Es gibt Strategien, die den Markt verändern. Bestes Beispiel: Amazon. Und es gibt Marktveränderungen, die neue Strategien erzwingen. Das ist die Situation, in der so ziemlich alle etablierten Player in Modehandel und ‑industrie stecken. Wenn S.Oliver nun also den Fokus auf D2C legt, dann ist das erstmal eine Reaktion darauf, dass das Wholesale Business, das die Marke über Jahrzehnte groß gemacht hat, schrumpft. Das führt schon rein rechnerisch zu anderen Kanalrelationen. Hinter dieser Entwicklung steht ein Bedeutungsverlust der Marke in den Multilabel-Sortimenten wie auch der Abschmelzungsprozess im Multilabelhandel insgesamt. Wenn man sich die in der TW publizierten Zahlen anschaut, dann ist der Webshop der einzige Vertriebskanal der Rottendorfer, der in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Dieser Kanal-Shift dürfte sich in den vergangenen zwölf Monaten massiv beschleunigt und nachhaltig manifestiert haben. Nach der Pandemie wird es viele Wholesale-Adressen schlicht nicht mehr geben.
Die Frage, ob diese Entwicklung hausgemacht ist oder marktbedingt, ist für den neuen CEO Claus-Dietrich Lahrs erstmal müßig. Er muss nach vorne schauen. Doch selbst wenn es gelingen sollte, den Umsatzverlust bei B2B durch einen forcierten Direktvertrieb wieder aufzufangen, wird es schwer werden, die frühere Profitabilität wieder zu erlangen. Denn das meiste Geld dürfte bei S.Oliver wie bei vielen anderen Multichannel-Anbietern im Wholesale verdient werden. Auch aus diesem Grund bleibt Lahrs gar nichts anderes übrig, als die Erlöse kräftig zu steigern, wenn Familie Freier künftig nicht kleinere Brötchen backen soll. Und selbst wenn die angepeilte Umsatzverdopplung gelänge, hätte die Marke zu Endverbraucherpreisen gerechnet kaum die frühere Marktrelevanz.
Dennoch ist der direkte Weg zum Kunden für marktstarke Anbieter wie S. Oliver alternativlos. Früher hat der Fachhandel die Direktvertriebsaktivitäten seiner Lieferanten massiv bekämpft und mit Auslistung gedroht. Durchaus mit Schadenfreude haben die Händler dann registriert, wie schwer sich die Industrie mit ihren eigenen Läden tut. Das hat viele Gründe. Nicht zuletzt verhindern interne Interessenskonflikte mit dem sehr viel profitableren Wholesale-Stammgeschäft die Umsetzung erfolgreicher Retail-Strategien.
Die Digitalisierung des Vertriebs bringt jetzt neue Möglichkeiten für D2C. Der zentral kontrollierte Online-Vertrieb ist den Brands zudem vielfach näher als das dezentrale und personalintensive Retail Business. Der eigene Webshop verspricht Autonomie und die Marketplaces von Zalando & Co. eine Frequenz, die die Concessions in den Department Stores und die eigenen Stores bei der ECE niemals hatten. Dieses Angebot ist verführerisch, zumal in einer Situation, wo das stationäre Geschäft coronabedingt ausfällt.
Zugleich sind die potenziellen Abhängigkeiten riesig. Man sollte sich nichts vormachen: Die börsennotierten Online-Riesen werden ihre wachsende Macht über kurz oder lang ausspielen. Die aktuelle Gebührenerhöhung bei Amazon gibt einen Vorgeschmack darauf. Es wird den Lieferanten dann gehen wie den Milchbauern bei Aldi: Man lässt ihnen gerade so viel Geld, wie sie zum Überleben brauchen, aber den Löwenanteil des Gewinns streicht der Marktplatzbetreiber ein. Und weil das risikoärmer und ungleich profitabler ist als das eigene Handelsgeschäft, ist auch das Wholesale Business mit den Pure Playern perspektivisch keine sichere Bank mehr. Sie werden ihre Lieferanten drängen, das Risiko zu übernehmen. Selbst Otto scheint sich mit seinem NEW-Projekt für so ein Szenario aufzustellen.
Am Ende wird die Industrie auf Gedeih und Verderb von der Performance weniger großer Partner abhängig sein, und es ist keineswegs garantiert, dass alle heutigen Highflyer morgen nicht von anderen Geschäftsmodellen überflügelt werden. Was ein Klumpenrisiko bedeutet, davon kann die Wäschebranche mit Blick auf das Schicksal der Warenhäuser ein Lied singen.
Unabhängigkeit garantiert vor allem eine möglichst starke Marke – das gilt offline wie online. Je begehrlicher ein Name ist, desto weniger werden Kunden – egal ob Händler oder Endverbraucher – darauf verzichten wollen. Echte Marken werden sich deswegen möglichst autonom aufstellen. Konzeptionell-inhaltlich am Markt, organisatorisch in Beschaffung und Vertrieb. Die Digitalisierung verstärkt damit die Notwendigkeit und liefert zugleich neue Instrumente zur Vertikalisierung. Dior und Bottega Veneta können ihr Geschäft heute schon weitgehend ohne Partner machen. Ein Nike und ein Adidas werden das über kurz oder lang ebenso tun. Auch vor diesem Hintergrund flankiert S.Oliver seine neue Ausrichtung mit einem Marken-Relaunch. Es ist bekanntlich nicht der erste. „Fashion for Life“ passt zur Marke. Ob das reicht, sich in der Marktmitte zu differenzieren, wird man sehen.
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Und sonst? Natürlich Corona-News:
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Die Universität Zürich lässt demnächst 2000 fabrikneue weiße Bio-Baumwoll-Schlüpfer im Schweizer Boden vergraben. „Wir wollen untersuchen, ob Unterhosen geeignet sind, um die Bodenqualität zu bestimmen“, so der Projektleiter gegenüber der SZ. Tut sich da etwa ein neues Ventil für Warenüberhänge auf?
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