Should I stay or should I go? Für Jörg Wuttke ist das keine Frage. China, das machte der Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking klar, ist für die Wirtschaft viel zu wichtig. 6,4 Millionen Container gehen im Jahr aus China in Richtung Europa, lediglich 1,6 Millionen gehen in die Gegenrichtung. "Wir sind nicht so sehr abhängig von China, wie China von uns abhängig ist." Auch investiere das Land mehr in der EU als die EU derzeit im Reich der Mitte. Natürlich träten die Chinesen zurzeit sehr rauhbeinig auf, so Wuttke, getreu der Devise von Präsident Xi, nach der die Welt abhängig werden müsse von China, China aber unabhängiger von der Welt. De-coupling dürfe trotzdem kein Thema sein, so Wuttke, auch wenn 5% der Unternehmen derzeit konkret beabsichtigen, dem Markt den Rücken zu kehren. Vielmehr gehe es um Diversifikation und Streuung der Aktivitäten. "De-risking ist das neue Catchword."
"Ohne China geht nichts", machte auch Thomas Hebestreit klar, der mit seiner Royal Spirit Group seit Jahrzehnten in Asien Geschäfte macht. "Eine Taiwan-Krise würde zum Systemausfall der gesamten Branche führen." Das wäre nicht verkraftbar. Vom viel diskutierten Nearshoring ist Hebestreit nicht überzeugt Wegen der durch den Ukrainekrieg verteuerten Osteuropa-Produktion werde Asien-Sourcing künftig sogar wieder wichtiger. Davon profitierten für Anfangspreislagen Bangladesch und Pakistan und im wertigeren Bereich China und Vietnam. Die Türkei, einer der Hauptprofiteure der Lieferkettenkrise, bleibe als Beschaffungsmarkt wichtig.
"Ein Trend zum Nearshoring ist für mich nicht wirklich erkennbar", sagt auch Setlog-Vorstand Ralf Düster. Die Europäer würden in China von der Abwanderung vieler Amerikaner profitieren.
Seidensticker-COO Horst Gersmeyer sieht die Corona-Zeit im Rückblick mit Churchill: "Never waste a good crisis." Was er gelernt habe? "Wir tun gut daran, auf die letzte Effizienz zugunsten von Resilienz zu verzichten."
Agilität und Flexibilität seien in der Lieferkette künftig wichtiger denn je, sagt s.Oliver-COO Oliver Hein. Transparenz über den gesamten Prozess sei dafür entscheidend. "Das Nicht-Teilen von Informationen ist nicht mehr zeitgemäß."
Flexible und resiliente Prozesse seien in unkalkulierbaren Zeiten auch in der Intralogistik entscheidend, so Jennifer Beuth vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Sie stellte neue, robotergestützte Systeme für die Lagerlogistik vor, die die Automatisierungslücke zwischen manueller und vollautomatisierter Abwicklung überbrücken helfen sollen. "Die Planung solcher Systeme wird zunehmend komplex. Eine fundierte Datenanalyse bietet hier immer noch die beste Grundlage für Entscheidungen."
"Früher haben die Kunden um November ihre Skiausrüstung gekauft. Heute warten sie bis Februar und entscheiden dann, ob sie kaufen oder doch leihen." Aus Sicht des Logistikers ist die immer unberechenbarere Nachfrage eine Herausforderung, wie Ronny Hirth (SportScheck) erklärte. "Online können wir sofort reagieren. Stationär ist es anders, da liefern wir die Skier im Oktober in die Läden, und dann stehen die da."
Retraced-Co-Gründer Lukas Puender erklärte, wie enge Kollaboration in globalen Lieferketten möglich wird. "Themen wie Nachhaltigkeit sollten nicht bloß im Nachhaltigkeitsteam liegen, sondern bei jedem Glied der Kette."