Es hatte sich angekündigt, die Nachrufe lagen spätestens nach dem letzten Chanel-Defilee in den Schubladen. Als es diesen Dienstag dann soweit war, war es trotzdem ein Schock. Karl Lagerfelds Tod löste eine unfassbare Trauer aus, weit über das Modebusiness hinaus. Lagerfeld war eben nicht nur ein Designer, Fotograf und Illustrator, sondern auch ein begnadeter Entertainer und eine ikonische Marke – wahrscheinlich der größte Pop-Star, den Deutschland zuletzt hatte, und dazu musste er noch nicht einmal singen können. Dass Karl nicht mehr da ist, fühlte sich für viele fast an, als sei ein naher Angehöriger gestorben; erstaunlich genug bei einem Menschen, der erklärtermaßen wenig Wert auf familiäre Bindungen gelegt hat.
Es war wie bei Lady Di: Am Mittwoch gab es kaum eine Zeitung ohne Huldigung auf Seite 1. „Der letzte Kaiser“, titelte der Figaro. „Lagerfeld se defile“ (Lagerfeld verdrückt sich) die Libération. „Ein Genie der Freiheit“, nannte ihn die Welt, von „Gott in Frankreich“ schwärmte die TAZ. Und Bild vermutet, dass die Engel im Himmel jetzt Chanel tragen. „Mit ihm ist die Mode, wie sie einmal war, gestorben“, kommentierte Tanja Rest in der SZ. Und Alfons Kaisers Nachruf in der FAZ („Der letzte Modeschöpfer“) löste in Facebook einen Lovestorm aus. Der Kiosk wird nachziehen: Paris Match kündigte 26 Sonderseiten an, der Stern gar eine komplette Sonderausgabe. So sorgt Lagerfeld ein letztes Mal für gute Geschäfte.
Das Who-is-who der internationalen Modeszene huldigte dem „Giganten“ (Anna Wintour), der „Ikone“ (Donatella Versace), dem „großen Inspirator“ (Bernard Arnault), dem „Unsterblichen“ (Jean-Charles de Castellbajac), „meinem Fels“ (Carine Roitfeld). Nur wenige scherten aus dem Reigen der Superlative heraus, Claudia Schiffer fast schon poetisch: „Karl war mein Feenstaub, er verwandelte mich von einer schüchternen Deutschen in ein Supermodel. Er ist die einzige Person, die Schwarz und Weiß bunt machen kann.“ Alexa Chung bedankte sich noch einmal für den Trockenshampoo-Tipp (das hätte Lagerfeld wahrscheinlich gefallen). Und die chinesische Schauspielerin Zhou Xun tröstet uns mit den Worten: „Das Leben ist kurz, Stil unsterblich.“
Natürlich meldeten sich auch die deutschen Kreativen zu Wort. „Wegen Karl bin ich überhaupt Modedesigner geworden“, sagte Michael Michalsky. „Jetzt fehlt mir ein Teil von mir selbst.“ Hoffentlich nichts Schlimmes. Wolfgang Joop schafft gar einen pathetischen Konnex zum Klimawandel: Lagerfelds Tod sei für ihn „wie der große letzte Eisblock in der Antarktis, der abgebrochen ist“. Für Patricia Riekel war Lagerfeld "der letzte 'weiße Elefant' im Modebusiness".
Ein Toter kann sich nicht vor Vereinnahmung schützen. „Karl Lagerfeld war Paris“, verkündete die Pariser Bürgermeisterin, der Hamburger Bürgermeister betrauerte den Verlust eines „außergewöhnlichen Hanseaten“. Selbst die französische Gelbwesten-Bewegung reklamierte, Lagerfeld sei einer von ihnen gewesen, nur weil er sich bei der Einführung der Sicherheitsbekleidung als Testimonial zur Verfügung gestellt hatte. Von Christian Lindner über Toni Kroos bis hin zu Veronika Ferres, Verona Pooth und Til Schweiger fühlte sich jeder zu Wortmeldungen aufgerufen. So sonnt sich die Medienprominenz im Lichte eines Verblichenen. Da reicht es schon wie Caro Daur darauf hinzuweisen, dass man ja auch in Hamburg geboren sei.
Manche haben es freilich zu weit getrieben. So löste Oliver Pocher mit einer Lagerfeld-Karnevals-Verkleidung einen Shitstorm aus. Und PETA wurde im Web beschimpft, nachdem sich die Tierrechtsorganisation über das Ende der Pelz-Epoche gefreut hatte, das mit Lagerfelds Tod besiegelt sei.
Entscheidend ist nun nicht nur, was aus Choupette wird; auch diese Frage beschäftigt die Öffentlichkeit natürlich, manche Medien wollen erfahren haben, dass Lagerfeld seine Katze als Erbin seines Vermögens eingesetzt habe. Wirklich wichtig ist die Frage, was aus den Unternehmen wird, für die Lagerfeld stand.
Die gleichnamige Marke soll vom bisherigen Design Director Hun Kim in Kooperation mit Ex-Vogue-Chefredakteurin Carine Roitfeld weitergeführt werden. Die Zusammenarbeit mit der früheren Vogue-Chefredakteurin war erst vor drei Wochen verkündet worden.
Und dann ist da natürlich vor allem das 9 Milliarden-Imperium der Familie Wertheimer. Dass Chanel jetzt von Lagerfelds bisheriger rechter Hand Virginie Viard kreativ verantwortet werden soll, ist eine kluge Entscheidung. Damit ist für Kontinuität gesorgt. Ein externer Designer-Star hätte kurzfristig Wirbel gemacht, für die Marke aber ein Risiko bedeutet. Es reicht, dass Hedi Slimane Dior, Saint Laurent und Celine zu Hedi Slimane gemacht hat.
Mehr als der kreative Inputgeber wird Chanel möglicherweise der große Kommunikator fehlen. Lagerfeld wusste, wie man die Medien bedient. Auch wenn er damit natürlich in erster Linie sich selbst als Brand positionierte, strahlten sein Esprit und seine Modernität dennoch auf die altehrwürdige Marke ab und brachten sie immer wieder neu ins Gespräch.
Karl Lagerfeld wird allerdings nicht nur Chanel fehlen.
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