Passiert large

Schwimmwesten bei Benetton. Politik bei Gucci. Pinkwashing bei Primark und H&M.

XVer­kauft Benet­ton neu­er­dings Schwimm­wes­ten? Natür­lich nicht. Das Foto aus dem Mit­tel­meer ist bloß Wer­bung… Das Flücht­lings-Motiv, das Benet­ton dop­pel­sei­tig in ita­lie­ni­schen Tages­zei­tun­gen geschal­tet hat, hat die gewünsch­te Auf­merk­sam­keit erzeugt. Die Ita­lie­ner knüp­fen damit an die „Skan­dal­wer­bung“ an, mit der sie in den 90er Jah­ren für Furo­re sorg­ten. Arbei­te­ten sich vor 20 Jah­ren noch die Feuil­le­tons an der Zweck­ent­frem­dung von Rekla­me ab, bricht heut­zu­ta­ge gleich ein Shit­s­torm los. „Was will uns Benet­ton damit sagen?“, fragt einer in einem Forum. „Sie freu­en sich schon auf bil­li­ge Lohn­skla­ven, um ihre Lei­berl in Ita­li­en zu nähen anstatt in deren Her­kunfts­län­dern?“ Posi­tiv könn­te man ver­mer­ken, dass Benet­ton damit auf ein gesell­schaft­lich rele­van­tes The­ma hin­ge­wie­sen hat. Die Flücht­lings­kri­se ist aller­dings zur­zeit auch so omni­prä­sent. Sicher ist nur, dass hier mit mini­ma­lem Auf­wand maxi­ma­le Auf­merk­sam­keit erzeugt wird. Nicht ein­mal das Foto ist selbst gemacht. Mit eini­gem Recht hat sich die betrof­fe­ne Flücht­lings­or­ga­ni­sa­ti­on SOS Médi­ter­ra­née des­halb von der kom­mer­zi­el­len Instru­men­ta­li­sie­rung der huma­ni­tä­ren Kata­stro­phe distan­ziert.

Dass ein Lega Nord-Poli­ti­ker ver­kün­det hat, jetzt nie mehr Benet­ton tra­gen zu wol­len, wird Lucia­no Benet­ton ver­schmer­zen.  Eher jeden­falls als den 180 Mil­lio­nen-Rekord­ver­lust, den sein Unter­neh­men eben­falls die­se Woche ver­mel­den muss­te. Ob es Zufall ist, dass Benet­ton zeit­gleich sei­ne Kam­pa­gne lan­ciert? Und ob der Rück­griff auf 90er Jah­re-Kon­zep­te in einem völ­lig ver­än­der­ten Markt­um­feld die Ret­tung bringt? Zumal schon damals umstrit­ten war, ob die Wer­bung Benet­ton nutzt oder scha­det.

Als Oli­vie­ro Tos­ca­ni Moti­ve wie den Aids-Kran­ken, das Neu­ge­bo­re­ne oder die Todes­zel­len­in­sas­sen pla­ka­tie­ren ließ, schrie­en alle noch Skan­dal. Dass wir uns an die Benet­ton-Fotos heu­te noch erin­nern, zeigt zugleich, wie stark sie wirk­ten. Nun ist Tos­ca­ni in ers­ter Linie ein Pro­vo­ka­teur. Des­we­gen scheut man sich, ihn einen Pio­nier zu nen­nen. Aber mit der The­ma­ti­sie­rung von Gesell­schafts­po­li­ti­schem zu Mar­ke­ting­zwe­cken war er tat­säch­lich sei­ner Zeit vor­aus.

Heu­te, 20 Jah­re spä­ter und vor dem Hin­ter­grund von social media-getrie­be­ner Radi­ka­li­sie­rung und Pola­ri­sie­rung ist das ein Trend gewor­den. Fröh­li­cher Hedo­nis­mus ist out oder zumin­dest kein Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­mal mehr. Um für die umwor­be­nen Mil­le­ni­als rele­vant zu sein, müs­sen Mar­ken heu­te offen­bar Sinn stif­ten. Und da macht es sich natür­lich gut, wenn ein Label neben dem rech­ten Style auch noch eine kon­sens­fä­hi­ge Bot­schaft trans­por­tiert.

