Als langjähriger Branchenbeobachter fühlt man sich manchmal wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Man wacht morgens auf, und die Krise der Warenhäuser beginnt von Neuem.
Genaugenommen ist es die Krise eines Warenhausunternehmens. Nachdem Galeria während der Corona-Krise bereits dreistellige Millionenhilfen vom Staat erhalten hatte, fehlte nun das Verständnis der Öffentlichkeit für eine erneute Unterstützung. Die Leitartikler senkten die Daumen. Andere Einzelhändler, die vor dem Hintergrund der drohenden Rezession selbst zusehen müssen, wo sie bleiben, opponierten lauter denn je gegen eine weitere wettbewerbsverzerrende Subventionierung. Nicht zuletzt hat die Politik zurzeit andere Prioritäten. In dieser Situation die Verantwortung des Eigentümers einzufordern, ist richtig. Inwieweit René Benko einspringen wird, ist noch unklar. Mit dem Schutzschirmverfahren werden jetzt erst mal Mitarbeiter, Lieferanten und Vermieter aushelfen müssen.
Schuldzuweisungen, in denen manche Experten sich jetzt gefallen, sind müssig. Das aktuelle Galeria-Management ist größtenteils erst seit 2020 an Bord und muss mit dem arbeiten, was da ist: Einem seit Jahrzehnten unter Druck stehenden Geschäftsmodell. Einer Organisation, die nach der Fusion nicht zuletzt auch zweier Kulturen stark mit sich selbst beschäftigt ist. Einem Unternehmen, das angesichts der konjunkturellen Herausforderungen unzureichend finanziert ist und dem das Kapital für die notwendige Transformation fehlt.
Galeria hat in erster Linie ein strukturelles Problem, das sich über Jahrzehnte entwickelt hat: Widerstreitende Interessen von wechselnden Inhabern und Immobilieneigentümern, von Management und Betriebsräten, von Gewerkschaft und Politik haben verhindert, dass Karstadt und Kaufhof sich dem Strukturwandel im Einzelhandel anpassen konnten. Ihre Warenhäuser wurden spätestens seit den 80er Jahren von den billigeren Discountern und den kompetenteren Spezialisten abgehängt. Die Shopping Center verschafften der vertikalen Konkurrenz Raum und entwerteten zugleich die traditionelle Fußgängerzone. Die Warenhäuser waren an vielen kleinen und mittleren Standorten in eine Nahversorgerfunktion gezwungen und mussten sich auf Bedarfsdeckung ausrichten, wo Bedarfsweckung angesagt gewesen wäre. Man setzte auf Größenvorteile in der Beschaffung statt auf lokale Kundennähe und suchte das Heil in Fusionen. Spätestens mit dem Siegeszug des Internet-Handels ist das alte „Alles unter einem Dach“ kein Verkaufsargument mehr. Da ist Amazon nicht zu toppen.
Das Signa-Finanzierungsmodell fußt auch auf regelmäßigen, gesicherten Überweisungen aus Essen. Insofern ist ein Investment in den Mieter im eigenen Interesse.
Das heißt aber nicht, dass das Warenhaus als Geschäftsmodell, wie manche unken, tot ist. Es wurde an dieser Stelle oft genug thematisiert: Gut gemachte Department Stores haben auch künftig eine Daseinsberechtigung. Man muss gar nicht Shopping-Tempel wie das KadeWe in Berlin, Bon Marché in Paris oder Selfridges in London bemühen. Auch etliche lokale Platzhirsche wie zum Beispiel L&T in Osnabrück oder Engelhorn in Mannheim mausern sich mit zusätzlichen Categories, mit Accessoires und Schuhen, Kosmetik und Schmuck, mit neuen Services und nicht zuletzt mit gastronomischen Angeboten zu Shopping Destinations. Selbst ein Concept-Store wie Apropos bietet letztlich ja „Alles unter einem Dach“, halt nur nicht für alle. Und ein breit sortimentierter Filialist wie Breuninger steht mit seinem Omnichannel-Format da, wo Galeria und andere Multilabel-Händler gerne wären. Anders als in Essen und Köln kann das Management in Stuttgart bei der Umsetzung seiner Premium-Strategie auf investitionsfreudige und –fähige Eigentümer und eine Kultur bauen, die sich durch Kontinuität und Solidität auszeichnet.
Dass manche an einer Fortführungsperspektive für Galeria zweifeln, ist verständlich. Aber es gibt diese Perspektive. In Frankfurt, Kassel und Kleve hat Galeria moderne Warenhäuser gebaut, die als Blaupause für die anderen Filialen dienen können. Es war bei der Premiere im Oktober 2021 klar, dass ein Roll-out bei 130 Filialen in einem überschaubaren Zeitraum nicht finanzierbar sein würde. Das Schutzschirmverfahren bietet jetzt die Chance zu der radikalen Sanierung, die bei der Insolvenz vor zwei Jahren offensichtlich versäumt wurde. Das Unternehmen muss konsequent auf seinen überlebensfähigen Kern zurückgeschnitten werden, so dass die Mittel für eine nachhaltig erfolgreiche Neuaufstellung erwirtschaftet werden können.
Das ist beim aktuellen Konsumklima leichter gesagt als getan und wird Arbeitsplätze kosten. Und die Gläubiger Geld. Die Lieferanten müssen zugleich ein hohes Interesse daran haben, dass die Warenhäuser als Vertriebskanal funktionieren. Heute schon sind diese für manchen Anbieter der wichtigste Zugang in viele Innenstädte. Die eigenen Retail-Strategien der Industrie sind größtenteils gescheitert, und auch der Direktvertrieb im Internet ist – wenn man sich nicht unter die billigen No-Names auf den Online-Marktplätzen einreihen möchte – nur für die wirklich großen und bekannten Marken eine Option. Nicht zuletzt wird der milliardenschwere Galeria-Eigentümer seinen Beitrag leisten müssen. Das Signa-Finanzierungsmodell fußt auch auf regelmäßigen, gesicherten Überweisungen aus Essen. Insofern ist ein Investment in den Mieter im eigenen Interesse.