warum sollten wir also mehr zahlen? Wenn es auch billiger geht.
Diese Haltung ist nicht neu, aber sie hat sich in letzter Zeit weiter verbreitet. Und sie steht im krassen Gegensatz zur Konsumeinstellung von vor einigen Jahren. Da diskutierten wir noch über nachhaltiges Shoppen, passend zu unserer (meistens durch Yoga und Meditation) neu erlangten Achtsamkeit und einer Reflexion über übervolle Kleiderschränke, die wir während des Lockdowns bei uns zuhause entdeckten. Der gute Wille war da und wurde für eine gewisse Zeit in Taten umgesetzt. Ökologische Lebensmittelläden und nachhaltige Kleiderprojekte sprießten wie Pilze aus dem Boden und erfreuten sich über regen Zulauf. Doch dann kam die Polykrise, und alles wurde anders.
Plötzlich wollen alle Geld von uns: die Energieversorger, der Tankwart, der Versicherer, die Vermieter und sogar der Bäcker und der Lebensmittelhändler. Die Inflation steigt, die Gehälter nicht. Bei vielen geht es nun ums Eingemachte, aber bei vielen anderen auch ums Prinzip. Die Preise kommen wieder auf den Prüfstand, das eigene Wohl steht wieder über dem des Planeten. Aber das braucht ja keiner wissen. Nach außen hin hält man den hehren, nachhaltigen Werten der letzten Jahre fest. Man kann das Scheinheiligkeit nennen, aber wer würde das schon gerne für sich selbst zugeben wollen.
Besonders deutlich, so beweisen viele Studien, wird dieser Spagat zwischen angeblichem und reellem Verhalten bei der jüngsten Konsumgeneration, der GenZ: Sie gibt sich besonders achtsam und „woke“, aber kauft besonders gern bei Amazon und Shein. Auch Secondhand und Kleider-Mieten überlassen sie eher den Älteren, den Millenials und der GenX. Die sogenannten Babyboomer sind wahrscheinlich keinen Deut besser, nur weniger erforscht. Als künftige, eh auf Sparsamkeit getrimmte Rentner mit übervollen Schränken interessieren sich Konsum-Wissenschaftler weniger für sie.
Im Secondhand-Markt will die Verkäufer-Seite immer mehr haben, die Käufer-Seite aber immer weniger zahlen. Die Preis-Schere geht weiter auf und bringt den zirkulären Kreislauf zum Erliegen.
Der Run auf den billigsten Preis hat natürlich Folgen: Zara machte im ersten Drittel des laufenden Jahres 54 Prozent mehr Gewinn, und das obwohl das Unternehmen in einem seiner wichtigsten Märkte, Russland, die Geschäfte schloss. Der chinesische Ultra-Fast-Fashion-Anbieter Shein hat seinen Umsatz im letzten Jahr verdoppelt und schaffte es auf Anhieb in die Liste der 100 wichtigsten Marken weltweit. Noch vor Zara und H&M. Vinted, der Secondhand-Marktplatz, auf dem man die Shein-Fehlkäufe dann noch billiger wieder losbekommt, gehört zu den Top Five der meist gegoogelten Websites – zusammen mit Amazon und Shein. Auch im Lebensmittel-Handel boomen wieder die Discounter, in denen Eier aus Legebatterien und Fleisch aus Massen-Tierhaltung verkauft werden.
Die Krisen-Gewinnler füllen ihre Kassen, während eine Pleite-Welle den deutschen Mode-Einzelhandel überrollt und zahlreiche Bio-Läden ihre Pforten schließen müssen. Laut TextilWirtschaft haben 2022 über 100 Einzelhändler offiziell Insolvenz angemeldet. Die Dunkelziffer derjenigen Boutiquen, die aufgrund der weggebrochenen Umsätze dicht machen, ist sicherlich um ein Vielfaches höher. Zahlreiche Kleider-Vermieter, alles junge und hoffnungsvolle Start-ups, gaben im Frühjahr dieses Jahres auf. Ihnen fehlen die Investments, die erst bei den Gorillas, Flinks und Konsorten verbrannt wurden und nun bei Shein platziert werden.
Secondhand-Händler, zu denen auch ich gehöre, erleben im Highend-Markt ein neues Phänomen. Da die Preise der Luxusindustrie im gleichen Zeitraum, in dem wir die Gürtel enger schnallen mussten, um sagenhafte 20 bis 30 Prozent gestiegen sind, könnte man erwarten, dass Secondhand im Designermarkt nun boomt. Weit gefehlt! In den Läden und auf den Online-Marktplätzen wird gefeilscht wie noch nie zuvor. Dazu kommt, dass viele Kommissionsgeber erwarten, aufgrund der Preissteigerungen noch mehr für gebrauchten Luxus erzielen zu können. Die Verkäufer-Seite will also immer mehr haben, die Käufer-Seite aber immer weniger zahlen. Die Preis-Schere geht weiter auf und bringt den zirkulären Kreislauf zum Erliegen. Enttäuscht wird die gebrauchte und nicht verkaufte Luxus-Ware vom Markt zurückgezogen, landet wieder in den Schränken, der billigere Neukauf mit fragwürdigen Sozialstandards ersetzt das nachhaltige Secondhand-Shoppen, die Berge voller Textilmüll wachsen weiter und finden keine Abnehmer. Statt in eine bessere Zukunft zu starten, fallen wir in kranke und überholte Strukturen zurück.
Wollen wir das wirklich? Was ist uns Mode wert? Was darf sie kosten? Haben wir überhaupt noch eine Wertschätzung für Kleidung? Welche Preise erscheinen uns korrekt und wo liegt die Untergrenze? Die Antworten sind nicht im Markt zu finden, sondern bei jedem von uns selbst.