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It’s the pricing, stupid!

Eine effiziente Organisation ist wichtig. Effizientes Pricing aber mindestens ebenso, sagt Stefan Wenzel. Denn manchmal macht der Verkauf mit einem Rotstiftstrich zunichte, was an anderer Stelle an Optimierungen erarbeitet wurde.
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

Ja, klar, Effi­zi­enz ist das neue Schwarz. Auto­ma­ti­sie­rung und künst­li­che Intel­li­genz statt manu­el­ler Excel-Lis­ten und E‑Mails. Logisch. Und dass vie­le Eck-Büros mit ihren Ana­ly­se-Appa­ra­ten jeden Stein nach Ein­spar­po­ten­zia­len umdre­hen, ist nach­voll­zieh­bar. Vom Pri­cing-Papst Her­mann Simon in sei­nem Buch „Preis­hei­ten” durch­ge­führ­te Modell­rech­nun­gen zei­gen, dass eine Redu­zie­rung der Fix­kos­ten um 5% zu 15% mehr Gewinn in der GuV füh­ren kann. Das will man mit­neh­men.

Und wäh­rend die gan­ze Fir­ma stöh­nend die Fix­kos­ten-Redu­zie­rung hebt, geben die Kol­le­gIn­nen in Mar­ke­ting, Sales oder Mer­chan­di­sing flei­ßig Rabat­te. 15% für die News­let­ter-Anmel­dung, 30% Son­der-Sale, 50% auf alles außer Tier­nah­rung. Die Abschrif­ten­quo­te dürf­te bei vie­len Mode-Fir­men nicht sel­ten bei 20 bis 30% lie­gen. Ech­te Abschrif­ten wer­den von oben viel­leicht noch frei­ge­ge­ben. Mar­ke­ting-Rabat­te kom­men aber aus einem gro­ßen, ande­ren Topf, den man an ande­rer Stel­le ein­ge­plant hat. Also machen die Teams mun­ter drauf los.

War­um ist das ein Pro­blem und was hat das mit Effi­zi­enz zu tun?

Die wenigs­ten sind sich im Kla­ren, wie stark der Preis-Hebel auf das Fir­men-Ergeb­nis wirkt. Sonst wür­den CEOs nicht die wir­kungs­frei­en Out-of-Home Moti­ve höchst­per­sön­lich abseg­nen, son­dern die Preis­re­du­zie­run­gen. Ver­kauft man einen Arti­kel zum Bei­spiel für 80 statt 100 EUR, redu­ziert sich bei glei­chem Absatz das Ergeb­nis nicht um 20%, nach Prof. Simons Mus­ter­rech­nung hal­biert es sich. Ja, der Gewinn hal­biert sich! Um auch nur den­sel­ben Gewinn wie zu vol­lem Preis zu machen, müss­te sich der Absatz ver­dop­peln. Ja, ver­dop­peln. Wie oft hat man aber eine Ver­dop­pe­lung des Absat­zes bei einer 20%-Rabatt-Aktion gese­hen?

Der dra­ma­tisch star­ke Hebel des Prei­ses auf die GuV wirkt natür­lich in bei­de Rich­tun­gen. Eine Ver­bes­se­rung der Prei­se um 5% führt in der­sel­ben Modell­rech­nung zu 50% mehr Gewinn – wäh­rend die Teams an der Redu­zie­rung der Fix­kos­ten um 5% für 15% mehr Ergeb­nis arbei­ten. Der rea­li­sier­te Preis ist also der stärks­te Hebel auf das Ergeb­nis einer Fir­ma. Das soll­te man vor Augen haben, wenn man Prio­ri­tä­ten für die Ver­bes­se­rung des Ergeb­nis­ses dis­ku­tiert. Das Teu­ers­te ist nicht sel­ten, was man nicht macht.

Mit zwei Lösungs­an­sät­zen zum The­ma Preis soll­te man sich beschäf­ti­gen: ers­tens mit intel­li­gen­ter Preis­set­zung und zwei­tens an der Erhö­hung der Zah­lungs­be­reit­schaft.

