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Blazertagswahl: Eine Stilkritik

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Jürgen Müller

Nicht mehr lange, dann ist die Pantone-Kanzlerin Geschichte. Was bleibt, wenn Angela Merkel geht?

Auf jeden Fall die Blazer-Hosen-Kombination, die Politikerinnen davon entlastet, sich mit scheinbaren Nebensächlichkeiten wie Mode befassen zu müssen. Darauf hat Andrea Nahles vor Jahren mal hingewiesen. Welches Lob kann eine CDU-Kanzlerin von einer SPD-Politikerin auch erwarten? Tatsächlich entsprach Merkels Style stets der Erwar­tungs­hal­tung der Deut­schen an ihre Poli­ti­ker: Seri­ös und kor­rekt, unauf­fäl­lig bis lang­wei­lig und so Trivialem, wenn nicht gar Fri­vo­lem wie der Mode nicht zu viel Auf­merk­sam­keit schen­kend. Zudem schmeichelt Merkels Look der Figur, und die modische Indifferenz passt irgendwie auch zu ihrer spröden Rhetorik.

Merkels Look ist das Ergebnis eines Anpassungsprozesses. Als Kohls Mädchen nahm sie anfangs kaum einer ernst, was nicht zuletzt an ihrem Zonen-Gaby-Look lag. Anna von Griesheim und vor allem Bettina Schoenbach sorgten dann für eine maßgeschneiderte Runderneuerung. Von da an machten ihre Outfits nur noch selten Schlagzeilen. Eine Ausnahme war das tief ausgeschnittene Kleid bei der Operneröffnung in Oslo, wo mancher plötzlich feststellte: Huch, unser Kanzler ist ja eine Frau! Eigenen Geschmack zeigt Merkel möglicherweise nur im Urlaub obwohl man auch da nicht sicher sein kann. Denn mit den Outdoor-Klamotten, die sie und Ihr Mann Joachim Sauer beim Wandern tragen, befinden sich die beiden ebenfalls in bester deutscher Gesellschaft.

Dass Politikerinnen immer noch stärker nach der Optik beurteilt werden als ihre männlichen Pendants, mag man sexistisch finden. Die Männermode macht es mit ihren uniformen Anzügen aber auch leichter, sich „korrekt“ zu kleiden. Politiker fallen allenfalls mit gelegentlichen Fauxpas‘ auf. So wie seinerzeit Gerhard Schröder mit seinem Ich hab‘s geschafft-Shooting in Brioni. Oder Armin Laschet, der im Ahrtal nicht nur mit unpassendem Gekicher, sondern auch durch seine Schuhwahl auffiel. Auf der anderen Seite könnte Laschet übers Wasser gehen, und die Leute würden noch maulen, dass er wohl nicht schwimmen könne.

Wie schmal der Grat ist, auf dem auch männliche Politiker wandeln, zeigt unser Noch-Außenminister. Heiko Maas macht mit seinen gut sitzenden Anzügen outfittechnisch alles richtig; gleichzeitig bieten diese bei seinen schmalbrüstigen Auftritten zusätzlich Angriffsfläche. Ansonsten geben sich Politiker, die personal branding über die Optik betreiben, schnell der Lächerlichkeit preis. Bestes Beispiel: Anton Hofreiter, der mehr für seine Frisur als für seine Inhalte bekannt ist. Auch Karl Lauterbachs Fliegen ließen ihn als den nerdigen Professor erscheinen, der er wohl auch ist. Seit der Corona-Krise hat er den Halsschmuck nicht mehr nötig, um sich zu exponieren.

Die Kanzlerin beherrscht mit ihren Blazern das Spiel: die Farbwahl wurde immer wieder als subtile Botschaft gedeutet. Sie selbst hat das stets bestritten, klar.

Selten haben deutsche Politiker ein modisches Signal so gekonnt eingesetzt wie Joschka Fischer: Mit den weißen Nikes, die er 1985 bei seiner Vereidigung als hessischer Umweltminister trug, machte er deutlich, dass jetzt eine neue Zeit beginnt. Auch die Kanzlerin beherrscht mit ihren Blazern das Spiel: die Farbwahl wurde immer wieder als subtile Botschaft gedeutet. Sie selbst hat das stets bestritten, klar.

Mit Sicherheit ist es so, dass die Mode für Frauen ein selbstverständlicheres Stilmittel ist und ihnen mehr Möglichkeiten zur visuellen Kommunikation bietet. Das birgt Chancen, und es bringt Risiken mit sich. So versuchen Saskia Eskens neue Stylisten augenscheinlich, die grimmige SPD-Vorsitzende milder erscheinen zu lassen. Wenn Sie jetzt noch einen Hochdeutsch-Kurs bucht, wird sie eines Tages vielleicht tatsächlich ministrabel sein. Sahra Wagenknecht wirkt mit ihrer Rosa Luxemburg-Frisur seltsam aus der Zeit gefallen. Halt so wie der Kommunismus. Alice Weidel gibt mit ihren Kostümen und Perlenketten und der blasierten Empörung die elegante Wutbürgerin. Deutschland, aber normal? Vielleicht sollte sich die AfD mal in den Fußgängerzonen umschauen, wie Normalität heute aussieht.

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär möchte ihre betont weiblichen Auftritte auch als emanzipatorisches Statement verstanden wissen. Gerade wurde die begeisterte Instagramerin in der SZ wieder als „Cheerleaderin der Digitalisierung“ geschmäht. Solche Häme hat nicht nur mit den Versäumnissen der Regierung in Sachen Digitalisierung zu tun. Vielleicht passen Hoodies und Sneakers einfach eher zu diesem Amt. Ganz gut macht es übrigens Annalena Baerbock. Die Kanzlerkandidatin der Grünen ist beileibe kein Mode-Opfer. Mit ihren Kleidern und den hochhackigen Schuhen empfiehlt sie sich aber als eindeutig weibliche Alternative zu den Status Quo-Männern.

Mit zunehmender Nutzung sozialer Netzwerke werden visuelle Botschaften, wie sie die Mode transportiert, immer relevanter. Das gilt eben auch in der Politik, manchmal ziemlich platt. Wenn Alexandria Ocasio-Cortez vergangene Woche beim Met Ball „Tax the Rich“ auf ihr Kleid pinselt, dann richtet sich dies nicht an die anderen Gäste, sondern vor allem an die globale Twitter- und Facebook-Community. Das gleiche gilt für die schwarze Balenciaga-Kluft von Kim Kardashian, die als Kommentar auf die Machtübernahme der frauenfeindlichen Taliban verstanden werden kann.

Zu so einem Auftritt auf dem roten Teppich gehört freilich nicht halb so viel Mut wie die Frauen in Afghanistan haben müssen, die unter #donottouchmyclothes in landestypischer bunter Kleidung gegen ihre Unterdrückung protestieren.