Wenn Dior-Mache­rin Maria Gra­zia Chi­uri T‑Shirts mit femi­nis­ti­schen Paro­len über den Lauf­steg schickt oder Karl Lager­feld für Cha­nel eine Demons­tra­ti­on simu­liert, dann ist das frei­lich eine bil­li­ge Pose und viel­leicht auch nur ein Kom­men­tar zu den Zeit­läuf­ten. Und wenn der Meis­ter sich zu Ange­la Mer­kel aus­lässt, spricht Lager­feld für sich und nicht für Cha­nel. Das wür­de Fami­lie Wert­hei­mer ver­mut­lich nicht gou­tie­ren.

Ganz anders Ales­san­dro Miche­le, der Guc­ci bewußt poli­tisch posi­tio­niert. Mit den Hör­saal-Anzei­gen­mo­ti­ven zum 68er Jubi­lä­um traf Guc­ci voll den Zeit­geist. Als Emma Gon­za­lez ihre Trä­nen­re­de nach dem Schul­mas­sa­ker in Park­land hielt, spen­de­te das Unter­neh­men spon­tan eine hal­be Mil­li­on an die Anti-Waf­fen-Lob­by. Anfang Juni schließ­lich ging die Equi­li­bri­um-Web­site online, auf der Guc­ci künf­tig für sozia­le Initia­ti­ven trom­meln will. Den Anfang mach­te Ste­fa­no Funa­ri mit sei­ner Initia­ti­ve „I was a Sari“, die benach­tei­lig­te Frau­en in Mum­bai unter­stützt.

Man kann sich natür­lich fra­gen, was die Nähe­rin­nen in Indi­en mit Guc­ci-Addicts wie Ale­xa Chung oder Jared Leto zu tun haben. Für so eine Jet Set Brand ist der Glaub­wür­dig­keits-Spa­gat zwi­schen ver­schwen­de­ri­schem Gla­mour und gutem Gewis­sen natür­lich beson­ders schwie­rig. Wenn Ales­san­dro Miche­le und sein CEO Mar­co Biz­zar­ri es ernst mein­ten, könn­ten sie auch vor der eige­nen Haus­tür anfan­gen und sich der aus­ge­beu­te­ten Chi­ne­sin­nen in Pra­to anneh­men. Letzt­lich geht es aber wohl auch nicht dar­um, Guc­ci zum grü­nen Label zu machen. Son­dern Beru­hi­gungs­pil­len zu ver­tei­len, die den Kauf der über­teu­er­ten Pro­duk­te legi­ti­mie­ren.

In wel­ches Minen­feld man sich als Mar­ke mit poli­ti­scher Posi­tio­nie­rung begibt, zeigt sich eben­falls die­se Woche. So lau­fen LGBTQ-Orga­ni­sa­tio­nen Sturm gegen H&M oder Pri­mark. Der Vor­wurf: Die Mar­ken nutz­ten die zum Pri­de-Monat auf­ge­leg­ten Kap­sel­kol­lek­tio­nen zu Geschäf­te­ma­che­rei und Pink­wa­shing. Dass bei Pri­mark 20% und bei H&M 10% des Umsat­zes an Lob­by­or­ga­ni­sa­tio­nen gehen, inter­es­siert da nicht wei­ter. Im Fall von Pri­mark wird im Gegen­teil bemän­gelt, dass das Geld an die fal­sche NGO geht. Und bei­de wer­den kri­ti­siert, weil sie die T‑Shirts in homo­pho­ben Län­dern wie Chi­na, Ban­gla­desch, Myan­mar und der Tür­kei pro­du­zie­ren las­sen.

Mar­ken, so sieht es aus, wer­den es künf­tig nie mehr allen recht machen kön­nen.

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