Tlurz

„In der Krise zeigt sich der Champion“

„Die Bereitschaft, sich zu quälen, das macht sicher den Unterschied aus zwischen dem, der ganz oben steht, und den anderen“, sagt Thomas Lurz. Der 45jährige gehört mit zwölf Weltmeistertiteln im Freiwasserschwimmen zu den erfolgreichsten deutschen Athleten überhaupt. Seit 2019 ist er der HR-Director von S.Oliver.

Sie sind mit zwölf Welt­meis­ter­ti­teln einer der erfolg­reichs­ten deut­schen Schwim­mer aller Zei­ten. Wie­so haben Sie sich sei­ner­zeit gera­de die­sen Sport aus­ge­sucht?

Aus­dau­er­sport war ein­fach mein Talent. Das hat sich in jun­gen Jah­ren schon her­aus­ge­stellt. Ich habe die Fähig­keit, mich pla­gen zu kön­nen, da ist man für so einen Aus­dau­er­sport prä­de­sti­niert. Es ist wie im Berufs­le­ben: Man muss Stär­ken und Schwä­chen ken­nen, um den Mit­ar­bei­ter oder den Ath­le­ten best­mög­lich ein­set­zen zu kön­nen. Ich bin nicht an der Lang­stre­cke hän­gen geblie­ben, weil ich es so toll fand, 25 Kilo­me­ter zu schwim­men.  Der Erfolg hat mich moti­viert.

Hät­ten Sie Bun­des­li­ga gespielt, wären Sie jetzt womög­lich reich und könn­ten Bay­ern Mün­chen trai­nie­ren.

Lang­stre­cken­schwim­men ist natür­lich nicht so popu­lär und finan­zi­ell attrak­tiv. Über die Jah­re war das schon okay, aber man macht das letzt­lich nicht fürs Geld. Die Teil­nah­me an Olym­pi­schen Spie­len ist aller­dings etwas, das sie sich nicht erkau­fen kön­nen. Das geht nur durch per­sön­li­che Leis­tung.

Nagt es rück­bli­ckend an Ihnen, dass Ihnen Olym­pi­sches Gold ver­sagt blieb? 

Ganz klar. Ich wäre natür­lich ger­ne Olym­pia­sie­ger gewor­den. Es hat für Sil­ber und Bron­ze gereicht, es wäre schon noch schön gewe­sen, das zu kom­plet­tie­ren. Ich den­ke aber, dass ich für mei­ne Ver­an­la­gung das Bes­te aus mir her­aus­ge­holt habe. Ich war nie das Super-Talent, bin kei­ne 1,90 Meter groß, war nie Deut­scher Jugend­meis­ter. Dafür habe ich es beacht­lich weit gebracht. Aber am Ende brauchst Du halt auch das Quent­chen Glück und die rich­ti­ge Tages­form.

War­um haben Sie sich nach ihrer akti­ven Zeit für eine Kar­rie­re im HR-Manage­ment ent­schie­den?

Ich woll­te eigent­lich Fran­chi­see wer­den eines gro­ßen Sys­tem­gas­tro­no­mie­be­trei­bers. Sie wer­den wis­sen, wen ich mei­ne. Ich habe dann aber Bernd Frei­er ken­nen­ge­lernt. Der hat sich wahr­schein­lich gedacht, der Lurz hat im Schwim­men was erreicht, der muss auch sonst was drauf­ha­ben. Und so bin ich bei S. Oli­ver ein­ge­stie­gen, zunächst in ver­schie­de­nen Funk­tio­nen in der Per­so­nal­ent­wick­lung, par­al­lel habe ich mei­nen MBA an der WHU gemacht, war dann drei Jah­re Assis­tent des Inha­bers, und schließ­lich wur­de 2019 der Pos­ten des HR-Direc­tors frei.

“Führung ist in der Krise total relevant. Mitarbeiter verstehen auch unangenehme Entscheidungen, wenn diese gut begründet sind.”

Was ist anstren­gen­der: Zwölf Jah­re auf Welt­meis­ter­schaf­ten trai­nie­ren? Oder fünf Jah­re Per­so­nal­chef von S Oli­ver zu sein?

(lacht) Das nimmt sich tat­säch­lich nicht so viel. Seit­dem ich das mache ist Kri­sen­ma­nage­ment ange­sagt, mit allem was dazu gehört. Da habe ich per­sön­lich viel gelernt.

