So eine Nachricht hatten wir lange nicht: Da nimmt ein Investor eine Milliarde in die Hand und baut ein innerstädtisches Einkaufszentrum. Diese Woche wurden die Pläne für den „Calatrava-Boulevard“ in Düsseldorf vorgestellt, gestaltet von und benannt nach dem berühmten spanischen Architekten, ein neues Shopping-Quartier mit Kö-Anschluss, das insgesamt 15.000 m² Platz für Luxury Brands bietet. Nichts weniger als „ein neues Wahrzeichen für die schönste Einkaufsstraße Europas“ hat Bauherr Uwe Reppegather im Sinn, der die Königsallee damit an die Spitze der europäischen Einkaufsstraßen bringen möchte.
Nun könnte man denken, Immobilienprofi Reppegather habe zuviel Geld und verwirkliche jetzt einen langgehegten Traum. Vor neun Jahren, als der Projektentwickler anfing, die Grundstücke an und nahe der Düsseldorfer Kö zusammenzukaufen, war die Welt schließlich eine andere.
In den Neunziger und Nuller Jahren waren in Deutschland Dutzende neue Einkaufszentren gebaut worden. Investoren hatten diese Flächenexplosion mit Milliarden befeuert. Ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Bedarf und organisch gewachsene Strukturen entstanden vielerorts neue Verkaufsflächen, die die Produktivitäten der lokalen Handelsbetriebe drückten und deren Immobilieneigentum entwerteten. Dieser Boom ist längst vorbei. Stattdessen floss das Kapital in den Onlinehandel, buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste und deswegen gleichfalls wettbewerbsverzerrend; immer in der Hoffnung auf den künftigen großen Reibach, der, wie sich in den letzten Monaten herausgestellt hat, in vielen Fällen noch weiter in die Ferne gerückt ist.
Spätestens mit Corona ließen die Investoren endgültig die Finger von Stationär; der Lockdown war für sie ein Menetekel, dass das Wachstum vorbei ist. Von langer Hand geplante Ausnahmen wie die Westfield Mall im Hamburger Überseequartier bestätigen die Regel. Selbst René Benko investiert die Milliarden seiner Anleger größtenteils in die Bestandsoptimierung und weniger in zusätzliche Einzelhandelsflächen.
All das bedeutet nicht, dass der Calatrava-Boulevard in Düsseldorf nicht funktionieren wird, auch wenn an der Königsallee, mit Breuninger im Kö-Bogen und demnächst mit dem neuen Carsch-Haus der KadeWe Group ein starker Wettbewerb existiert. Es gibt viele Brands, die noch nicht an der Kö vertreten sind. Auch ist die Mietpreisentwicklung im Luxussegment immer noch stabil. Nach einer gerade erschienenen BNP-Studie werden in vielen Luxuslagen inzwischen höhere Quadratmeterpreise aufgerufen als in den frequenzstärkeren Konsummeilen. Diese Flächen werden halt nicht selten aus dem Werbeetat quersubventioniert. Ein Killer könnte das neue Quartier indes für die in die Jahre gekommene Kö-Galerie werden. Allzu viele Luxus-Mieter beherbergt die von der ECE gemanagte Mall nicht mehr, aber der zusätzlichen Frequenzverlagerung hätte die Einkaufspassage mit ihrem 80er Jahre-Ambiente wenig entgegenzusetzen.
Einkaufen dürfte für die Innenstädte künftig weniger von Bedeutung sein. Es bedarf einer neuen Vision, Gestaltungswillens und viel Kapitals, um diese Standorte auch im wirtschaftlichen Interesse vital zu halten.
Trotzdem hat der Düsseldorfer OB Grund, sich über die lebendige Handelsszene seiner Stadt zu freuen. Andernorts wird die Entwicklung den Kommunalpolitikern dagegen eher Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Der Einzelhandel durchlebt gerade eine historische Schließungswelle. Allen voran die Warenhäuser. Wieviele Standorte Galeria aufgeben wird, ist noch unklar. In Medienberichten ist mal von 60, mal von 80 die Rede. Bei der letzten Insolvenz vor zwei Jahren waren es bereits einmal 40 Häuser. Orsay und Conrad sind größtenteils abgewickelt. Auch Görtz schließt etliche Filialen, Salamander ist insolvent. Schließungsprogramme laufen offenbar auch bei C&A und Primark. Von den vielen unbekannten Einzelkämpfern nicht zu reden. Seit 2019 haben in Deutschland 41.000 Geschäfte geschlossen, bald dreimal so viele wie in so einem Zeitraum üblich. Die Zahl der Läden ist auf 312.000 gesunken. Expansive Filialisten wie Pepco und Woolworth werden die entstehenden Lücken nicht füllen können. Für das Bild der Innenstädte sind diese Anbieter ohnehin meist eher kein Gewinn. Mit steigendem Leerstand sinkt die Attraktivität von Handelsstandorten. Vielerorts wird sich die Abwärtsspirale jetzt noch schneller drehen. Es ist eine Zeitenwende für die Innenstädte.
Das eröffne auch Chancen, schreibt Architekturkritiker Gerhard Matzig dazu diese Woche in der SZ. Überall in den Städten werde beklagt, dass es keinen Platz gebe für bezahlbare Wohnungen, eine Renaissance des Handwerkertums in der zuvor entmischten Stadt oder lebensnotwendige Grünzonen. Angetrieben von Megatrends wie Klimawandel und Verkehrswende, Digitalisierung und anderen gesellschaftlichen Dynamiken stünden angestammte Raummuster zunehmend unter Druck. Es entstünden dadurch Freiräume, sprich: "quadratkilometergroße Chancen, Städte neu und besser zu erfinden", so Matzig.
Aus Sicht eines Einzelhändlers, der von seinem Standort lebt, klingt das natürlich zynisch. Aber es liegt auf der Hand, dass Einkaufen für die Innenstädte künftig weniger von Bedeutung sein wird und es einer neuen Vision, Gestaltungswillens und viel Kapitals bedarf, um diese Standorte auch im wirtschaftlichen Interesse vital zu halten.