Samstag, 17. April. Die Diskussion, die über die Zukunft der Innenstädte entbrannt ist, zeigt, welche Bedeutung der Einzelhandel für deren Funktion und Charakter hat. Die Städte sind historisch gesehen seit jeher das Terrain der Kaufleute, Läden prägen dort seit Jahrzehnten das Bild. Das ist nicht in jedem Fall zum Vorteil, aber man kann und mag es sich eigentlich nicht anders vorstellen. Die Corona-Krise wird dieses Bild massiv verändern. Nach dem Lockdown werden die Schäden in den Fußgängerzonen und Stadtvierteln zu besichtigen sein. Um eine ungefähre Idee vom künftigen Leerstand zu bekommen, muss man ja nur aufmerksam die Fachpresse verfolgen. Allein diese Woche haben mit Hallhuber und Pimkie zwei Ketten Vollzug bei der Sanierung gemeldet. Beide werden mit deutlich ausgedünntem Filialsystem weitermachen, und sie sind nicht die Einzigen. Es gibt wohl kaum einen Retailer, der Ende dieses Jahres nicht weniger Filialen betreiben wird als vor Ausbruch der Krise. Von insgesamt 120.000 Ladenschließungen spricht der HDE.
Hinter dem Rückzug aus vielfach überteuerten Mietobjekten steht auch ein strategisches Umdenken bei den großen Retail Brands; diese werden künftig sehr viel stärker auf ihre Online-Präsenz setzen. Für die Immobilieneigentümer verheißt das nichts Gutes. Statt Miete zu zahlen, überweisen die Händler das Geld künftig an Google, Amazon oder Zalando. Das Mietniveau wird deshalb vielerorts sinken müssen. Nach den großen Einzelhändlerinsolvenzen werden wir demnächst womöglich Pleiten in der Handelsimmobilienszene sehen, insbesondere wenn diese Unternehmen sich über Fremdkapital finanzieren und Zusagen an die Kreditgeber nicht mehr einhalten können.
Auf lange Sicht steckt darin eine Chance. Denn die Handels-Monokultur, die wir in vielen Städten leider haben, ist ja nur deswegen entstanden, weil sich nur noch wenige vergleichsweise große Player, sehr häufig Modehändler, die teilweise irrwitzig steigenden Mieten leisten konnten bzw. sich beim Expansionspoker gegenseitig hochgejazzt haben. Jetzt wird es neuen Platz geben für alternative Angebote – gemischte Nutzungen, Gastronomie, vielleicht sogar dringend benötigten Wohnraum – die viele Standorte langfristig attraktiver machen könnten. Häufig genug wird das aber auch wieder Einzelhandel sein. Voraussetzung ist, dass die Hausbesitzer nicht blind nur an Kik, Woolworth, TK Maxx und Konsorten vermieten, wo die Expansionsleiter bereits mit den Hufen scharren, auch weil für diese stationären Billigheimer der Weg ins Internet keine profitable Wachstumsoption ist. Es gibt Alternativen. So nutzen Online Player wie Rose Bikes oder Mister Spex die Gelegenheit, ihre stationäre Präsenz auszubauen. Zalando eröffnet ein Outlet nach dem anderen. In London hat Amazon gerade einen Friseursalon eröffnet. Auch lokale Platzhirsche können ihr Revier erweitern. Und wo Ladenflächen wieder bezahlbar werden, erleben wir in Nebenlagen und Stadtteilen womöglich eine Gründerwelle mit spannenden neuen Ladenkonzepten.
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Montag, 19. April. Jil Sander wechselt mal wieder den Besitzer. Nach Prada, Change Capital und Onward versucht jetzt Renzo Rosso mit seiner OTB Holding sein Glück. Die Einzige, die zur Zeit Geld mit ihrer Marke verdient, ist die 77jährige Jil Sander selbst. Ihre +J‑Kollektion ist aktuell bei Uniqlo erhältlich.
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Dienstag, 20. April. Alle wollen nachhaltige Mode, aber zu wenige wollen dafür bezahlen. Das ist nun keine neue Erkenntnis. Jetzt hat man es auch bei Zalando Schwarz auf Weiß. In einer eigens aufgelegten Studie – pünktlich zur Fashion Revolution Week – zeigt sich dieser von Zalando neudeutsch betitelte „Attitude-Behavior-Gap“: Die Leute halten Nachhaltigkeit für wichtig, aber die wenigsten informieren sich im Vorfeld eines Kaufs über die Herstellungsbedingungen. Vielleicht ist das auch einfach zu viel verlangt. Weswegen Zalando das jetzt technisch angeht und in seinem Webshop eine Filterfunktion für nachhaltige Kriterien wie Emissionen, Wasserverbrauch, Tierwohl und Arbeitsbedingungen anbietet. Man kann natürlich herumkritteln, welche Kriterien der jeweiligen Einordnung zugrunde liegen. Aber der Weg ist der richtige. Der Report beinhaltet auch zehn Empfehlungen an die Modebranche. Die Lektüre sei empfohlen.
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Donnerstag, 22. April. So geht Politik: Eigentlich findet jeder das Gesetz jetzt Mist. Aber die Bundes-Notbremse wurde trotzdem verabschiedet. Die einheitlichen Regeln treten damit ab Samstag in Kraft. Bis zum 30. Juni müssen wir nun zwangsweise weiter auf die Virologen hören. In ein paar Monaten interessiert uns dann hoffentlich wieder mehr, was die Meteorologen sagen.