Passiert large

Lohnfortzahlung im Corona-Fall?

Jür­gen Mül­ler

Die #Pay­Y­our­Wor­kers-Kam­pa­gne, die die­se Woche star­tet, lenkt den Blick auf die Fol­gen der Coro­na-Kri­se für die Pro­duk­ti­ons­län­der. Und die sind hef­tig. Nach­dem das Virus den sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­del in vie­len Märk­ten zur Voll­brem­sung gezwun­gen hat, lei­det die soge­nann­te tex­ti­le Pipe­line unter aku­ter Ver­stop­fung. Es ist so viel Ware am Markt, dass – zumin­dest theo­re­tisch –  erst­mal kei­ne neue mehr pro­du­ziert wer­den müss­te. Das pas­siert natür­lich nicht, aber Han­del und Indus­trie haben ihre Orders in Asi­en mas­siv redu­ziert. Ent­spre­chend wer­den die Kapa­zi­tä­ten in der Pro­duk­ti­on run­ter­ge­fah­ren.

Wäh­rend die Beschäf­tig­ten hier­zu­lan­de über Kurz­ar­beit etc. abge­si­chert sind, fal­len die Nähe­rin­nen und Tex­til­ar­bei­ter in Ban­gla­desch oder Indo­ne­si­en ins Boden­lo­se. Dort machen die Besit­zer ihre Fabri­ken ein­fach zu, und die Men­schen, die schon bei Voll­be­schäf­ti­gung in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen leben, ste­hen jetzt häu­fig ohne jedes Ein­kom­men da. Die #Pay­Y­our­Wor­kers-Kam­pa­gne, an der rund 200 NGOs und Gewerk­schaf­ten aus 37 Län­dern betei­ligt sind, for­dert des­halb nun, dass Retail­er und Brands Lohn­fort­zah­lungs­ga­ran­tien geben und einen Garan­tie­fonds für Abfin­dungs­zah­lun­gen ein­rich­ten.

Die­se For­de­rung erzielt Wir­kung vor dem Hin­ter­grund der jüngs­ten Bilanz­ver­öf­fent­li­chun­gen von Mode­un­ter­neh­men, inso­fern haben die Initia­to­ren ihre Kam­pa­gne cle­ver getimt. Die Glo­bal Play­er in unse­rer Indus­trie haben – soweit sie sta­tio­när unter­wegs sind – 2020 zwar alle­samt mas­siv weni­ger ver­dient. Aber unter dem Strich ste­hen immer noch ordent­li­che Sum­men, jeden­falls aus Sicht von Lies­chen Mül­ler: H&M ver­dien­te im Coro­na-Jahr 123 Mil­lio­nen, Pri­mark 362 Mil­lio­nen, Adi­das 429 Mil­lio­nen, Indi­tex 1,5 Mil­li­ar­den. Zalan­do hat sein EBIT sogar auf 429 Mil­lio­nen Euro ver­dop­pelt. Was für Gewerk­schaf­ter nur auf dem Rücken der Beleg­schaf­ten zustan­de gekom­men sein kann, hono­rie­ren die Anle­ger: Der TW-Mode­ak­ti­en­in­dex leg­te in der ver­gan­ge­nen Woche mit 6,9% im Ver­gleich zum DAX weit über­durch­schnitt­lich zu.

Natür­lich zeigt sich in der Kri­se ganz beson­ders, was von den CSR-Beteue­run­gen der Indus­trie zu hal­ten ist. Man darf sich da nichts vor­ma­chen: Wo es exis­ten­zi­ell wird, ist sich jeder selbst der Nächs­te und Asi­en erst­mal weit weg. Wenn das Geschäft zusam­men­bricht, Arbeit­neh­mer ihren Arbeits­platz behal­ten, Ver­mie­ter Mie­ten und Share­hol­der Value wol­len, dann ste­hen Sus­taina­bi­li­ty und Social Respon­si­bi­li­ty in den Pro­duk­ti­ons­län­dern auf der Prio­ri­tä­ten­lis­te bestimmt nicht ganz oben. Auch wenn ande­res behaup­tet wird. Sich nach dem Mili­tär­putsch aus Myan­mar zurück­zu­zie­hen, ist in der aktu­el­len Situa­ti­on jeden­falls kei­ne Ent­schei­dung, die beson­ders weh tut. Und wenn Mode­un­ter­neh­men Nach­hal­tig­keits­an­lei­hen bege­ben, dann hat das weni­ger mit Gut­men­schen­tum zu tun als mit cle­ve­rer Finan­zie­rung von in der Regel bereits ver­ab­schie­de­ten Vor­ha­ben. Selbst ein Lie­fer­ket­ten­ge­setz kann man öffent­lich­keits­wirk­sam begrü­ßen, wenn die Lie­fer­ket­te kaum aus­ge­las­tet ist.

Und so wird auch bei #Pay­Y­our­Wor­kers der Schwar­ze Peter letzt­lich wei­ter­ge­reicht wer­den. Die NGOs sehen die Ver­ant­wor­tung zur Besei­ti­gung von sozia­len Miss­stän­den bei den Mode­mar­ken. Die Mode­mar­ken ver­wei­sen auf die loka­len Fabri­kan­ten, die für die ange­mes­se­ne Ent­loh­nung sor­gen müs­sen. Die Fabri­kan­ten kön­nen sich hin­ter den Poli­ti­kern ver­ste­cken, die die Geset­ze machen. Und alle zusam­men kön­nen mit dem Fin­ger auf die Kon­su­men­ten zei­gen, die bei ihrer Jagd nach Schnäpp­chen Men­schen­le­ben in der Drit­ten Welt buch­stäb­lich in Kauf neh­men.

Das Pro­blem ist: Alle zusam­men sind ver­ant­wort­lich. Und wer aus dem Sys­tem aus­schert, zahlt drauf. Das kön­nen sich die aller­we­nigs­ten leis­ten.

Die Coro­na-Kri­se wird die wirt­schaft­li­chen Zwän­ge eher noch ver­stär­ken. Kann schon sein, dass die unfrei­wil­li­ge Kauf­pau­se bei man­chem Ver­brau­cher den Sinn für Nach­hal­tig­keit und bewuss­te­ren Kon­sum geschärft hat. Was für die auf Mas­sen­pro­duk­ti­on aus­ge­rich­te­ten Fabri­ken in Ban­gla­desch oder Paki­stan auch kei­ne gute Nach­richt wäre. Min­des­tens eben­so wahr­schein­lich ist das Gegen­teil, und das nicht nur, weil die Arbeits­lo­sig­keit hier­zu­lan­de stei­gen und die Kon­sum­aus­ga­ben damit womög­lich sin­ken wer­den.

Auch der Online-Shift wird Fol­gen haben. Wer Coro­na zynisch als über­fäl­li­ge Kathar­sis eines ver­kom­me­nen Sys­tems begrüßt, über­sieht, dass die aktu­el­len Markt­an­teils­ge­win­ne der Online Play­er am Ende zu mehr Wett­be­werb und Preis­druck füh­ren wer­den. Der dar­aus resul­tie­ren­de Kos­ten­druck wird sich auch auf die Beschaf­fung aus­wir­ken. Das ist ein Grund, wes­halb vie­le Unter­neh­men mas­siv in die Digi­ta­li­sie­rung ihrer Order- und Pro­dukt­ent­wick­lungs-Pro­zes­se inves­tie­ren. Das wird die Sup­p­ly Chain ohne Zwei­fel effi­zi­en­ter machen. Aber es wird eher zum Abbau von Arbeits­plät­zen füh­ren als zu höhe­ren Löh­nen in der Pro­duk­ti­on.