Nicht über Nacht natürlich. Aber dieser Tage wurde es gewissermaßen amtlich: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Modefachhändler in Deutschland um ein Drittel gesunken, meldet der BTE. Von über 35.000 Betrieben auf unter 23.000. Vor allem kleine Läden sind vom Markt verschwunden, der Marktanteil der Unternehmen mit unter 5 Mill. Euro Jahresumsatz sank um mehr als ein Viertel auf 28 Prozent. Die 26 Großunternehmen mit über 100 Mill. Euro Umsatz bauten dafür ihren Anteil um fast 12 Prozentpunkte auf 48 Prozent aus. Insgesamt setzte der Bekleidungsfachhandel dem BTE zufolge laut Umsatzsteuerstatistik 2010 rund 26,5 Mrd. Euro um, zehn Jahre zuvor waren es noch 27,4 Mrd. Euro.
Diese nackten Zahlen zeigen allein schon, welche gewaltigen Verschiebungen es im Modehandel gegeben hat und anhaltend gibt. Dramatischer noch wird das Bild dieses Strukturwandels, wenn man sich die Entwicklung einzelner Geschäftsmodelle und Betriebstypen ansieht. Das hat die Unternehmensberatung Team Retail Excellence getan und kürzlich in ihrem Blog Retail Intrapreneur publiziert.
Danach sind die Multibrand Retailer die großen Verlierer des Strukturwandels, während die vertikalen Systeme immer weiter auf dem Vormarsch sind. Der Omnichannel-Vertrieb wird die Vertikalisierung weiter beschleunigen.
Das ist nun alles keine wirklich neue Erkenntnis. Aber Team Retail Excellence untermauert diese Entwicklung mit eindrucksvollen Zahlen. Im Jahr 2000 war der stationäre Multibrand-Handel mit 29 Prozent Marktanteil bzw. 9,9 Mrd. Euro Umsatz das dominante Geschäftsmodell im Bekleidungshandel – Unternehmen wie P&C, SinnLeffers, die Warenhäuser sowie die traditionellen Fachgeschäfte. Zehn Jahre später bilden die vertikalen Filialisten wie H&M oder Zara mit 10,6 Mrd. Euro die Spitze der Branche.
Weil der Fachhandel als Vertriebskanal zunehmend enger wird, setzen viele Lieferanten auf Direktvertrieb über eigene Läden und kontrollierte Flächen. Was die Konkurrenzsituation für die etablierten Händler zusätzlich verschärft. Der Marktanteil der (semi)vertikalen Wholesaler liegt inzwischen nach Berechnungen von Team Retail Excellence bei immerhin 5 Prozent. Plakativer noch: 2010 verfügten deutsche und internationale Brands über mehr Verkaufsfläche als die 15 größten Multibrand-Filialisten.
Das schnelle Flächenwachstum der Vertikalen wurde durch die Expansion der Shopping-Center erst möglich. So wuchs die innerstädtische Einzelhandelsfläche in einer Größenordnung von 200 Alsterhäusern. Die Shopping Center haben die Alles-unter-einem-Dach-Funktion der Warenhäuser übernommen.
Dass die Lieferanten sich bei ihren Direktvertriebsaktivitäten nicht immer leicht tun und der eigene Retail in der Profitabilität meist gegenüber dem Wholesale zurückbleibt, ist für die Fachhändler nur ein schwacher Trost. Dazu hatte ich vor längerer Zeit schon mal ein Gespräch mit dem Autor der Studie, Guido Schild, geführt.
Schreibt man die Entwicklung fort, dann wird der stationäre Multilabel-Handel nach Einschätzung von Team Retail Excellence weiter Marktanteile verlieren. Mit dem aufkeimenden Online Retailing eröffnet sich der Industrie ein weiteres Wachstumsfeld. 2020 werden sich die Umsätze des traditionellen Wholesale gegenüber 2000 halbiert haben, prognostiziert die Studie. Gewinner ist, wer omnichannelfähig ist, also den vernetzten Vertrieb über mehrere Kanäle beherrscht.
Und nun? Was tun?
Das Verdienst solcher Studien ist, dass sie langfristige Entwicklungen aufzeigen, die man als Akteur und/oder Investor auf diesem Markt im Blick haben sollte und auf die man sich einstellen kann. Man darf aus der makroökonomischen Perspektive indes nicht auf die grundsätzliche Chancenlosigkeit bestimmter Geschäftsmodelle schließen. Das gilt zumal im Modehandel, der immer auch ein lokales und individuelles Business ist. Natürlich gibt es Trends wie die zunehmende Zentralisierung des Modeshopping, unter der viele Kleinstädte leiden, und die dem Handel vielerorts das Überleben schwer machen. Aber grundsätzlich gibt es keine guten oder schlechten Betriebstypen. Sondern nur gute oder schlechte Unternehmen.
Breuninger macht auch als Warenhaus hervorragende Geschäfte. P&C ist, obwohl ein kostenintensives Multilabel-Business, hoch profitabel. Garhammer in Waldkirchen oder CJ Schmidt in Husum kann der Marktanteil von H&M ziemlich wurscht sein, so lange man die Kunden so bedient, dass sie gerne wiederkommen. Unger in Hamburg oder Eickhoff in Düsseldorf werden, solange sie nicht einschlafen, immer mehr Geld verdienen als die Luxus-Monomarkenstores um sie herum. Und es müssen bestimmt nicht alle Modeanbieter omnichannel-fähig sein. So wie Amazon und Zalando auf stationäre Geschäfte tunlichst verzichten sollten, muss auch Ernas Boutique nicht zum Online Retailer werden, um ihre Kunden glücklich zu machen.
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