Bei intel­li­gen­ter Preis­set­zung oder ‘Dyna­mic Pri­cing’ kommt Tech­no­lo­gie zum Ein­satz, die einen opti­ma­len Preis bestimmt. Wochen­tag, Uhr­zeit, Wet­ter, Aktio­nen des Wett­be­werbs – Unter­schied­lichs­tes wird im Modell berück­sich­tigt. Pri­mus Ama­zon ändert mut­maß­lich jeden Tag ca. 250 Mil­lio­nen, im Schnitt alle 10 Minu­ten je Arti­kel.

Die reflexartige Reaktion vieler Anbieter ist, dass konsistente Preise über alle Touchpoints Teil einer sorgfältigen Markenführung sind. Das ist nicht zwangsläufig so.

So selbst­ver­ständ­lich Dyna­mic Pri­cing für digi­ta­le Händ­ler ist, so sehr frem­deln tra­dier­te Händ­ler und Mar­ken mit dem Kon­zept. Dabei wun­dern sich die Preis­ver­ant­wort­li­chen in den Fir­men nach der Ein­füh­rung intel­li­gen­ten Pri­cings nicht sel­ten über mehr Umsatz bei zeit­gleich höhe­ren Deckungs­bei­trä­gen.

Bei Com­mo­di­ty-Sor­ti­men­ten lässt sich durch Dyna­mic Pri­cing auto­ma­ti­siert sicher­stel­len, dass der eige­ne Shop wett­be­werbs­fä­hig preist – in gesetz­ten Leit­plan­ken und Gren­zen. Wett­be­werbs­fä­hig­keit klingt viel­leicht nicht beson­ders span­nend, bei aus­tausch­ba­ren Sor­ti­men­ten geht es aber nun ein­mal genau dar­um. Zuge­ge­ben span­nen­der ist intel­li­gen­te Preis­set­zung bei eige­nen, nicht aus­tausch­ba­ren Pro­duk­ten. Auch hier hel­fen Algo­rith­men, einen bes­se­ren Schwarz-Preis zu bestim­men und kon­ti­nu­ier­lich den opti­ma­len Preis zu set­zen. Und zwar opti­mal mit Hin­blick auf defi­nier­te Zie­le – von Absatz, Umsatz, Deckungs­bei­trag bis Bestands­re­du­zie­rung oder einem gewich­te­ten Mix aus all dem.

Die reflex­ar­ti­ge Reak­ti­on vor allem vie­ler Her­stel­ler, ist, dass kon­sis­ten­te Prei­se über alle Touch­points Teil einer sorg­fäl­ti­gen Mar­ken­füh­rung sind. Und so bie­tet man Ware in den sta­tio­nä­ren Läden, an allen Stand­or­ten, im eige­nen Online-Shop und auf allen Platt­for­men zum sel­ben Preis an. Omnich­an­nel eben. Der Who­le­sa­le macht zwar par­al­lel, was er möch­te. Geschenkt. Abge­run­det wird der Ansatz dann wie­der­um mit unter­schied­li­chen Sale-Pha­sen und ‑Inhal­ten, in denen die immer zu hohen Res­te mit hohen Rabat­ten in den Markt gedrückt wer­den. Omnich­an­nel eben. Was sagt eigent­lich die Mar­ken­füh­rung dazu?

Ins­ge­samt ist dies also ein teu­rer Reflex hin­ter dem Fei­gen­blatt von Omnich­an­nel, zu dem sich kei­ne belast­ba­ren Daten zur betriebs­wirt­schaft­li­chen Vali­die­rung fin­den las­sen. Alter­na­tiv lie­ße sich die Zah­lungs­be­reit­schaft je Kanal, Touch­point und Platt­form indi­vi­du­ell opti­mal aus­schöp­fen. Zur Erin­ne­rung: Nur 5% durch­schnitt­li­che Preis-Ver­bes­se­rung füh­ren im Modell bereits zu 50% mehr Gewinn. Wenn die Zah­lungs­be­reit­schaft in Köln für ihre Pro­duk­te oder Ser­vices höher ist als in Mün­chen, war­um dann ent­we­der Deckungs­bei­trag in Köln lie­gen las­sen oder in Mün­chen auf den Bestän­den sit­zen blei­ben? Oder wenn die Zah­lungs­be­reit­schaft auf Zalan­do höher ist als im eige­nen Shop, war­um auf die­sen Deckungs­bei­trag ver­zich­ten? Ist das Omnich­an­nel?

