Bm clem onojeghuo unsplash

Von wegen nachhaltig

Mit der Polykrise wird nachhaltiges Konsumverhalten zunehmend in Frage gestellt. Der billigste Preis diktiert wieder die Kaufentscheidung. Zugeben möchte das kaum jemand, aber die Fakten aus dem Einzelhandel sprechen für sich. Eine Analyse von Barbara Markert.
Barbara markert
Bar­ba­ra Mar­kert

„Da kön­nen Sie mir doch sicher­lich preis­lich noch etwas ent­ge­gen­kom­men, oder?“ Han­deln wie auf einem ara­bi­schen Bazar, das geht heu­te auch in der Mode­bou­tique gleich um die Ecke. Frü­her war sol­ches Feil­schen um die Prei­se schlecht ange­se­hen, heu­te beweist es das eine gewis­se Chuz­pe beim Ein­kau­fen. Und unter­streicht unse­re Macht als Kon­su­ment. Der Kun­de ist schließ­lich König! Oder nicht?

Das über­all heu­te gehan­delt wird, liegt natür­lich auch dar­an, dass mit Ver­schwin­den der offi­zi­el­len Schluss­ver­kaufs­pha­sen in der Bun­des­re­pu­blik immer irgend­wo irgend­ein Sales statt­fin­det. Schnäpp­chen gibt es nun das gan­ze Jahr, längst auch im Weih­nachts­ge­schäft. Dass in Deutsch­land zur wich­tigs­ten Ein­kaufs­zeit des Jah­res die Prei­se fal­len, dar­über wun­dern sich sogar unse­re inter­na­tio­na­len Nach­barn, die zu die­ser Zeit nicht nur gute, son­dern auch ren­ta­ble Umsät­ze machen. Ein wei­te­rer Grund, an den aus­ge­zeich­ne­ten Prei­sen zu zwei­feln, ist das Auf­kom­men der Fast-Fashion-Fir­men. Die Anbie­ter aus Schwe­den, Spa­ni­en, Eng­land und neu­er­dings Chi­na leis­ten gan­ze Arbeit, um gesetz­te Preis­ge­fü­ge in der Mode durch­ein­an­der zu brin­gen. Klei­dung kos­te­te einst ein Ver­mö­gen, aktu­ell oft weni­ger als eine Tas­se Kaf­fee. War­um soll­ten wir also mehr zah­len? Wenn es auch bil­li­ger geht.

Die­se Hal­tung ist nicht neu, aber sie hat sich in letz­ter Zeit wei­ter ver­brei­tet. Und sie steht im kras­sen Gegen­satz zur Kon­sum­ein­stel­lung von vor eini­gen Jah­ren. Da dis­ku­tier­ten wir noch über nach­hal­ti­ges Shop­pen, pas­send zu unse­rer (meis­tens durch Yoga und Medi­ta­ti­on) neu erlang­ten Acht­sam­keit und einer Refle­xi­on über über­vol­le Klei­der­schrän­ke, die wir wäh­rend des Lock­downs bei uns zuhau­se ent­deck­ten. Der gute Wil­le war da und wur­de für eine gewis­se Zeit in Taten umge­setzt. Öko­lo­gi­sche Lebens­mit­tel­lä­den und nach­hal­ti­ge Klei­der­pro­jek­te sprieß­ten wie Pil­ze aus dem Boden und erfreu­ten sich über regen Zulauf. Doch dann kam die Poly­kri­se, und alles wur­de anders.

Plötz­lich wol­len alle Geld von uns: die Ener­gie­ver­sor­ger, der Tank­wart, der Ver­si­che­rer, die Ver­mie­ter und sogar der Bäcker und der Lebens­mit­tel­händ­ler. Die Infla­ti­on steigt, die Gehäl­ter nicht. Bei vie­len geht es nun ums Ein­ge­mach­te, aber bei vie­len ande­ren auch ums Prin­zip. Die Prei­se kom­men wie­der auf den Prüf­stand, das eige­ne Wohl steht wie­der über dem des Pla­ne­ten. Aber das braucht ja kei­ner wis­sen. Nach außen hin hält man den heh­ren, nach­hal­ti­gen Wer­ten der letz­ten Jah­re fest. Man kann das Schein­hei­lig­keit nen­nen, aber wer wür­de das schon ger­ne für sich selbst zuge­ben wol­len.

Beson­ders deut­lich, so bewei­sen vie­le Stu­di­en, wird die­ser Spa­gat zwi­schen angeb­li­chem und reel­lem Ver­hal­ten bei der jüngs­ten Kon­sum­ge­ne­ra­ti­on, der GenZ: Sie gibt sich beson­ders acht­sam und „woke“, aber kauft beson­ders gern bei Ama­zon und Shein. Auch Second­hand und Klei­der-Mie­ten über­las­sen sie eher den Älte­ren, den Mil­le­ni­als und der GenX. Die soge­nann­ten Baby­boo­mer sind wahr­schein­lich kei­nen Deut bes­ser, nur weni­ger erforscht. Als künf­ti­ge, eh auf Spar­sam­keit getrimm­te Rent­ner mit über­vol­len Schrän­ken inter­es­sie­ren sich Kon­sum-Wis­sen­schaft­ler weni­ger für sie.

