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Es gibt den Modehandel. Der verzeichnete im Deutschland 2024 im Schnitt einen Umsatz in Vorjahreshöhe. 2023 war auch schon nicht so toll, und sieht man die gestiegenen Kosten, war die Geschäftsentwicklung insgesamt eher unerfreulich.
Es gibt den deutschen Einzelhandel. Der legte 2024 um 2,2 Prozent zu. Was durchaus überraschend war. Der HDE hatte weniger prognostiziert. Für 2025 rechnet der Verband mit nominal 2 Prozent Zuwachs, was real annähernd Nullwachstum bedeutet.
Es gibt den Onlinehandel. Die Webshops wuchsen 2024 nach HDE-Angaben um 3,5 Prozent. Immerhin. Nach zwei Minusjahren scheint der E‑Commerce in Deutschland das Tal der Tränen jetzt hinter sich zu lassen.
Und es gibt Amazon.
Der US-Online-Gigant spielt längst in seiner ganz eigenen Liga. Das dokumentieren mal wieder die Ergebnisse, die das Unternehmen diese Woche vorlegte.
Amazon hat seinen Umsatz global um 11 Prozent bzw. 63 Milliarden auf sagenhafte 638 Milliarden Dollar gesteigert. Das ist annähernd so viel wie der komplette deutsche Einzelhandel umsetzt (664 Milliarden Euro laut HDE). In seinem stärksten Auslandsmarkt Deutschland steigerte Amazon die Erlöse um knapp 9 Prozent auf über 37 Milliarden Euro, das ist fast doppelt so viel wie vor Corona und viermal mehr als vor zehn Jahren. Bald jeder zweite Euro, der in Deutschland online ausgegeben wird (laut HDE sind das gut 88 Milliarden Euro), landet in den Kassen der Amerikaner. Wenn es hierzulande eine Konsumkrise gibt, dann ist Amazon nicht davon tangiert.
Und wo viele Omnichannel-Anbieter in ihrem Onlinekanal überwiegend Verluste generieren, ist das einst ewig defizitäre Amazon inzwischen eine Profitmaschine. Der Betriebsgewinn liegt bei über 68 Milliarden Dollar, 59 Milliarden bleiben nach Steuern übrig. Und es ist nicht so, dass der Online-Riese dieses Geld ausschließlich über seine florierende AWS-Sparte verdient. Alle Geschäftsbereiche – der Onlinehandel, das stationäre Geschäft (v.a. Whole Foods), der Marketplace, das Abogeschäft (Prime) und das rasant wachsende Retail Media-Business – sind profitabel.
„Amazon wird eines Tages scheitern. Wenn man sich große Unternehmen ansieht, beträgt ihre Lebensdauer heute in der Regel nicht mehr 100, sondern allenfalls 30 Jahre."
Vor Jahren wurde in den einschlägigen Fachmedien darüber spekuliert, wann Amazon seinen Peak erreicht. Es sieht nicht danach aus, als sei dies bald der Fall. Allein die Tatsache, dass gut 60 Prozent des Amazon-Geschäfts immer noch in den USA erwirtschaftet werden, zeigt, welches Potenzial es noch zu heben gibt. Auch international ist man seit 2024 in den schwarzen Zahlen.
Gibt es denn nichts und niemanden, der Amazons Vormarsch gefährdet?
Ein Blick in die vielen eng bedruckten Seiten des aktuellen Risikoberichts zeigt, dass Amazon grundsätzlich keine anderen Herausforderungen hat als alle anderen Marktteilnehmer. In dem Maße, wie man in neue Märkte drängt, bekommt man es freilich mit neuen Mitbewerbern zu tun. Mit Bekleidung erzielt Amazon sicherlich relevante Umsätze, die Plattform hat zugleich aber kein wirkliches Profil als Modeanbieter. Die rasant wachsenden chinesischen Anbieter wie Temu und Shein kombinieren die Plattformidee mit einem preisaggressiven M2C-Geschäftsmodell. TikTok-Shop krönt das auch noch mit einer individualisierten und spielerischen Kundenansprache.
Gefahren drohen von staatlichen Eingriffen – die Megamärkte China und Indien schützen ihre Märkte durch Regulierungen. Dass Amazon in den USA aufgrund von Anti-Trust-Regeln zerschlagen werden könnte, ist unter der neuen Regierung zumindest nicht wahrscheinlicher geworden. Und der KI-Boom, der viele Märkte in den kommenden Jahren durcheinanderwirbeln wird, ist für Amazon sicher mehr Chance als Risiko.
So kann der Konzern vorläufig höchstens sich selbst ein Bein stellen und an der eigenen Komplexität und Größe scheitern. Weswegen Jeff Bezos den mehr als 1,5 Millionen ‚Amazonians‘ den Day One-Spirit verschrieben hat. „Nur wer an jeden neuen Tag so herangeht, als sei er der erste, vermeidet Trägheit und bleibt innovativ“, so das Credo des Amazon-Gründers. „Der zweite Tag steht für Stillstand, gefolgt von Irrelevanz, gefolgt von qualvollem Niedergang.“ Zugleich ist der 61jährige Realist: „Ich sage voraus, dass Amazon eines Tages scheitern wird. Wenn man sich große Unternehmen ansieht, beträgt ihre Lebensdauer heute in der Regel nicht mehr 100, sondern allenfalls 30 Jahre."
So gesehen hat Amazon sein Verfallsdatum 2024 bereits erreicht.