Während intelligentes Pricing die vorhandene Zahlungsbereitschaft besser ausschöpft, ist die Steigerung der Zahlungsbereitschaft als solches ein weiterer, viel zu selten diskutierter Hebel.

Wäh­rend intel­li­gen­tes Pri­cing also die vor­han­de­ne Zah­lungs­be­reit­schaft bes­ser aus­schöpft, ist die Stei­ge­rung der Zah­lungs­be­reit­schaft als sol­ches ein wei­te­rer, viel zu sel­ten dis­ku­tier­ter Hebel. In Per­fek­ti­on kann man dies bei Luxus-Mar­ken sehen. Letzt­lich ist aber in jeder Kate­go­rie und in jedem Preis­seg­ment der Grad der Bedeu­tung und Beloh­nung ent­schei­dend für die Bereit­schaft, mehr zu zah­len.

Han­dels­üb­li­ches Was­ser in Weiß­blech­do­sen zu hohen Prei­sen? Das klingt mehr nach einem Scherz als einer guten Geschäfts­idee. Wenn aber die rich­ti­gen Influen­cer das Gan­ze ‘Liquid Death’ nen­nen und damit eine Mar­ke mit viel Pro­jek­ti­ons­flä­che für ihre Ziel­grup­pe auf­la­den, so ent­steht über Nacht eine vom Waren­wert völ­lig ent­kop­pel­te Zah­lungs­be­reit­schaft und drei­stel­li­ge Mil­lio­nen-Umsät­ze. App­les Kun­den sind bereit, 200 EUR für einen Blue­tooth-Kopf­hö­rer zu zah­len. Und zwar geschätz­te 100 Mil­lio­nen mal letz­tes Jahr. Das macht einen Jah­res­um­satz von ca. 20 Mrd. EUR. Nur mit Air­Pods. Rabat­te? Fehl­an­zei­ge. Ent­spricht der Ver­kaufs­preis dem Waren­wert? Nein. Es geht eben um Zah­lungs­be­reit­schaft.

Aber auch auf der tak­ti­schen Ebe­ne wird Zah­lungs­be­reit­schaft beein­flusst. Die Appe­tit machen­de Insze­nie­rung des Pro­dukts oder des Ser­vices, die anre­gen­de Qua­li­tät der Foto­gra­fie, die akti­vie­ren­de Beschrei­bung der Eigen­schaf­ten des Pro­dukts und wel­chen Mehr­wert die­se ver­lei­hen, wie sie Kun­den bei ihrer Mis­si­on hel­fen. Das alles sind Hebel, durch Bedeu­tung und Beloh­nung Zah­lungs­be­reit­schaft jen­seits vom Ver­kaufs­preis zu kre­ieren. Auch in Zei­ten ins­ge­samt schwä­che­rer Nach­fra­ge.

Die Kunst ist die inhalt­li­che Dekon­struk­ti­on des abs­trak­ten Phä­no­mens der Zah­lungs­be­reit­schaft und die kon­se­quen­te Arbeit dar­an. Das ist eine grund­le­gen­de Auf­ga­be der Mar­ken­füh­rung und eine loh­nen­de Auf­ga­be für die Mar­ke­ting- und Pro­dukt-Teams und allen vor­an der C‑Suite auf der Suche nach (noch mehr) Effi­zi­enz. Auch wenn es nicht alles kurz­fris­tig wirkt, die Grö­ße des Hebels spielt auch eine Rol­le: Die bes­te Zeit, einen Baum zu pflan­zen, war vor 20 Jah­ren. Die zweit­bes­te Zeit ist jetzt.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­­­­view- und Pod­­­­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel