Sie haben als Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Generalbevollmächtigter etliche Firmen aus dem Modebusiness begleitet – Laurel, K&L, Gerry Weber, Wöhrl, Escada, Rena Lange, Stefanel, zuletzt Adler und Hallhuber – und haben von daher hervorragenden Einblick in diese Branche. Jetzt hat der Markt gerade eine Krise hinter sich, die es so noch nie gab. Wer sind aus Ihrer Sicht die Gewinner? Wer die Verlierer?
Zunächst muss man festhalten, dass die Krise nicht erst mit Corona begann. 2008/2009, im Zuge der Finanzkrise, war die erste große Welle, 2015/16 eine weitere. Gerade in den Nullerjahren gab es einen unglaublichen Retail-Hype auf Seiten der Industrie. Die Hersteller haben massenhaft Läden eröffnet und glaubten, es Zara & Co. nachmachen zu können. Dabei hatte man aber oft gar nicht den richtigen Blick auf die Endkunden, so wie ihn der Händler vor Ort hat. Es fehlte oft auch an einem guten Controlling, eigene Stores sind ja kein Selbstläufer. So hat man sich Verlustbringer angeschafft – und das in einer Situation, wo der Markt bereits übersättigt war und es viel zu viel Verkaufsfläche gab. Dann kam als weiterer Umbruch auch noch der Online-Handel dazu. Insofern ist es durchaus gesund, wenn sich der Markt ein Stück weit zurückentwickelt. Corona war da nur ein Brandbeschleuniger.
Wer bleibt auf der Strecke?
Zu den Gewinnern gehören sicher diejenigen, die schon vor Corona ein starkes Online-Business hatten. Wenn ich mir den stationären Einzelhandel anschaue, dann habe ich schon den Eindruck, dass es vielfach an einer klaren Strategie fehlt. Zu meinen, man müsse nur einen Onlineshop haben, der meist eher schlecht als recht läuft, reicht nicht aus, wenn man gleichzeitig das bisherige Geschäftsmodell vernachlässigt. So ist für den Kunden auch ein Stück weit das stationäre Einkaufserlebnis verloren gegangen.
Und auf Seiten der Industrie?
Da sehe ich das Problem, dass es sich in Deutschland größtenteils um ältere Marken handelt. Da kommt relativ wenig Frisches, Neues dazu. Im Herbst eines Markenlebens ist es halt schwierig, sich neu zu erfinden und wieder jüngere Zielgruppen zu erschließen.
Fällt Ihnen ein Beispiel ein, wo das gelungen ist?
Nehmen sie Burberry. Das war ja eine sehr angestaubte englische Marke, die es geschafft hat, sich neu zu positionieren und damit nachhaltig Erfolg hat.
In der Corona-Krise wurde vieles kreditfinanziert. Und diese Kredite müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Also wurden zum Teil Probleme lediglich in die Zukunft verschoben.
Ich war kürzlich auf der Katag-Cheftagung. Da gab es gar nicht mal so viele unzufriedene Gesichter. Offenbar haben die Staatshilfen gewirkt, und die befürchtete Insolvenzwelle ist ausgeblieben.
Das stimmt. Manche konnten sich schadlos halten. Andererseits müssen sie sehen, dass vieles kreditfinanziert wurde. Und diese Kredite müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Also wurden zum Teil Probleme lediglich in die Zukunft verschoben. Und es ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil der Probleme einfach an die Produzenten, zumeist aus Asien, weitergereicht wurden, die sich mangels Marktmacht kaum dagegen wehren konnten.
Sie haben gerade die Insolvenz bei Adler abgeschlossen. Dort haben Sie in einer Pressekonferenz massiv Alarm geschlagen, sprachen von einem „Blutbad“ und „Merkels persönlichen Arbeitslosen“.
Diese Worte waren von mir bewusst gewählt. Ich habe in der Tat die Vorgehensweise der Regierung für falsch befunden. Unternehmen, die aufgrund des angeordneten Lockdowns insolvent geworden sind, zu sagen: Sorry, aber das macht keinen Sinn mehr für Dich, selbst schuld – das fand ich nicht richtig. Entscheidend war für mich immer das Kriterium, ob Arbeitsplätze erhalten werden können. Weshalb sollte der marode Laden nebenan, der vielleicht ebenso kurz vor der Insolvenz stand, Hilfen bekommen und die Adler Gruppe, die dokumentieren konnte, dass sie große Überlebenschancen hat, nicht? Unser kleiner Aufschrei hat was bewirkt. Ich glaube, Adler war bis jetzt das einzige insolvente Unternehmen, das einen Kredit aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds bekommen hat. Der wird übrigens zurückbezahlt. Ohne den Kredit hätten wir es wohl nicht geschafft.