Im Secondhand-Markt will die Verkäufer-Seite immer mehr haben, die Käufer-Seite aber immer weniger zahlen. Die Preis-Schere geht weiter auf und bringt den zirkulären Kreislauf zum Erliegen.

Der Run auf den bil­ligs­ten Preis hat natür­lich Fol­gen: Zara mach­te im ers­ten Drit­tel des lau­fen­den Jah­res 54 Pro­zent mehr Gewinn, und das obwohl das Unter­neh­men in einem sei­ner wich­tigs­ten Märk­te, Russ­land, die Geschäf­te schloss. Der chi­ne­si­sche Ultra-Fast-Fashion-Anbie­ter Shein hat sei­nen Umsatz im letz­ten Jahr ver­dop­pelt und schaff­te es auf Anhieb in die Lis­te der 100 wich­tigs­ten Mar­ken welt­weit. Noch vor Zara und H&M. Vin­ted, der Second­hand-Markt­platz, auf dem man die Shein-Fehl­käu­fe dann noch bil­li­ger wie­der los­be­kommt, gehört zu den Top Five der meist gegoo­gel­ten Web­sites – zusam­men mit Ama­zon und Shein. Auch im Lebens­mit­tel-Han­del boo­men wie­der die Dis­coun­ter, in denen Eier aus Lege­bat­te­rien und Fleisch aus Mas­sen-Tier­hal­tung ver­kauft wer­den.

Die Kri­sen-Gewinn­ler fül­len ihre Kas­sen, wäh­rend eine Plei­te-Wel­le den deut­schen Mode-Ein­zel­han­del über­rollt und zahl­rei­che Bio-Läden ihre Pfor­ten schlie­ßen müs­sen. Laut Tex­til­Wirt­schaft haben 2022 über 100 Ein­zel­händ­ler offi­zi­ell Insol­venz ange­mel­det. Die Dun­kel­zif­fer der­je­ni­gen Bou­ti­quen, die auf­grund der weg­ge­bro­che­nen Umsät­ze dicht machen, ist sicher­lich um ein Viel­fa­ches höher. Zahl­rei­che Klei­der-Ver­mie­ter, alles jun­ge und hoff­nungs­vol­le Start-ups, gaben im Früh­jahr die­ses Jah­res auf. Ihnen feh­len die Invest­ments, die erst bei den Goril­las, Flinks und Kon­sor­ten ver­brannt wur­den und nun bei Shein plat­ziert wer­den.

Second­hand-Händ­ler, zu denen auch ich gehö­re, erle­ben im Hig­hend-Markt ein neu­es Phä­no­men. Da die Prei­se der Luxus­in­dus­trie im glei­chen Zeit­raum, in dem wir die Gür­tel enger schnal­len muss­ten, um sagen­haf­te 20 bis 30 Pro­zent gestie­gen sind, könn­te man erwar­ten, dass Second­hand im Desi­gner­markt nun boomt. Weit gefehlt! In den Läden und auf den Online-Markt­plät­zen wird gefeilscht wie noch nie zuvor. Dazu kommt, dass vie­le Kom­mis­si­ons­ge­ber erwar­ten, auf­grund der Preis­stei­ge­run­gen noch mehr für gebrauch­ten Luxus erzie­len zu kön­nen. Die Ver­käu­fer-Sei­te will also immer mehr haben, die Käu­fer-Sei­te aber immer weni­ger zah­len. Die Preis-Sche­re geht wei­ter auf und bringt den zir­ku­lä­ren Kreis­lauf zum Erlie­gen. Ent­täuscht wird die gebrauch­te und nicht ver­kauf­te Luxus-Ware vom Markt zurück­ge­zo­gen, lan­det wie­der in den Schrän­ken, der bil­li­ge­re Neu­kauf mit frag­wür­di­gen Sozi­al­stan­dards ersetzt das nach­hal­ti­ge Second­hand-Shop­pen, die Ber­ge vol­ler Tex­til­müll wach­sen wei­ter und fin­den kei­ne Abneh­mer. Statt in eine bes­se­re Zukunft zu star­ten, fal­len wir in kran­ke und über­hol­te Struk­tu­ren zurück.

Wol­len wir das wirk­lich? Was ist uns Mode wert? Was darf sie kos­ten? Haben wir über­haupt noch eine Wert­schät­zung für Klei­dung? Wel­che Prei­se erschei­nen uns kor­rekt und wo liegt die Unter­gren­ze? Die Ant­wor­ten sind nicht im Markt zu fin­den, son­dern bei jedem von uns selbst.