Wie geht es der Betty Barclay-Gruppe?
Wir haben eine Aufholjagd hinter uns. Am Anfang der Corona-Krise war es sehr dramatisch. Wir hatten 2019 ja Zero gekauft, mit hohen Erwartungen. Dann kam der Lockdown, und die Läden mussten alle zumachen. Aber genauso schnell erholt sich dieses Geschäft jetzt nach dem Lockdown wieder. Der Wholesale reagiert dagegen zeitverzögert. Wir werden, ich schätze mal, 2022/23 wieder auf einem Umsatzniveau von 2019 sein.
Die letzte Orderrunde muss doch für die gesamte Industrie dramatisch gewesen sein: Leere Kassen im Handel, fehlende Vergleichszahlen, Einsparungen bei den Orderbudgets, Warenrücknahmen…
Die Industrie ist tatsächlich mehrfach gebeutelt. Auf der einen Seite waren die Läden unserer Kunden zu, auf der anderen Seite die Probleme in der Beschaffung und Logistik, dazu die Rohstoffpreiserhöhungen. Eine Wahnsinns-Herausforderung ist auch die Preisinflation in der Türkei. Offiziell sind das nur 15 Prozent, gefühlt doch eher 40 Prozent.
Wie gehen Sie mit diesen Themen um?
Wir haben die Corona-Krise genutzt, um uns in vielen Bereichen neu aufzustellen. So haben wir insbesondere beim Thema Flächenbewirtschaftung enorme Fortschritte gemacht, und es geschafft, zu einer besseren und nachfragegerechteren Steuerung des Warenflusses zu kommen, mit allen Vorteilen, die dies sowohl betriebswirtschaftlich als auch im Abverkauf hat. Mit weniger Ware auf die Flächen zu gehen, das musste man erst mal zulassen in einer Situation, in der man ordentlich Minus macht.
War es nicht der Handel, der Sie dazu gezwungen hat?
Das Thema war bei uns lange in der Pipeline. Es geht auch darum, zu einer besseren Nutzung von Abverkaufsdaten zu kommen, um Kollektionen noch mehr auf unsere Kunden – und das ist nicht zwangsläufig identisch mit dem generellen Modetrend – zuzuschneiden.
Das bringt aber nur was, wenn Sie auch die Produktentwicklung beschleunigen und Ihre Supply Chain flexibler strukturieren.
Korrekt. Wir haben alles auf den Kopf gestellt, die Timings verändert, Transporte optimiert und so weiter. Eine schnellere Reaktion auf Trends ist bei Outdoor nicht so leicht umzusetzen, aber bei Kleidern geht das schon. Die größte Baustelle ist bei uns, wie wahrscheinlich auch bei vielen anderen in der Industrie, die IT. Wir haben unheimlich viele Subsysteme in Betrieb – für Abschriftensteuerung, für CRM, für den Webshop. Das müssen wir alles zusammenbringen. Unser neues ERP-System kommt übernächstes Jahr. Hier haben wir übrigens viel von Zero gelernt, die haben Microsoft im Einsatz.
"Unser Ziel ist es, 100 Prozent liefern zu können. Im Moment sind wir bei 81 Prozent, der Rest-Markt liegt bei 61 Prozent."
Wegen der aktuellen Lieferkettenprobleme fangen viele Wholesaler früher mit der Planung der nächsten Saison an.
Auch wir haben unsere Planungsprozesse drei Wochen vorverlegt, um Liefersicherheit gewährleisten zu können. Wir können damit umgehen, aber entspannt ist was anderes.
Widerspricht das nicht dem Ziel kürzerer Leadtimes?
Das ist tatsächlich so. Aber bei Betty Barclay, Gil Bret und Vera Mont haben wir da kein Problem mit. Andere fangen bis zu acht Wochen früher an. Und bei Zero können wir auch damit umgehen. Schnelligkeit ist ohnehin etwas, das Sie nur auf kontrollierten Flächen umgesetzt bekommen. Im Wholesale verhindern das die Strukturen. Wir haben stärker als bisher Rohware geblockt, um in der Produktion schneller reagieren zu können. Bei der Disposition helfen uns unsere neuen Planungstools. Hinzu kommt, dass wir in den wichtigen Beschaffungsmärkten seit vielen Jahren eigene Büros unterhalten. Wir sind da sehr gut vernetzt und arbeiten mit vielen Partnern lange zusammen. Das sichert uns einen besseren Zugriff auf die Kapazitäten. Das ist ein großer Vorteil gegenüber Agenturen. Unser Ziel ist es, 100 Prozent liefern zu können. Im Moment sind wir bei 81 Prozent, der Rest-Markt liegt bei 61 Prozent.
Wieviel beschafft die Gruppe in Asien?
25 Prozent sind es in China, ergänzt um Indien und Bangladesch.
Jetzt reden alle über die Preissteigerungen in der Beschaffung. Sind Preiserhöhungen am Markt denn durchsetzbar?
Wir haben das bereits gemacht. Denn das war ja absehbar, wenn sie mit offenen Augen und Ohren über die Munich Fabric Start liefen. Wir haben versucht, die Eckpreislagen zu halten. Zugleich haben wir versucht, einzelne Teile und Programme noch wertvoller zu machen. Zum Beispiel das T‑Shirt mit Webfront, das schon mal zehn Euro mehr kosten darf, wenn vorne noch Steinchen mit drauf sind. Wir haben im Strickbereich bessere Garne eingesetzt und bei Hosen mehr dran gemacht, Lochstickereien und so weiter.
