Diese Woche traf sich in Berlin der "future retail". Und in Bielefeld trafen sich die Anderen. Beide werben um dieselbe Kundschaft. Trotzdem wähnte man sich als Besucher in verschiedenen Welten.
Rund 4000 Besucher kamen zur Digitalkonferenz K5, wobei gefühlte 90 Prozent Dienstleister waren, die den Einzelhändlern der Zukunft etwas verkaufen wollen. Aber das nur am Rande. Tatsächlich sehen die Onliner sich nach einem guten Jahrzehnt exorbitanten Wachstums mit der harten Realität konfrontiert. "Krise" war bislang ein Fremdwort auf Digitalkonferenzen, bei der K5 war es allgegenwärtig. "Nicht der Onlinehandel ist in der Krise. Der Onlinehandel ist in einer Wirtschaftskrise", so der Gründer der K5, Jochen Krisch. Damit hat er natürlich recht, und wenn man sich als Stationärer, der gerade vom Lockdown wiederauferstanden ist, die Wachstumsraten der Digitalen ansieht, wünscht man sich womöglich so eine Krise.
Aber die Rahmenbedingungen ändern sich. Allen voran die Zinsentwicklung. Die Nullzinspolitik der vergangenen Jahre hat dafür gesorgt, dass Kapital nahezu grenzenlos verfügbar war. Startups konnten damit Marktanteile erobern, buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste. Mit dieser Wettbewerbsverzerrung ist nun langsam Schluss. Investoren werden sich jedenfalls dreimal überlegen, wo sie in der Hoffnung auf künftige Monopolprofite ihr Geld verbrennen sollen.
Zweiter Faktor ist das Konsumklima. Das ist laut GfK auf einem historischen Tiefststand. Die Preisexplosion bei Energie und Lebenshaltung lässt die Menschen bei "unnötigen" Ausgaben sparen. Die Kaufzurückhaltung trifft die Online Retailer unmittelbar. Aktuellstes Beispiel ist Zalando, das vergangene Woche seine Jahresprognose kassiert hat, was die Aktie abstürzen ließ.
All das wird zur Folge haben, dass viele Onliner ihre grundsätzliche Strategie revidieren werden müssen: Nicht mehr Wachstum um jeden Preis, sondern Cashflow und Profitabilität sind Trumpf. Willkommen in der Realität! Die Stationären sind seit jeher dort!
Es war schon immer falsch und ist vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung erst recht verfehlt, die Stationären abzuschreiben. Es ist ja nicht so, dass Online Retail per se profitabler wäre als ein gut geführtes stationäres Geschäft.
Die meisten Modehäuser haben in den vergangenen Monaten alles in allem ordentliche Geschäfte gemacht. Das bestätigte die Katag-Cheftagung in Bielefeld. Längst nicht alle, aber auch nicht wenige haben das vorpandemische Umsatzniveau wieder erreicht. Der Lockdown war für Unternehmer und Beschäftigte eine grauenhafte Ausnahmesituation. Aber wirtschaftlich haben viele Firmen die Krise dank staatlicher Hilfen am Ende mit einem blauen Auge überstanden. 71 Milliarden hat die Regierung insgesamt an Hilfen ausgegeben, so Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem heftig beklatschten Auftritt vor den politisch den Grünen vermutlich weniger nahestehenden Mittelständlern. Wohl dem auch, der im Lockdown über ein ausreichendes Eigenkapitalpolster verfügte. Und wer in eigenen Immobilien sitzt, kam auch liquiditätsmäßig besser klar als Filialisten, die hunderte Mietverträge bei ECE & Co bedienen mussten.
Es war schon immer falsch und ist vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung erst recht verfehlt, die Stationären abzuschreiben. Es ist, wie alle wissen, ja nicht so, dass Online Retail per se profitabler wäre als ein gut geführtes stationäres Geschäft. Wo die einen Millionen an Google überweisen und teures Retention Marketing betreiben müssen, punkten die anderen mit persönlichen Kundenbeziehungen und lokaler Kundennähe. Man muss sich nur mal den Nachhaltigkeitsbericht von L&T durchlesen, um zu erfassen, welche Bedeutung so ein Unternehmen für Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur an seinem Standort hat. Auch beim Jubiläum von Garhammer neulich in Waldkirchen war das für alle hautnah zu spüren.
Natürlich müssen auch solche Unternehmen dranbleiben. Das ist angesichts disruptiver Marktveränderungen nicht einfacher geworden. Aber die Digitalisierung bringt eben nicht nur neue Konkurrenz, sondern bietet auch neue Möglichkeiten.
Ob es immer Omnichannel sein muss? Bei der K5 war dazu Unterschiedliches zu hören. "Omnichannel funktioniert in der Wüste", witzelte Alexander Graf, "denn da müssen die Leute wegen der Hitze in die Mall." Auf der anderen Seite: Wo stünde Breuninger ohne seine 700 Millionen Onlineumsatz?
Tradition allein ist noch keine Daseinsberechtigung. Aber wer über Generationen vernünftig gewirtschaftet hat, dürfte eine gewisse Resilienz gegenüber Disruptionen erworben haben.
Mancher "future retailer" könnte dagegen schon bald Vergangenheit sein.