Passiert large

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

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liebe Frau Merkel,

Prognosen sind bekanntlich schwierig, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber Hand aufs Herz es sieht doch schwer danach aus, als würden Sie am Sonntag bestätigt und in ein paar Wochen als Bundeskanzlerin wiedergewählt. Wir gratulieren jetzt schon mal!

Gespannt sind wir eigentlich nur noch, ob Sie die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten fortsetzen werden. Es sah nach dem TV-„Duell“ ja schwer danach aus. „À la bonne heure“, wie man in Würselen sagt. Von einer Großen Koalition kann man angesichts der zu erwartenden Stimmen für die SPD ja kaum mehr sprechen. Möglicherweise wird die Union die sozialdemokratische Flagge künftig aber auch allein hochhalten, in einer Koalition mit der FDP. Vorsicht vor dem Lindner – der verkauft einem Sternekoch einen Thermomix. Und am Ende kochen Sie Ihre berühmte Kartoffelsuppe damit. Vielleicht nehmen Sie ja aber auch die Grünen an Bord. Auf den Seehofer brauchen Sie dabei keine Rücksicht zu nehmen. Keine Angst, der will nur spielen, Stichwort Obergrenze. Spätestens um 2.15 Uhr werden sie „Horst“ und „Cem“ zueinander sagen. Gegen ein paar neue Gesichter auf der Regierungsbank hätten wir offen gestanden nichts einzuwenden. Nur Justizminister Maas würde uns fehlen. Keiner trägt besser sitzende Anzüge.

In den vergangenen zwölf Jahren haben Sie einen langweilig-pragmatischen Regierungsstil etabliert. Mit Ihrer Politik der kleinen Schritte sind wir gut gefahren. Die meisten Deutschen halten es in puncto Visionen schließlich mit Helmut Schmidt. Gut gelegentlich hätten wir uns gewünscht, dass Sie in Sachfragen mal Kante zeigen. Das haben Sie immer nur dann gemacht, wenn Sie damit die anderen ihrer Themen berauben konnten, wie etwa beim Atomausstieg oder neulich der Ehe für alle. Das Aussitzen haben Sie bei Helmut Kohl gelernt. Dessen Unterhaltungswert unterbieten Sie locker. Sie haben es halt nicht nötig, wie andere Staatenlenker wie wild um sich zu twittern. Oder Raketen über Japan ins Meer zu schießen. Und auch Techtelmechtel mit irgendwelchen Filmsternchen und nächtliche Motorrollerfahrten sind uns nicht zu Ohren gekommen. Wir wollen uns das auch gar nicht vorstellen.

An Ihrem Äußeren haben wir Fachleute nichts mehr auszusetzen. Wir haben uns an Ihre Berufsbekleidung  gewöhnt. Und das will etwas heißen. Ihr Verhältnis zur Mode war am Anfang Ihrer Karriere sagen wir mal anders. Ihre Outfits sind heute so unauffällig wie Ihre Reden. Dass wir uns richtig verstehen: Wir finden das gut. Denn Sie werden schließlich für Ihre Politik und nicht wegen Ihrer Hosenanzüge gewählt. Wer den Eindruck erweckt, sich zu viel mit Äußerlichkeiten zu beschäftigen, ist den Deutschen halt erstmal suspekt. Die Fotos vom Zigarre rauchenden Brioni-Kanzler haben Gerhard Schröder seinerzeit jedenfalls ziemlich geschadet. Wer dagegen wie Sie seine Abendkleider mehrfach aufträgt, dem vertrauen wir eher, dass er auch mit unserem Steuergeld sparsam umgeht.

Nun wollen wir uns gar nicht länger bei Äußerlichkeiten aufhalten, wie wir das am liebsten tun. Wir haben nämlich noch ein paar Wünsche an die neue Regierung, die wir bei dieser Gelegenheit vorbringen wollen.

Zunächst mal finden wir den Vorschlag gut, die Bevölkerung von Steuern zu entlasten. Alles was die Kaufkraft stärkt, müssen wir Konsumabhängigen ja begrüßen. Bei den angekündigten Steuergeschenken sind Sie mit Ihrer Partei vergleichsweise zurückhaltend. Die 15 Milliarden, die der Schäuble rausrücken will, sind aber selbstverständlich besser als nichts. Noch mehr würden wir uns über eine Senkung der Mehrwertsteuer freuen. Das hätte sicherlich mehr betriebwirtschaftliche als volkswirtschaftliche Effekte, weshalb wir offen gestanden nicht ernsthaft damit rechnen. Aber wir wollten das nicht unerwähnt lassen. Ihr potenzieller Koalitionspartner FDP hat schließlich auch schon mal ein schönes Privileg für die Hoteliers durchgesetzt, was zeigt, dass es in der Steuerpolitik nicht immer kohärent zugeht.

