"Alles gut?" Abgesehen davon, dass auf diese weit verbreitete Standardbegrüssung niemand eine ernsthafte Antwort erwartet, ist natürlich nie alles gut. Im Modebusiness nicht, und auf der Fashion Week schon gar nicht. Zum Small Talk auf den Modemessen gehört seit jeher das Schimpfen über selbige. Da ärgert man sich über die Neugruppierung der Brands auf der Panorama. Da vermisst man das Essen auf der Premium. Da fehlen die Einkäufer auf dem Modesalon. Da nervt das Einlass-Chaos bei den Schauen. Und alle vermissen die Internationalität, die eine Weltstadt wie Berlin doch eigentlich bieten sollte. Symptomatisch: In der Berliner Zeitung wird die Fashion Week in der Lokalberichterstattung abgehandelt, wo man sich über die baden-württembergischen Modehäuser mokiert, die den Schauenreigen dominieren. Ja sollen die denn in Stuttgart zeigen? Interessant war freilich der Beitrag über das Kronprinzenpalais, das – wer hätte es geahnt – ein 70er Jahre-Neubau ist. So konnte der Autor seinen Fashion Week-Bericht unter der Headline "Fake ist Berliner Trumpf" absetzen. Wenn wir uns schon selbst nicht gut finden, warum sollten es die anderen tun?
Im Kronprinzenpalais hielt am Montag Zeitmagazin-Styledirektor Tillmann Prüfer ein Plädoyer für die Kultivierung unseres "Modesystems". Das droht bekanntlich unter Fast Fashion-Hysterie, Influencer-Hype und Amazonisierung zu kollabieren. Obwohl "Change" nach eigener Aussage Prüfers zweiter Vorname ist, würde er, wenn es um die Modekreation geht, alles gerne so lassen, wie es ist. Im Publikum wollte ihm keiner widersprechen, denn "das Mode-System, das sind wir alle". So ist das, wenn Modebegeisterte zu Modebegeisterten über ihre Modebegeisterung reden.
Dass das Modegeschäft sich entwickelt, wie es sich entwickelt, hat indes Gründe. Und die haben mit den Konsumbedürfnissen der Menschen zu tun, die das Kronprinzenpalais wenn überhaupt nur von außen kennen. Und mit technologischen Entwicklungen, die eben dieses Verbraucherverhalten verändern. Und mit der Konkurrenz und den Profitinteressen der Unternehmen, für die Mode keine kulturelle, sondern eine ökonomische Sache ist. So ganz frei war man auch beim Berliner Salon nicht davon. "Begrabt die Limited Editions", rief Tillmann Prüfer ins Publikum. Da war die tags darauf verkündete Limited Edition des Berliner Salons – ein T‑Shirt in Kooperation mit Lala Berlin – längst beschlossene Sache.
Bei allem Gemosere über Berlin sollte man sich mal einen Moment die Frage stellen: Was wäre, wenn es dieses halbjährliche Klassentreffen nicht gäbe? Die Messen und Shows mögen für den Einkauf vielleicht nicht mehr die Bedeutung haben wie früher. Einem großen Teil der Branche würde ohne Berlin aber doch etwas fehlen: Eine Verabredung zur Kommunikation. Eine Quelle von Inspiration. Eine Gelegenheit zur Identifikation. Und ein halbjährlicher Anstoß zur Motivation. Wer die Veranstalter kritisiert, kann ja versuchen, es besser zu machen.
Berlin hat den Weggang von IMG jedenfalls locker kompensiert. Die Berliner Macher haben die Chance, diesen sponsorenverseuchten US-Import durch ein authentischeres, eigenes Mode-Event zu ersetzen, genutzt. Der neue Aufschlag mit freundlicher Unterstützung von Mercedes Benz ist noch lange nicht perfekt, aber qualitativ schon mal ein Fortschritt. Auch der Berliner Salon ist mittlerweile gesetzt, auch wenn viele Aussteller über fehlende Einkäufer und enge Vorgaben von Seiten der Veranstalter klagen. Trotzdem ist die Initiative von Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp und Nowadays-Gründer Marcus Kurz in hohem Maße zu begrüßen, wie auch die Aktivitäten des Fashion Council Germany (FCG). Die deutschen Modeleute haben die Lobbyarbeit jenseits der klassischen Wirtschaftsverbände definitiv vernachlässigt. Der Besuch im Kronprinzenpalais erschien sichtlich als einer der angenehmeren Termine von Wirtschaftsministerin Zypries. Und Staatssekretärin Dorothee Bär wurde von Katag-Chef Daniel Terberger höchstpersönlich in Manndeckung genommen. Dass das FCG am Montag die koreanische MCM-Inhaberin Sung-Joo Kim als Ambassador und der Verband Deutscher Modedesigner am Dienstag Anja Gockel als Designbotschafterin vorgestellt hat, könnte aus Sicht der Politik freilich ein verwirrendes Signal sein. Wie überhaupt die diversen Berliner Initiativen nicht leicht zu überblicken sind und darüber hinaus zu unglücklichen Terminkollisionen geführt haben.
Über die Planung der nächsten Saison hinaus tatsächlich zukunftsweisend ist die Beschäftigung mit den beiden Groß-Themen Fashiontech und Sustainability, für die Berlin mehrere Plattformen geboten hat. Premium und Messe Frankfurt etwa nutzten den spektakulären Rahmen des Kraftwerks, um den Green Showroom und die Ethical Fashion Show mit gut besuchten Kongressveranstaltungen zu kombinieren. In Deutschland wächst wie vielleicht nirgendwo sonst eine Generation von Modemachern heran, die sich sehr ernsthaft mit neuen Technologien, mit Ökologie und Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Berlin bietet ihnen die Bühne. Vielleicht liegt hier auch eine Profilierungschance für die deutsche Bekleidungsindustrie insgesamt. Die auf den Modemessen ebenfalls gerne gehörte Klage, es gebe nichts Neues, ist jedenfalls vielfach nicht gerechtfertigt. Man muss nur mal genau hinschauen.
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