Diese Woche war Prime-Time. Amazon hat in vielerlei Hinsicht die Nachrichten dominiert. Der Prime Day (der diesmal 36 Stunden dauerte) hat ganz offensichtlich die hohen Erwartungen erfüllt. Im Vorfeld stand die Zahl von 3,4 Milliarden Dollar im Raum, eine Milliarde Umsatz mehr als zuletzt. Der Rubel rollte, und das trotz technischer Probleme. Die Server schmierten vor allem in den USA ab. So war die Website am Montag vielerorts über Stunden nicht erreichbar. Auch Alexa schaltete auf stur. Technisches Versagen im Kaufhaus Bezos? Das macht die gnadenlose Verkaufsmaschine direkt mal menschlich.
Ob die Gewerkschaften ihre Hände im Spiel hatten? Verdi & Co nutzten den Hype um den Schnäppchen-Tag für publikumswirksame Streik-Aktionen. Flankiert wurde das Ganze durch Medienberichte über Tote und Verletzte in den Logistikzentren des Online-Riesen. So musste in Großbritannien in den vergangenen drei Jahren wohl 600 Mal der Krankenwagen zu einem Amazon-DC ausrücken. Das Unternehmen konterte den Bericht des Guardian auf unnachahmliche Weise: Die Quote der Krankenwagenbesuche in den britischen Verteilzentren habe im letzten Jahr bei 0.00001 pro Arbeitsstunde gelegen, teilte Amazon mit, was – wie man auch ohne Mathestudium versteht – ziemlich wenig ist.
Die Börse ließ sich von all dem nicht die Laune verderben und schickte die Amazon-Aktie auf einen Höhenflug. Am Mittwoch war das Unternehmen erstmals mehr als 900 Milliarden Dollar wert. Jeff Bezos ist jetzt wieder der reichste Mann der Welt, und zwar mit Abstand.
Einen Ausblick auf die künftige Policy des Online-Riesen war, dass Amazon am Prime Day insbesondere die eigenen Produkte in den Vordergrund gestellt hat: Fire Tablets, Kindle readers und die diversen Echo devices. Auch bei Amazons Neuerwerb Whole Foods Market konnten Prime-Mitglieder erstmals Schnäppchen schießen (Bio-Erdbeeren waren der Renner). Zu den Top-Produkten gehörten auch Eigenmarken wie das Presto! Ultra Soft Klopapier und die Kurzarm-T-Shirt-Kleider mit V‑Ausschnitt von Daily Ritual. Amazon-Kunden mögen es in jeder Hinsicht bequem.
Interessant außerdem die Betrachtung der Renner-Produkte in den unterschiedlichen Märkten. Ob das womöglich Rückschlüsse auf die jeweiligen Konsumgewohnheiten zulässt? So kauften die Japaner Protein-Shakes mit Kakao-Geschmack (Muskeln aufbauen) und die Kunden in Singapur vor allem Cola Zero (Fett abbauen). Die Italiener shoppten Geschirrspül-Tabs und Bart-Trimmer (saubere Teller und Wangen), während in den USA DNA-Tests der Renner waren (Selbstfindung). Die Deutschen kauften massenhaft die Jamie Oliver-Pfanne von Tefal. Textilien werden in der Hitliste nicht genannt. Muss sich der hiesige Modehandel deswegen keine Sorgen machen?
Womöglich doch. Als erwünschter Nebeneffekt des Prime Days konnte Amazon die Zahl der Prime-Members massiv ausbauen. Das dürften inzwischen deutlich mehr als die 100 Millionen sein, die Amazon im April gemeldet hat. So zieht der Online Retailer immer mehr Menschen in sein Universum. Und die zahlen sogar dafür, dass sie bei diesem Kundenbindungsprogramm mitmachen dürfen. In den USA hat Amazon längst Google als Produktsuchmaschine Nummer 1 abgelöst, und vereinigt die Hälfte (49%) des Online-Umsatzes auf sich. Die weit abgeschlagene Nummer 2 ist Ebay mit 7% Marktanteil.
Weniger gefallen haben dürfte Amazon das aktuelle Urteil des OLG Frankfurt. Der Beautykonzern Coty will der Online-Parfümerie Parfumdreams untersagen, seine Produkte über den Amazon Marketplace anzubieten. Das OLG gab Coty diese Woche in erster Instanz recht, nachdem auch der Europäische Gerichtshof entsprechend geurteilt hatte. Parfumdreams will nun vor den BGH gehen. Wie immer in solchen Fällen lässt sich der Richterspruch nicht generalisieren, das Urteil bezieht sich ausschließlich auf Luxusprodukte.
Sind Birkenstocks Luxusprodukte? CEO Oliver Reichert würde das in diesem Zusammenhang vermutlich gerne gelten lassen. Das E‑Com-Medium Etailment trat gestern los, dass der Schuhhersteller nach der publikumswirksamen Aufkündigung der Zusammenarbeit nun doch wieder mit Amazon zusammenarbeite. Was Birkenstock flugs und unmissverständlich dementierte. Etailment war über etliche Birkenstock-Produkte auf der Amazon-Website gestolpert, die aber von Drittanbietern und aus dem Graumarkt stammen. Birkenstock mag Amazon nicht brauchen. Und Amazon braucht auch Birkenstock nicht, um Birkenstock-Schuhe zu vertreiben.
Warum die Plattformökonomie selektiven Vertrieb unmöglich macht, habe ich neulich bereits ausgeführt.
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