Und das ist alles bereits umgesetzt?
Ja klar. Das ist mein Job. Ich komme ja aus der Beschaffung, das ist fast schon mein Hobby, und da gucke ich besonders genau hin, weil sie dort viel Geld verbrennen können, wenn sie es falsch angehen.
"Ich halte bei Zero locker 200 Millionen Umsatz für möglich. Wir denken im Übrigen über weitere Zukäufe nach."
Worauf stellen Sie sich als Betty Barclay-Gruppe mittelfristig ein? Wie sieht unser Markt 2022 und 2023 aus? Da sortiert sich zurzeit ja vieles neu.
Natürlich wird Online weiter wachsen. Basics und Bedarfskäufe werden künftig tendenziell online stattfinden, aber wir sollten zugleich das Einkaufserlebnis im stationären Handel hochhalten. Wir selbst sind vom Portfolio her breit aufgestellt. Wenn Cocktail nicht dran ist, verkaufen wir Outdoor. Wenn Winterjacken nicht dran sind, verkaufen wir Kombimode. Wenn Kombis nicht dran sind, verkaufen wir Strick. Wir haben sehr viele Möglichkeiten, Geschäft zu generieren.
Würden Sie rückblickend Zero noch einmal übernehmen?
Auf jeden Fall.
Auch wenn Sie gewusst hätten, was mit Corona auf uns zukommt?
Auf jeden Fall. Wir haben so viel gelernt von Zero. Zugleich gibt es dort viel Potenzial, es noch besser zu machen, ohne das Zero-System zu gefährden und mit Betty Barclay zu vermischen. Zero bleibt selbstständig, was die Produktentwicklung angeht. Aber natürlich besteht über unsere Einkaufsbüros die Chance, ganz andere Qualitäten zu realisieren. Ich bin sicher, das wird ein sehr erfolgreiches Investment werden.
Sie werden also auch wieder in die Expansion gehen.
Ganz klar. Ich halte bei Zero locker 200 Millionen Umsatz für möglich. Wir denken im Übrigen über weitere Zukäufe nach.
Ach ja? In welche Richtung denken Sie da?
Immer ergänzend zu unserem Portfolio. Wir brauchen kein zweites Cartoon. Jede neue Beteiligung muss eine Verbreiterung unserer Marktposition bringen.
Aber Womenswear bleibt der Fokus?
Ja. Ich ziehe mich zwar gerne gut an, aber im HAKA-Markt fehlt uns die Expertise.
"In unserer Größenordnung müssen wir uns so aufstellen, dass wir auch IT-mäßig state-of-the-art sind. Wer diese Investitionen nicht stemmen kann, der wird in den nächsten Jahren das Nachsehen haben."
In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Corona-Krise alle anderen Themen verdrängt – die Vertikalisierung, die Digitalisierung… Welche Themen werden wichtig?
In den kommenden Jahren wird entscheidend sein, wie man sich technologisch aufstellt. Es besteht sicher immer eine Chance für kleine Newcomer und Spezialisten, die das Geschäft aus dem Bauch heraus machen. Aber in unserer Größenordnung müssen wir uns so aufstellen, dass wir auch IT-mäßig state-of-the-art sind. Wer diese Investitionen nicht stemmen kann, der wird in den nächsten Jahren das Nachsehen haben, ganz klar.
Die ganze Branche redet über Nachhaltigkeit. Ist es nicht erstaunlich, wie grün jetzt alle sind?
Das stimmt. Das ist natürlich marketinggetrieben. Ich meine: Biobaumwolle? Das soll nachhaltig sein? Ich bin da sehr vorsichtig. Wir versuchen als Unternehmen zu tun, was geht. Bei der Verpackung unserer Produkte, in der Logistik, bei der Retourenabwicklung, Solarpanel für die Firmenzentrale – das machen wir alles schon, ohne groß darüber zu reden. Vielleicht sollten wir das mehr tun.
Man hat zunehmend den Eindruck, dass die Modebranche viel von ihrem Glanz verloren hat. Früher war das ja ein beliebtes Berufsziel. Heute gilt es als dreckige Branche, die Menschen ausbeutet und die Umwelt verschmutzt. Mit Corona kamen auch noch extreme wirtschaftliche Unsicherheiten dazu. Was kann man tun, um für Talente interessant zu bleiben?
Ein Riesen-Thema! Wir haben im TW-Arbeitgeberranking gottseidank sehr gut abgeschnitten. Darauf bin ich sehr stolz.
Was bietet Betty Barclay, was andere nicht bieten?
Wir versuchen authentisch zu sein. Wir reden keinen Quatsch oder verfallen in Aktionismus, sondern agieren nachhaltig als Familienunternehmen. Es geht nicht nur um schnellen Profit, sondern darum, das langfristig Richtige zu tun. Diese Kultur pflegen wir. Wir haben vom Inhaber alle Freiheiten. Wir wollen offene Türen und flache Hierarchien. Auch Gehalt und Arbeitsplatzsicherheit spielen eine Rolle. All das wertschätzen unsere Mitarbeiter.