Apropos Steuern: Ein echtes Ärgernis sind die Profitschiebereien der US-Technologiekonzerne. Die Steuern, die ein Amazon in Europa bezahlt, sind angesichts der hiesigen Umsätze dieses Unternehmens nicht nur ein Witz, sondern ein echter Wettbewerbsnachteil für alle Einzelhändler, die diese finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten nicht haben. Wir erwarten eine Initiative von Ihnen, dieser Unsitte ein Ende zu machen.

Was die Bevölkerung zurzeit wohl am meisten bewegt, ist der Umgang mit den Flüchtlingen. Die schreckliche AfD wird ja nun wohl leider in den neuen Bundestag einziehen. Hoffen wir, dass die Wutbürger-Fraktion sich dort nicht auf Dauer festsetzt. Wir haben gegen einen geregelten Zuzug aus dem Ausland geschäftlich jedenfalls nichts einzuwenden. Das bedeutet für uns neue Kundschaft und kann sofern die Integration gelingt und wir endlich unsere Schulen auf Vordermann bringen zur Linderung unserer Nachwuchsprobleme beitragen.

Machen Sie weiter so, was die Frauenquote angeht. Nämlich nichts. Die Leistung soll entscheiden, nicht das Geschlecht. Die vielfach besser ausgebildeten Frauen werden sich mit der Zeit ganz automatisch in Führungspositionen vorarbeiten. Sie selbst haben sich ja auch nicht von Männern aufhalten lassen. Lassen Sie die Gender-Aktivisten also reden, und belassen Sie es bei Ihrer bisherigen Symbolpolitik. Die aktuelle Regelung für die Aufsichtsräte tut den wenigsten weh.

Auch das Textilbündnis schadet keinem. Wir wissen alle, dass das nicht zuletzt schöne PR bringt. Solange unsere CSR-Beauftragten mit Ihrem Minister Müller tagen, nerven sie uns nicht mit immer neuen Vorschlägen, wie die dritte Welt zu retten wäre.

Generell plädieren wir für Deregulierung. Wir wünschen uns weniger Bürokratie und keine neuen Vorschriften. Der Mindestlohn war in dieser Hinsicht ein Sündenfall, das wissen Sie, und nur die gute Konjunktur hat die Folgen abgefedert. Für die Einführung von Lohnuntergrenzen mag sozialpolitisch einiges gesprochen haben, und natürlich ist die Ministerin Nahles eine Nervensäge. Insofern können wir schon verstehen, dass Sie an dieser Front Ruhe haben wollten. Prinzipiell sollte sich der Staat in Entlohnungsfragen aber nicht einmischen. Exorbitante Managergehälter und der gender pay gap verletzen sicherlich unser Gerechtigkeitsempfinden. Den Preis von Arbeit müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dennoch unter sich aushandeln können.

Eine Deregulierung regen wir insbesondere bei den Ladenöffnungszeiten an. Das Ladenschlussgesetz war mal eine gute Sache, weil es die Mitarbeiter vor unsozialen Arbeitszeiten geschützt hat. Und als die Menschen am Sonntag noch in die Kirche gegangen sind. Selbst die Mehrheit der Einzelhändler war dafür, dass die anderen nicht länger aufmachen durften als man selbst. Jetzt entpuppt es sich als ein massiver Wettbewerbsnachteil, dass Webshops 24/7 verkaufen und stationäre Läden dann zumachen müssen, wenn die Menschen Zeit zum Shoppen haben. Deshalb brauchen wir auch sichere Innenstädte. Und keine Fahrverbote. Die wären ein weiterer Sargnagel für den City-Einzelhandel.

Was wir im Übrigen bedauerlich fanden, war, dass der Wahlkampf sich wieder mal in erster Linie um Verteilungsfragen gedreht hat. Kaum eine Rolle gespielt haben dagegen Dinge, die für die Zukunft unseres Landes entscheidend sind. Während die Wirtschaft zurzeit kaum ein anderes Thema mehr zu kennen scheint als die digitale Transformation, scheint das Internet für die Politik immer noch Neuland zu sein. Nur der Lindner hat sich mit Handy und T‑Shirt an die Start-up-Generation rangewanzt. Dabei werden gerade jetzt die Bedingungen neu verhandelt, die die Grundlage für Wohlstand und Sozialstaat sind. Und die darüber entscheiden, ob wir auch künftig gut und gerne in Deutschland leben können.

Das Land hat einen sagenhaften Aufschwung hinter sich, und die Konjunktur brummt immer noch. Das haben die Unternehmen zustande gebracht, und die Rahmenbedingungen haben es ermöglicht. Die Politik hat daran großen Anteil, und da schließen wir die Agenda 2010 Ihres Vorgängers ausdrücklich mit ein. Wir wissen, dass das nicht immer so bleiben wird und das Konsumklima eines Tages wieder abkühlen wird. Deshalb machen wir es wie immer: Wir nehmen die Konjunktur, wie sie ist, und arbeiten weiter an unserer eigenen Firmenkonjunktur.

Wir wünschen Ihnen auch für die kommenden vier Jahre eine glückliche Hand.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Modehandel

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