In welcher Stimmung fährt die Branche kommende Woche nach Berlin? Legt man die Geschäftsentwicklung dieses Frühjahrs zugrunde in keiner guten. Man muss gar nicht die TW zitieren, die für den Modehandel im ersten Halbjahr ein dickes Umsatzminus vermeldet. Ein Gang durch die Fußgängerzone reicht, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie es in den Bilanzen aussieht. Seit Wochen ist Sommerschlussverkauf, dabei hat der Sommer gerade erst begonnen. Dass die Preise immer früher immer stärker reduziert werden, ist nicht neu und ein viel beklagter Umstand. Mode-Angebot und ‑Nachfrage driften in unserem Markt seit Jahren auseinander. Wobei es müßig ist, darüber zu streiten, ob die Verkaufsflächen und die Konkurrenz zu stark gewachsen oder ob das Interesse an Mode und die Ausgabebereitschaft der Kunden für Bekleidung gesunken ist. Beides hängt zusammen, und wahrscheinlich bedingt der Überfluss zugleich auch den Überdruss.
Spezifische Faktoren wie das weggebrochene Russland-Geschäft und der schwache Euro treiben den Modemanagern zusätzlich Sorgenfalten in die Stirn. Gleichzeitig liest man von zweistelligen Wachstumsraten bei Zalando und Amazon. Und der Vormarsch vertikaler Player wie Primark, Inditex und H&M scheint ebenso ungebremst. All das passiert vor dem Hintergrund einer Konsumkonjunktur, die in Deutschland eigentlich bestens ist. Wer eine wirkliche Krise erleben möchte, sollte nach Griechenland fahren.
Umso stärker überkommt einen da das Gefühl, dass sich im Modemarkt zurzeit etwas grundsätzlich verschiebt, dass viele der etablierten Geschäftsmodelle in Frage gestellt sind und dass demnächst neue Spielregeln gelten. Die Mode ist nicht tot, wie Li Edelkoort neulich publikumswirksam postuliert hat. Die Digitalisierung verändert aber die Mechanismen des Modesystems – die Art und Weise, wie Trends entstehen und kommuniziert werden. Es verändern sich die Methoden, wie Mode entwickelt, vermarktet und vertrieben wird. Die Veränderung betrifft nicht zuletzt die Produkte selbst – als Wearables bekommen Kleidung und Accessoires neue Funktionen. Die Inkubatoren im Silicon Valley haben dieses neue Spielfeld längst betreten. Anita Tillmann gebührt das Verdienst, diesem Thema mit der FashionTech-Veranstaltung nunmehr zum dritten Mal eine Bühne in Berlin zu geben.
Ansonsten wird die Modebusiness-Revolution nächste Woche unmittelbar keine große Rolle spielen. Am Ende wird man höchstwahrscheinlich wieder von guter Stimmung lesen, und das wird noch nicht einmal falsch sein. Krise ist der normale Aggregatzustand einer Branche, die seit nunmehr zwei Dekaden fast jedes Jahr Umsatz verloren hat. Und die einen massiven Strukturwandel erlebt. Die Vertikalisierung zielt auf die Eliminierung der klassischen Einkaufs- und Vertriebsstrukturen im Modebusiness. Dies betrifft auch die Messen, denen mit dem rückläufigen Multilabel-Geschäft die Basis wegbricht.
Trotzdem ist in Berlin eine vitale Messeszene entstanden. Es geht dort um Information und Kommunikation, was im hochriskanten Modegeschäft essentiell bleibt. Es geht um Inspiration, wovon die Hauptstadt auch jenseits der Messegelände mehr zu bieten hat als jede andere Stadt in Europa. Und es geht um Motivation und die Selbstbestätigung, Teil einer tollen Branche zu sein.
Berlin wird überdies zeigen, dass der Messestandort auch ohne eine starke Bread & Butter funktioniert. Die wird womöglich das letzte Mal im Messereigen stattfinden. Januar und Juli ergeben als Termin für ein Endverbraucherfestival keinen Sinn. Seek, Premium, Panorama und die anderen Plattformen werden die messewilligen Aussteller schon aufnehmen. Egal kann das den B2B-Messen trotzdem nicht sein. Denn die Zalando-Veranstaltung wird Budgets abziehen und große Brands womöglich vor Entscheidungen stellen. Im Zalando Fashion House im Kaufhaus Jandorf kann man nächste Woche vielleicht mehr erfahren.
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