Sie sind Literaturwissenschaftlerin, Modetheoretikerin und Buchautorin. Wie sehen Sie als Wissenschaftlerin die Mode?
Mode ist die Fähigkeit, sich mit sich selbst und mit der Welt in ein vollkommenes Benehmen zu setzen. Natürlich ist Mode auch ein Konsumgut; aber sie ist vor allem eine elementare Lebenskunst. In der Mode kann man vieles über gesellschaftliche und politische Entwicklungen ablesen, aber vor allen Dingen tut sie uns wie jedes Kulturgut gut.
Glauben Sie, dass die Menschen sich nach Corona anders anziehen werden?
Viele Prognosen gehen davon aus, dass wir nach dieser grauen Zeit so ein Golden Twenties-Feeling wie vor hundert Jahren haben werden. Nun kann man Corona nicht mit dem Ersten Weltkrieg vergleichen, aber natürlich haben wir alle das Gefühl von Lebens- und Glücksverlusten. Ich sehe ein Feuerwerk an Lebenslust voraus, die viel zu lange unter Verschluss war. Wenn Sie die Kollektionen dieses Sommers ansehen, springt ihre blumige, farbenfrohe Opulenz ins Auge, Stoff in Hülle und Fülle, ja üppig rauschende Stoffkaskaden. Das gerade Gegenteil der Jogginghose.
Kürzlich haben Sie gesagt, dass Sie keine Jogginghose besitzen. Wie haben Sie das geschafft in Zeiten, wo die ganze Nation im Leisure-Look unterwegs war?
Ich besitze tatsächlich keine einzige. Man ist besser in Form zum Schreiben, wenn man gut angezogen ist. Das gibt Haltung, die einen ausgefeilten, geschliffenen Schreibstil ausmacht.
Sie haben viele Jahre im Ausland gelebt und gearbeitet. War das eine bewusste Entscheidung, nach so vielen Jahren im Ausland wieder nach Deutschland zurückzukehren?
Ich habe sehr lange in den USA gelebt und hatte immer Heimweh nach Europa. Insofern war die Entscheidung nicht schwierig. Weil ich schon als junges Mädchen in Frankreich zur Schule gegangen bin, habe ich von jeher einen fremden Blick auf Deutschland, der auch etwas Befreiendes hat. Ich bin mit diesem Land im Großen und Ganzen, solange es nicht immer deutscher wird, zufrieden. Das hängt auch damit zusammen, dass ich es vorziehe, an einer deutschen und nicht an einer französischen Universität zu lehren.
Warum?
Der lebendige Austausch mit den Studentinnen und Studenten, das Erbe Humboldts, hat mir immer ausgezeichnet am deutschen Universitätssystem gefallen.
Was halten Sie von der Aussage, ab einem gewissen Alter sollte man nicht mehr jede Mode tragen?
Das halte ich für eine blöde Einschüchterung irgendwelcher Leute, die sich als Fashion Police aufspielen. Bei der Tracht ging es nach Alter und Standesunterschieden: Mädchen, Braut, verheiratete Frau, Witwe. Für die Mode ist das definitiv keine Kategorie. Madonna trug mit 60 pinkfarbene Leggings – da sollte man nicht fragen, ob sie dafür zu alt ist, sondern ob pinkfarbene Leggings im Ernst eine gute Idee sind. Relevanter als die Frage des Alters ist doch, welcher Figurtyp ich bin, ob groß oder klein, gedrungen, hochgewachsen oder zierlich. Alter spielt bei der Mode keine Rolle.
Was bedeutet das Thema Nachhaltigkeit für die Modebranche? Schließen sich Konsum und Nachhaltigkeit nicht eigentlich aus?
Wenn Sie durch Paris spazieren gehen, ist es unglaublich, wie nachhaltig die Modebranche geworden ist. Vegan, recycelt, Handarbeit. Das hat natürlich seinen Preis. Nachhaltigkeit macht nicht nur beim Essen, sondern selbstverständlich auch in der Mode alles teuer. Und das ist gut so. Auch hier gilt: Weniger ist mehr.
Das Gespräch führte Sabine Spieler.
Barbara Vinken ist Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin. Seit 2004 lehrt die Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Einem breiten Publikum bekannt wurde Vinken mit ihrem Buch "Die deutsche Mutter", in dem sie den Mythos der Mütterlichkeit und die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf in Deutschland analysiert. Darüber hinaus hat sie Bücher über Mode geschrieben wie "Angezogen. Das Geheimnis der Mode und Fashion Zeitgeist". Barbara Vinken schreibt regelmäßig für Die Welt, die Zeit und NZZ. Vinken lebt mit ihrem Mann in München. http://www.barbaravinken.de/