Modeprofis werden die Hände überm Kopf zusammengeschlagen haben ob des Zerrbilds vom Modedesigner-Beruf, das ‚Guidos Masterclass‘ am Montagabend gezeichnet hat. Wenn sie denn überhaupt bis zum Ende der knapp zweistündigen Casting-Show durchgehalten haben. So sterbenslangweilig war die "Unterhaltungssendung". Das haben die Werbekunden von Vox vorher schon geahnt, so dass es mehr als 80 Minuten bis zum ersten Werbeblock dauerte. Selten hat man diese Gelegenheit zum Austreten mehr vermisst.
Zwölf der angeblich besten Designtalente Europas hat Guido Maria Kretschmer versammelt. Acht sollten nach der Pilotsendung in die Masterclass aufgenommen werden. Dem oder der Gewinner/in winken 50.000 Euro, drei Promotion-Seiten in der Vogue und ein Jahr Manndeckung durch GMK. Die Charaktere wurden professionell gecastet. Vom introvertierten Künstler-Typen Michael bis zur Instagram-tauglichen Mannfrau Leni. Die schied entgegen den Erwartungen prompt aus. "Dass "Guidos Masterclass" schon in der ersten Folge freiwillig sein glitzerndstes Accessoire ablegt, könnte ein Beweis dafür sein, dass es dieser Designerwettbewerb tatsächlich ernst meint", urteilte Spiegel-Lästermaul Anja Rützel vergleichsweise milde.
Absolution holte sich GMK auch von Modeprofis wie Donald Schneider, Karolina Kurkova und Christiane Arp. Deren Kreuzweg durch das Masterclass-Atelier war indes schwer mitanzusehen. Vor ein paar Wochen noch in Paris in der ersten Reihe, jetzt die Mülltüten-Kreation eines giggelnden Möchtegerndesigners begutachten – die Vogue-Chefredakteurin schaffte es gerade so, ihr professionelles Pokerface zu wahren.
Mit der tatsächlichen Arbeit von Modedesignern hat das alles nur am Rande zu tun. Nicht mit der kreativen und handwerklichen Kunst, die in den Ateliers von Paris und Mailand kultiviert wird, und schon gar nicht mit der marktgerechten Produktentwicklung, wie sie die Modeindustrie betreibt. Stattdessen bedient ‚Guidos Masterclass‘ in weiten Teilen alberne Klischees, von den Kreativen, die sich verrückte Sachen ausdenken, die allenfalls für den Laufsteg taugen, aber nicht auf der Straße getragen werden können. Und bevor die Arbeit beginnt, wird erstmal der Champagner geköpft. Dass die Designer in der ersten Folge teilweise Erstaunliches aus Partykram gezaubert haben, nährt zugleich das Vorurteil, dass es sich beim Modemachen um etwas Unernstes und Oberflächliches handelt.
Vielleicht wäre es auf der anderen Seite aber auch verkehrt, diese Illusion zu zerstören. Denn aus dem vermuteten gestalterischen Freiraum und der Erwartung an ein glamouröses Umfeld beziehen junge Kreative nicht selten ihre Motivation für eine Mode-Karriere. So gesehen könnte man ‚Guidos Masterclass‘ fast als Werbesendung bezeichnen. Fehlt nur der Hinweis im Abspann: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Berufsberater.“
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Und sonst?
… macht Instagram Ernst mit dem Umbau zur Shopping-Plattform. So wie Amazon immer mehr Geld mit Werbung verdient, möchte der Facebook-Konzern nun am Verkauf von Produkten partizipieren. 500 Millionen tägliche Instagram-User sind ein gewaltiges Potenzial. Gerade für Modeanbieter. Da entsteht nicht nur ein neuer Absatzkanal, sondern ein neues Ökosystem, das reichweitenstarken Influencern den Aufbau und Direktvertrieb von eigenen Marken ermöglichen wird. Gerade heute berichtet BoF von Danielle Bernstein (How WeWore), die in 12 Stunden Swimwear für 2 Millionen Dollar verkauft hat. Die Scharmützel, die eine Cathy Hummels und andere Schleichwerber heute noch vor Gericht führen müssen, wird man in einigen Jahren als vorsintflutlich belächeln.
… geht Plattform-Business auch stationär, wie C&A/Besteller und Tchibo/Mustang gerade wieder beweisen.
… hat Hugo Boss den Sponsoring-Vertrag mit der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft auslaufen lassen. Die nächste Demütigung nach dem frühen Ausscheiden bei der WM…
… hat diese Woche Neiman Marcus Mytheresa zum Verkauf gestellt. Schon wird munter über den potenziellen Übernehmer spekuliert. Exciting Commerce nennt Farfetch und YNAP. Denkbar auch PE-Investor Apax, der die Münchner dann mit MatchesFashion verschmelzen könnte. Möglicherweise auch kaufwütige Araber oder Chinesen. Oder ein Luxuskonzern wie LVMH. Zalando könnte mit Mytheresa Luxuskompetenz aufbauen. P&C oder Breuninger findet Exciting Commerce selbst unwahrscheinlich. Warum eigentlich nicht Amazon? Jeff Bezos‘ Deutschland-Zentrale ist nur eine Viertelstunde von Aschheim entfernt.
… bringt Lidl im Herbst die ersten für den biologischen Kreislauf entwickelten Textilprodukte mit Aufdruck in den Verkauf. Die Cradle-to-Cradle-zertifizierten Textilien sind ab dem 29. September online und ab 2. Oktober in den rund 3.200 Filialen erhältlich. Wie gesagt: bei Lidl! Warum überlassen die Textilhändler einem Lebensmitteldiscounter so ein Thema?
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