Sie haben eine ziem­lich auf­re­gen­de Zeit in Rot­ten­dorf mit­ge­macht: Coro­na und die Lock­downs, dann der Wech­sel von Claus Diet­rich Lahrs zu Jür­gen Otto und die Rück­kehr von Bernd Frei­er. Wie haben Sie die ver­gan­ge­nen Jah­re aus der HR-Per­spek­ti­ve erlebt?

Vie­le The­men, mit denen ich mich beschäf­ti­gen muss­te, sind natür­lich nicht schön: Restruk­tu­rie­run­gen, Mit­ar­bei­ter ent­las­sen, Gerichts­ter­mi­ne – all das wur­de maß­geb­lich in mei­ner Abtei­lung geplant und umge­setzt. Ich habe in die­ser Zeit, wie Sie sagen, ver­schie­de­ne CEOs ken­nen­ge­lernt. Es war auch eine gute Lern­kur­ve, zu sehen, was funk­tio­niert und was nicht.

Kön­nen Sie das kon­kre­ter machen?

Füh­rung ist in der Kri­se total rele­vant. Das ist wie im Sport: Du brauchst einen guten Trai­ner, jeman­den der eine Visi­on hat, der Men­schen moti­vie­ren kann, der ehr­lich und trans­pa­rent kom­mu­ni­ziert und abso­lut strin­gent ist. Das Schlimms­te ist, nicht strin­gent und kon­se­quent zu sein, kei­ne Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, nicht gut zu kom­mu­ni­zie­ren. Mit­ar­bei­ter ver­ste­hen auch unan­ge­neh­me Ent­schei­dun­gen, wenn die­se gut begrün­det sind.

Alles nur eine Fra­ge der Kom­mu­ni­ka­ti­on?

Es ist wich­tig, jedem Ein­zel­nen Zie­le zu geben, Leit­plan­ken zu set­zen. Ich habe auf der 25 km-Distanz manch­mal ernst­haft ans Ertrin­ken gedacht und am Ende bin ich noch Welt­meis­ter gewor­den. Du zwei­felst an Dir, hast Selbst­mit­leid, fragst Dich ‚Was mache ich hier‘ und sagst ‚Das ergibt kei­nen Sinn‘. Des­halb sind Zie­le so wich­tig, und sei­en sie noch so klein. Sobald du merkst, es gibt einen Pro­zess, der sich nach vor­ne ent­wi­ckelt, dann geht es auch in einer har­ten Kri­se wei­ter. Das ist natür­lich schwer. Du brauchst Geduld und Aus­dau­er und wenigs­tens einen Hoff­nungs­schim­mer. In der Kri­se ent­schei­det sich im Übri­gen der Cham­pi­on. In guten Pha­sen spit­ze zu sein, ist ein­fach. In schwie­ri­gen Pha­sen wei­ter­zu­ma­chen, zeigt den wah­ren Cham­pi­on.

Ich habe häu­fig den Ein­druck, dass der HR-Arbeit in vie­len Unter­neh­men immer noch nicht der Stel­len­wert ein­ge­räumt wird, den die Mana­ger in Sonn­tags­re­den pos­tu­lie­ren. Auf den Mode­mes­sen, wo es uns Ver­kau­fen geht, tref­fen Sie die meis­ten CEOs. Auf Kar­rie­re­mes­sen, wo man sich als Arbeit­ge­ber ver­kauft, las­sen sich die Chefs eher sel­ten bli­cken. 

Das ist rich­tig.

Müss­ten die HR-Ver­ant­wort­li­chen nicht auch ganz oben, in den Geschäfts­füh­run­gen sit­zen?

Die meis­ten Ent­schei­dun­gen in Unter­neh­men tan­gie­ren tat­säch­lich die Mit­ar­bei­ten­den. Des­we­gen ist HR-Arbeit auch von aller­höchs­ter Bedeu­tung. Ein guter HRler muss auch das Geschäfts­mo­dell ver­ste­hen. Dann hat er eine extrem hohe Rele­vanz.

Ihr The­ma, über das Sie auch Bücher geschrie­ben haben und Vor­trä­ge und Semi­na­re geben, ist Moti­va­ti­on. Haben Sie da eine mis­sio­na­ri­sche Ader?

Das wür­de ich so nicht sagen. Natür­lich macht es mir Spaß, mein Wis­sen und mei­ne Erfah­rung aus dem Leis­tungs­sport zu tei­len, und ich freue mich, wenn das jeman­dem was bringt.

