Wenn andernorts Häuser zerbombt werden, ist möglicherweise nicht die Zeit, über Neubauten zu sinnieren. Noch dazu wirken Bürogebäude nach zwei Jahren exzessiven Homeoffices reichlich démodée. Schlechtes Timing also für Aldi Nord?
Nein. Die neue Firmenzentrale des Handelskonzerns, die vor ein paar Tagen in Essen-Kray eröffnet wurde, ist in vielerlei Hinsicht zeitgemäß. Ein ikonischer Bau in A‑Form und weithin sichtbares architektonisches Ausrufezeichen. Ein Statement für Transparenz und Modernität, das wohl auch für einen Kulturwandel stehen soll. Das ist bemerkenswert, insbesondere wenn man bedenkt, wer der Bauherr ist.
Aldi ist bekanntlich so etwas wie der Ahnherr der Geheimniskrämer. Einzelhandel ist zwar im Grunde eine öffentliche Veranstaltung, zur der möglichst viele Menschen Zutritt haben sollen. Zugleich betrachten viele Kaufleute ihre Unternehmen traditionell als reine Privatsache, die niemanden etwas anzugehen hat. So eine Haltung kann man sich heute vielleicht noch als Kioskbetreiber leisten, aber nicht als internationaler Konzern mit einem Bruttoumsatz von über 24 Milliarden Euro, der jeden Tag Millionen von Kunden bedient und Verantwortung für 80.000 Mitarbeiter trägt.
Jetzt also Aldis A, Apple-like "Campus" genannt. Ein 14 Fußballfelder großes Areal, mit lichtdurchfluteten Großraumbüros für aktuell 1200 Arbeitsplätze, auf Begegnung und Kommunikation angelegten Plazas und Außenterrassen sowie einer öffentlich zugänglichen Kita. Natürlich wurde der Komplex errichtet aus regionalen und teilweise recycleten Baustoffen, wird energieeffizient betrieben, die Dächer sind begrünt. Nachhaltigkeit zeigt sich heute eben nicht nur im Sortiment.
Man muss davon ausgehen, dass es bei der neuen Firmenzentrale nicht darum ging, den Albrechts ein eitles Denkmal zu setzen. Ein wesentliches Motiv dürfte gewesen sein, für Mitarbeiter attraktiv zu sein. Somit ist der Neubau auch ein Statement in Sachen Employer Branding. Was zeigt, welcher Aufwand heute betrieben werden muss, um qualifizierte Mitarbeiter und Talente anzuziehen. Denn die sind ein rares Gut, um das sich viele Unternehmen bemühen.
Ein großer Name ist im 'war for talents' erstmal von Vorteil. Dass Unternehmen wie Adidas seit Jahren die Arbeitgeber-Rankings dominieren, heißt aber nicht zwangsläufig, dass das Arbeiten dort erfüllender ist.
Der Einzelhandel hat in Sachen Nachwuchswerbung seit jeher schlechte Karten – die Arbeitszeiten, das Image, die Bezahlung – was durch die in der Pandemie gewachsenen remote work-Ansprüche nicht eben besser geworden ist. Das Geschäft passiert im Handel trotz fortschreitender Digitalisierung halt immer noch in weiten Teilen auf der Fläche und eben nicht im Homeoffice. Die schlechten Nachrichten aus dem von Corona in weiten Teilen besonders getroffenen Wirtschaftszweig sprechen aus Sicht von Absolventen und karriereorientierter Talente nicht für Zukunftsfähigkeit. Und dass speziell das Bekleidungsgeschäft als dreckige Branche gilt, hat sich ebenfalls in den Köpfen festgesetzt.
Wegen der zunehmenden Professionalisierung und Spezialisierung in vielen Funktionen steigen zugleich die Ansprüche der Unternehmen an die Qualifikationen. Insbesondere Techies für die laufende digitale Transformation sind gesucht. Die kann man allein über das Thema Mode nicht mehr locken. Und Management- High Potentials gehen lieber in Beratungen oder in den Finanzsektor oder versuchen sich gleich selbst an Startups.
Ein großer Name ist im 'war for talents' erstmal von Vorteil. Dass Unternehmen wie Adidas seit Jahren die Arbeitgeber-Rankings dominieren, heißt aber nicht zwangsläufig, dass das Arbeiten dort erfüllender ist. Im Retail wird das Markenimage erstmal durch die Läden, den Webauftritt und die Marketingkommunikation geprägt. Aber auch die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und das Umfeld spielen natürlich eine wesentliche Rolle.
So wie man als Kunde die Verfassung eines Kaufhauses am Zustand der Toiletten erkennen kann, zeigt sich die DNA eines Unternehmens für Arbeitnehmer am Auftritt und den Arbeitsbedingungen im Back Office. In dieser Hinsicht war für Aldi Nord mit dem alten 70er Jahre-Bau an der Essener Eckenbergstrasse kein Blumentopf zu gewinnen. Der war ein Monument der Knausrigkeit, wo es nicht einmal warmes Wasser gab, und stand seit langem im Widerspruch zu den immer hochwertiger daherkommenden Filialen und der modernen Selbstdarstellung im Web.
Es muss auch beim Employer Branding alles zusammenpassen. Das gilt für alle Unternehmen, und erst recht für Modeunternehmen, die visuell orientierte und ästhetisch anspruchsvolle Mitarbeiter ansprechen wollen. Wer den Campus von Bestseller in Brande kennt, das Adidas-Areal in Herzogenaurach, die Berliner Zalando-Zentrale oder die Liegenschaften von Hugo Boss in Metzingen, der spürt, welcher Wind dort weht.
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Und sonst?
…war Fashion Week in Berlin. Es war eine eher lokale Veranstaltung, in der sich nur wenig Handel und Industrie blicken ließ. Der Krieg war allgegenwärtig, angefangen beim blaugelb eingefärbten Logo, über Aufrufe zu Spenden bis hin zu Sirenengeheul und blutigen Kleidern auf dem Catwalk.
… geht die Messe Frankfurt im Sommer der Terminkollision mit der Berliner Premium aus dem Weg und zieht nach vorne. Ende Juni finden nun Techtextil, Texprocess und Heimtextil Summer Special gemeinsam statt, und die Neonyt wird zur B2C-Veranstaltung. De facto begräbt Frankfurt damit seine ursprünglichen Pläne, zur neuen deutschen Modemessen-Hauptstadt werden zu wollen. Eine kluge Entscheidung.
…öffnet sich die Premium im Juli stärker als bisher für Mainstream Brands, verstärkt die Sustainability-Ausrichtung der Seek und plant mit The Ground ein Endverbraucher-Modefestival. Man darf gespannt sein, ob die Berliner Messe-Macher es schaffen, den Berlin-Hype wieder zu entfachen. Im Januar sollte die Berlin Fashion Week dann wieder parallel zu den Messen stattfinden, um für weiteren Wumms zu sorgen.