Ihr anderes „Corona-Opfer“ war Hallhuber. Das Unternehmen komplett dichtzumachen und dann wieder neu zu gründen, war ein ziemlich radikaler Schritt. Ihre Idee?
Da war ich Sachwalter, habe also vor allem das Verfahren überwacht. Uns blieb nichts anderes übrig, als das Unternehmen komplett einzufrieren. Das war natürlich ein sehr gewagter Schritt. Es sind alle Mietverträge gekündigt, alle Arbeitsverhältnisse beendet worden. Wir waren gezwungen, eine Insolvenz in der Insolvenz, die sogenannte Masseunzulänglichkeit anzuzeigen. Dann den Geschäftsbetrieb wieder zu aktivieren, einen Insolvenzplan umzusetzen und so aus dem Verfahren wieder herauszukommen, das hat es in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben.
Erstaunlicherweise wurde das außerhalb der Fachpresse medial kaum aufgegriffen. Was passiert mit den Verbindlichkeiten?
Wenn ich Masseunzulänglichkeit habe, ist klar, dass die Gläubiger nichts bekommen. Die Strategie hat nur funktioniert, weil wir offen mit allen Beteiligten umgegangen sind. Das Management hat das Konzept den Vermietern und den Arbeitnehmern erklärt und versprochen, später alles wieder zu reaktivieren. Und so haben mit wenigen Ausnahmen alle mitgemacht.
Wenn Sie auf „Ihre“ Insolvenzfälle blicken: Gibt es so etwas wie ein Muster? Gemeinsamkeiten, die in diese Situation geführt haben?
Jeder Fall ist anders. Aber wenn sie nach Mustern fragen: Was mir immer wieder begegnet ist fehlende Kundenorientierung. Wer ist mein Kunde oder meine Kundin? Was erwartet er oder sie? Wofür steht die Marke? Da wird gesagt: Unsere Kundin ist die Frau ab 50. Diese Kundin ist irgendwann aber 70 oder 80 und hat ganz andere Anforderungen an Bekleidung. Nur, wer ist die neue 50jährige?
Gibt es weitere Muster?
Wenn es nicht mehr so läuft, wird beim Marketing und beim Personal auf der Fläche gespart, da diese Posten sich leicht und schnell angehen lassen. Damit setzt sich aber die Abwärtsspirale erst richtig in Bewegung. In Multilabelstores brauchen sie Beratung, um die Ware an den Mann oder die Frau zu bringen. Wenn ich die Mitarbeiter von der Fläche nehme, funktioniert das nicht mehr.
Das ist natürlich leicht gesagt. Wenn der Umsatz nicht kommt, braucht es doch Kosteneinsparungen.
Aber nicht am falschen Ende, da ansonsten die Einsparungen die wirtschaftlichen Verluste nur vergrößern. Und wenn sie dann investieren müssen, fehlt das Geld. Ein dritter Punkt ist für mich zu starke Skalierung. Wenn das Wachstum zu stürmisch und unüberlegt passiert, leidet oft die Effizienz, und dann droht ebenfalls die Abwärtsspirale. Ich bin kein Freund maximaler Skalierung.
Inwieweit ändern sich in einer konkreten Krise die Anforderungen ans Management?
Erstens muss ein Entscheider der Wahrheit ins Auge blicken und darf eine Situation nicht schönreden. Nehmen sie das Online-Thema. Da haben viele anfangs gedacht, das geht vorbei und die Kunden werden schon wieder zurückkehren, statt sich ehrlich zu machen und einen Plan B zu entwickeln. Zweitens muss das Management eine klare Krisenstrategie entwickeln und diese auch offen kommunizieren. Ich glaube, die Beteiligten – seien es Mitarbeiter oder auch Vermieter und Lieferanten – gehen dann Vieles mit. Auch die Immobilienexperten sehen die Lage ja deutlich realistischer als noch vor zwei, drei Jahren. Bei Verhandlungen will jeder Partner die Gewissheit, dass es eine überzeugende Strategie gibt.