Frei­was­ser­schwim­men ist ein extrem anstren­gen­der Sport, wo Sie nicht nur gegen die Kon­kur­renz, son­dern auch gegen den inne­ren Schwei­ne­hund ankämp­fen. Muss man sich quä­len, um Erfolg zu haben? 

Man muss. Es kann aber auch Spaß machen. Das ken­nen Sie sicher: Wenn man Lau­fen geht, dann ist das anstren­gend, aber danach fühlt man sich gut. Die Bereit­schaft, sich zu quä­len, das macht sicher den Unter­schied aus zwi­schen dem, der ganz oben steht, und den ande­ren.

Talent muss aber schon auch da sein.

Abso­lut.

“Natürlich kann ich nicht von jedem verlangen, dass er Weltmeister wird.”

Schwim­men ist eine eher ein­sa­me Ange­le­gen­heit. Ist das die bes­te Vor­aus­set­zung für Team­fä­hig­keit?

Die Fra­ge wird mir oft gestellt. Ob es die Bes­te ist, weiß ich nicht. Aber man arbei­tet im Wett­kampf immer im Team. Die Vor­be­rei­tung ist ent­schei­dend, und das machst du immer im Team, mit dem Trai­ner, dem Phy­sio­the­ra­peu­ten, Ärz­ten und Trai­nings­part­nern. Nur wenn du mit den Bes­ten trai­nierst, wirst du bes­ser. Am Ende ist es die Kraft der Mann­schaft, die den Ein­zel­nen mit­zieht. Allein hät­te ich nichts gewon­nen.

Sie kön­nen als Spit­zen­sport­ler sehr glaub­wür­dig über Moti­va­ti­ons­the­men spre­chen. Aber nicht jeder Chef ist ein Welt­meis­ter.

Das ist rich­tig. Ich habe da leicht reden. Im Sport ist das auch objek­tiv mess­bar.

Wie lan­ge brau­chen Sie für 25 km?

4 Stun­den 47. Aber in der Wirt­schaft ist das manch­mal nicht so leicht zu mes­sen. Da spie­len Elo­quenz und Auf­tre­ten schon eine Rol­le.

Sie haben stets hart an sich gear­bei­tet. Mit Sicher­heit braucht man Ziel­stre­big­keit und Här­te, um sol­che Spit­zen­leis­tun­gen zu schaf­fen. Wie den­ken sie über die GenZ, der man ja alles Mög­li­che nach­sagt, aber nicht über­trie­be­nen Ehr­geiz, beson­de­re Dis­zi­plin und Leis­tungs­wil­len?

Da ist was dran. Das sehen Sie ja auch im Sport, ins­be­son­de­re bei Olym­pia, wo es für deut­sche Ath­le­ten immer schwie­ri­ger wird, oben mit­zu­spie­len. Es mag unpo­pu­lär klin­gen, aber ich habe noch kei­nen Sport­ler getrof­fen, noch kei­nen Unter­neh­mer, noch kei­ne CEO, der oder die mit wenig Auf­wand Erfolg hat. Was alle gemein­sam haben, ist gro­ßer Fleiß.

Füh­len Sie sich mit die­sem Leis­tungs­credo nicht manch­mal auf ver­lo­re­nem Pos­ten?

Natür­lich kann ich nicht von jedem ver­lan­gen, dass er Welt­meis­ter wird. Ich stel­le mir eher die Fra­ge, was ist der Schlüs­sel, dass jeder die best­mög­li­che Leis­tung abruft. Ich ver­su­che die Men­schen zu über­zeu­gen, dass es Spaß macht, sei­ne Zie­le zu errei­chen.

“Heute verlierst Du, morgen gewinnst Du, das ist im Berufsleben nicht anders als im Sport. Zu lernen, mit Niederlagen zurecht zu kommen, das ist extrem wichtig.”

Angeb­lich brau­chen die jun­gen Leu­te mehr denn je einen Pur­po­se. Was ist der Pur­po­se von einem Unter­neh­men wie S.Oliver? Oder H&M, Tom Tail­or, you name it? 

Wir bie­ten Men­schen die Mög­lich­keit, sich aus­zu­drü­cken. Ich den­ke, dass es auch vie­len Men­schen Freu­de berei­tet, schö­ne Din­ge ein­zu­kau­fen.

Was moti­viert Mit­ar­bei­ten­de heu­te? Kann man Mit­ar­bei­ten­de über­haupt moti­vie­ren? Ist es nicht so, dass es eine intrin­si­sche Moti­va­ti­on braucht für Höchst­leis­tun­gen, und man als Füh­rungs­kraft Mit­ar­bei­ten­de allen­falls demo­ti­vie­ren kann?

Ich den­ke, dass jeder ein Talent in sich hat. Die Kunst ist, die­ses Talent her­aus­zu­fin­den. Bei mir war das nicht anders. Ich bin ja nicht als Schwim­mer auf die Welt gekom­men, son­dern mei­ne För­de­rer haben über ein bestimm­tes Sys­tem her­aus­ge­fun­den, was ich beson­ders gut kann. Das ist auch eine Auf­ga­be von Füh­rungs­kräf­ten: Stär­ken und Schwä­chen zu iden­ti­fi­zie­ren und die Stär­ken zu för­dern. Aber Sie haben schon auch recht: Ein biss­chen soll­ten die Mit­ar­bei­ten­den das auch wol­len.

Wel­che Rol­le spie­len Nie­der­la­gen? Sie haben ja nicht jedes Ren­nen gewon­nen, bei dem Sie ange­tre­ten sind, und wenn man 25 km hin­ter sich hat, schmerzt es doch bestimmt ganz beson­ders, wenn man “nur” Zwei­ter wird?

Nie­der­la­gen haben mich geformt. Des­halb fin­de ich es ja so dane­ben, dass heu­te in der Schu­le Wer­tun­gen und Noten negiert wer­den. Bei mei­nen ers­ten Olym­pi­schen Spie­len in Athen, da bin ich der­ma­ßen abge­kackt, um es salopp zu sagen. Ohne die­se Erfah­rung hät­te ich mei­ne Medail­len in Peking und Lon­don nicht gewon­nen. Wir reden zwar über zwölf Welt­meis­ter­ti­tel. Aber ich habe als Sport­ler viel öfter ver­lo­ren als gewon­nen. Heu­te ver­lierst Du, mor­gen gewinnst Du, das ist im Berufs­le­ben nicht anders als im Sport. Zu ler­nen, mit Nie­der­la­gen zurecht zu kom­men, das ist extrem wich­tig.

Kann man eine Kar­rie­re pla­nen?

Ja.

Spie­len Glück und Zufall nicht auch eine gro­ße Rol­le?

Klar. Ob alles genau­so kommt wie geplant, das weiß man nie. Natür­lich erge­ben sich auf dem Weg  Optio­nen. Aber ich glau­be fest dar­an, dass es ohne Pla­nung nicht in die rich­ti­ge Rich­tung geht. Ich brau­che Zie­le. Und Zie­le moti­vie­ren mich.

Letz­te Fra­ge: Stel­len Sie bei S. Oli­ver bevor­zugt Sport­ler ein? Bernd Frei­er ist ja auch ein pas­sio­nier­ter Ten­nis­spie­ler. Ach­ten Sie dar­auf bei der Aus­wahl?

Das tue ich. Das ist nicht das wich­tigs­te Kri­te­ri­um, aber es sagt was über dei­nen Cha­rak­ter aus, und du bringst Soft Skills mit, die von Vor­teil im Berufs­le­ben sind.

TlurzTho­mas Lurz (45) wur­de zwi­schen 1998 und 2013 zwölf­mal Welt­meis­ter im Frei­was­ser­schwim­men. Sei­ne Spe­zia­li­tät waren die Lang­stre­cken über 5, 10 und 25 km. Für letz­te­re liegt sein Rekord bei 4 Stun­den 47. 26 Titel hol­te er bei Deut­schen Meis­ter­schaf­ten, fünf­mal wur­de er Euro­pa­meis­ter. Bei den Olym­pi­schen Spie­len 2008 in Peking gewann er Bron­ze, 2012 in Lon­don Sil­ber. Seit 2013 arbei­tet Lurz bei S. Oli­ver, 2019 über­nahm er die Ver­ant­wor­tung für HR. Der Diplom-Sozi­al­päd­ago­ge und MBA ist Lehr­be­auf­trag­ter der Uni­ver­si­tät Würz­burg und hat einen Sitz im Hoch­schul­rat der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Würzburg/Schweinfurt. Er ist Buch­au­tor und hält Vor­trä­ge und Semi­na­re zu Moti­va­tions- und Kar­rie­re­the­men. www.thomas-lurz.de

    

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