Und das reicht dann schon?
Naja. Oft wird zu lange zugewartet, statt einfach mal zu machen. Manchmal ist es besser, anzufangen, als die fünfte Beraterstudie abzuwarten. Sehr oft liegen die Dinge ja klar zutage.
Bei vielen Geschäftsmodellen geht es häufig nicht um Gewinn, sondern primär darum, Geld einzusammeln. Bei den Start-ups ist jedenfalls längst nicht alles Gold, was glänzt, und nicht wenige landen dann ja auch bei uns Insolvenzverwaltern.
Wenn man sich auf Messen und den üblichen Branchen-Veranstaltungen umschaut, und das Publikum dort mit dem auf Digital-Kongressen wie etwa der K5-Konferenz vergleicht, dann hat man den Eindruck, dass es sich hier um zwei Welten mit völlig verschiedenen Protagonisten und Typen handelt. Dabei sind das hier wie dort Einzelhändler. Kann es sein, dass wir gerade eine Art Generationswechsel im Markt erleben? Und dass die neue Welt die alte unweigerlich ablöst?
Wir sind mittendrin. Aber: Es gibt in der Startup-Welt auch viele Übertreibungen und überschätzte Anbieter. Bei vielen Geschäftsmodellen geht es häufig nicht um Gewinn, sondern primär darum, Geld einzusammeln. Da ist jedenfalls längst nicht alles Gold, was glänzt, und nicht wenige landen dann ja auch bei uns Insolvenzverwaltern. Start-ups können aber durchaus ein Vorbild in Sachen Innovationskraft sein. Ich denke, den stationären Einzelhandel wird es immer geben können. Aber auch der muss innovativ sein, um zu überleben. Was hat sich bei vielen Kaufhäusern denn über die Jahre wirklich geändert? Was ist wirklich neu und sorgt für das vielbeschworene Einkaufserlebnis?
Wie muss ein Unternehmen gebaut sein, um in einem zunehmend digital geprägten Umfeld bestehen zu können?
Ich erlebe sehr unterschiedliche Unternehmen. Manche werden immer noch sehr patriarchalisch geführt, was ein aussterbendes Muster ist, auch wenn es teilweise noch sehr gut funktioniert. Auf der anderen Seite gibt es modern geführte Firmen mit flachen Hierarchien, die dennoch nicht funktionieren. Schwierig wird es immer dann, wenn es zu Kulturwechseln kommt, weil das die innere Identifikation mit der Marke berührt. Ich spüre sehr schnell, wenn ich in ein Unternehmen komme, ob es gut geführt ist oder nicht. Das merke ich häufig schon bei der ersten Betriebsversammlung, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter drauf sind.
Sind die „alten“ Unternehmen strukturell überhaupt für die Neuzeit gemacht? Wenn sie einen Topmanager von Zalando an die Spitze von – sagen wir – Adler setzen, dann wird der dort eingehen wie eine Primel. Weil Adler halt ganz anders funktioniert.
Sie werden aus Adler keinen Zalando machen, das stimmt. Das muss aber auch nicht sein, um Adler erfolgreich weiterzuführen. Abgesehen davon ist Zalando auch gar nicht so gewinnträchtig.
Aber womöglich zukunftsträchtig. Schon die Themensetzung ist ja bezeichnend. Während die ums Leben kämpfenden Stationären vor dem Kanzleramt protestieren, veröffentlicht Zalando einen Diversity Report.
Ich rate schon dazu, sich die Bilanzen anzusehen, ob man sich das wirklich alles leisten kann, oder ob es nur jemand anderes gibt, der das bezahlt.
Ich höre da eine gewisse Skepsis heraus. Sie würden keine Zalando-Aktien kaufen.
Ich wäre dafür, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen: die Vernunft aus der alten Welt und den Freigeist und die Neugier aus der neuen Welt. Wenn wir das gut miteinander kombinierten, wären wir ein Stückchen weiter.
Dr. Christian Gerloff ist so etwas wie der oberste Krisenmanager der Branche. Als Insolvenzverwalter hat der Mitinhaber der Münchner Kanzlei Gerloff Liebler Rechtsanwälte zahlreiche Fälle begleitet, angefangen bei Escada und Rena Lange, über Wöhrl, K&L und Escape bis hin zu Gerry Weber und zuletzt Adler.
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