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Wenn man sich billige Preise nicht mehr leisten kann

Preisanpassungen sind das Gebot der Stunde. Die Zahlen zeigen, dass große Teile der Industrie sich die niedrigen Preise schlichtweg nicht mehr leisten können, sagt Carl Tillessen. Es ist geradezu eine Frage des Überlebens, die sprunghaft gestiegenen Kosten in angemessener Weise an die KonsumentInnen weiterzugeben.

Ct preiseAlle Indus­trien äch­zen unter den sprung­haft gestie­ge­nen Energie‑, Was­ser- und Trans­port­kos­ten. Die Mode aber hat dar­über hin­aus noch mit ganz eige­nen, bran­chen­spe­zi­fi­schen Kos­ten­ex­plo­sio­nen bei den tex­ti­len Roh­stof­fen zu kämp­fen. Baum­wol­le zum Bei­spiel kos­tet jetzt dop­pelt so viel wie vor Coro­na. Es wäre das Nor­mals­te auf der Welt, die­se erheb­lich gestie­ge­nen Her­stel­lungs­kos­ten in Form von Preis­er­hö­hun­gen an die End­kun­dIn­nen wei­ter­zu­ge­ben. Doch im Gegen­satz zu allen ande­ren Indus­trien tut die Mode­indus­trie sich damit schwer damit (Abbil­dung). Wäh­rend sich die Prei­se aller ande­ren Pro­duk­te seit 1990 mehr als ver­dop­pelt haben (rote Linie), hat die Mode­indus­trie ihre Prei­se auf wun­der­sa­me Wei­se kon­stant gehal­ten (blaue Linie).

Zunächst gelang dies, indem die Pro­duk­ti­on von Mode in Bil­lig­lohn­län­der ver­legt wur­de. Weil die Her­stel­lung von Klei­dung außer­ge­wöhn­lich lohn­in­ten­siv ist, waren der Kos­ten­ef­fekt hier grö­ßer als bei ande­ren Pro­duk­ten. Doch nach­dem sämt­li­che Pro­duk­tio­nen ver­legt wor­den waren, war die­ses Ein­spa­rungs­po­ten­ti­al aus­ge­schöpft. Bei den Lohn­kos­ten konn­te nicht wei­ter gespart wer­den. Also wur­de fort­an bei den Mate­ri­al­kos­ten gespart. So hat sich der Poly­es­ter-Anteil in unse­rer Klei­dung seit 1990 ver­drei­facht, so dass sie inzwi­schen durch­schnitt­lich zu 60% aus Poly­es­ter besteht.

Ct polyesterIm mitt­le­ren Seg­ment des Mode­mark­tes geschieht die­ses Tra­ding Down meist nicht vor­sätz­lich. Die Qua­li­tät ero­diert viel­mehr schlei­chend, weil man eta­blier­te Eck­preis­la­gen trotz kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­der Kos­ten nicht auf­gibt. Das Ergeb­nis: Der Ver­brau­cher freut sich beim Kauf über den sta­bi­len Preis, merkt beim Gebrauch aber, dass man ihm gestreck­ten Stoff ver­kauft hat, und ver­liert das Ver­trau­en in die Mar­ke. In ande­ren Bran­chen bestimmt ganz selbst­ver­ständ­lich der Preis des Mate­ri­als, wie viel das Pro­dukt kos­ten muss. Nur in der Mode bestimmt meist der Preis des Pro­dukts, wie viel das Mate­ri­al kos­ten darf.

Genau­so geht auch die Fast Fashion an die Sache her­an. Nur dass es dort nicht dar­um geht, Eck­preis­la­gen zu hal­ten, son­dern dar­um, die Kon­kur­renz zu unter­bie­ten. Es gibt einen Zusam­men­hang zwi­schen dem Ende der Preis­stei­ge­run­gen und dem Anfang von Fast Fashion um 1990 (Abbil­dung). Mit nie dage­we­se­nen Nied­rig­prei­sen hat­te die ers­te Gene­ra­ti­on von Fast-Fashion-Anbie­tern damals die Welt erobert. Inzwi­schen haben wir es bereits mit der drit­ten Gene­ra­ti­on, den Ultra-Fast-Fashion-Anbie­tern, zu tun. Und jede neue Gene­ra­ti­on hat die vor­an­ge­gan­ge­ne noch ein­mal preis­lich unter­bo­ten. So kos­tet eine Pro­dukt bei Zara (ers­te Gene­ra­ti­on) durch­schnitt­lich 37 Euro, bei Shein (drit­te Gene­ra­ti­on) hin­ge­gen nur 15 Euro, also fast 60 Pro­zent weni­ger.

Wäh­rend am unte­ren Ende des tex­ti­len Preis­spek­trums die Prei­se immer noch wei­ter nach unten gehen, gehen sie am obe­ren Ende immer noch wei­ter nach oben. Die Luxus­mar­ken haben ihre Prei­se in den letz­ten Jah­ren in atem­be­rau­ben­der Geschwin­dig­keit hoch­ge­fah­ren – allein in den drei Jah­ren von 2019 bis 22 wur­den sie um ein Vier­tel teu­rer. 2017 war der Preis für die klas­si­sche mit­tel­gro­ße Flap Bag von Cha­nel noch gute 5.000 Dol­lar, 2023 bereits gute 10.000 Dol­lar. Er hat sich also inner­halb von nur sechs Jah­ren ver­dop­pelt. Das Glei­che gilt für den Preis der Kel­ly und der Bir­kin von Her­mès.

Zara fährt seit einiger Zeit Materialqualitäten und Preise hoch, indem sie den Anteil an Premium-Kollektionen ausdehnen. Zwischenzeitlich stieg dadurch der Durchschnittspreis der verkauften Produkte in nur einem Quartal um ganze 23%.

Die sta­gnie­ren­de blaue Linie in der Abbil­dung muss inso­fern begrif­fen wer­den als der Mit­tel­wert aus den ein­ge­fro­re­nen Prei­sen im modi­schen Mit­tel­markt, dem Preis­dum­ping in der Fast-Fashion und den explo­die­ren­den Prei­sen für Luxus­mo­de – drei Preis­stra­te­gien, die unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten. Die dar­aus resul­tie­ren­den betriebs­wirt­schaft­li­chen Ergeb­nis­se könn­ten eben­falls kaum unter­schied­li­cher sein: Die Luxus­an­bie­ter sind die ein­zi­gen Markt­teil­neh­mer, die ihre Prei­se über­pro­por­tio­nal zu den erheb­lich gestie­ge­nen Kos­ten ange­ho­ben haben. Dadurch konn­ten sie sogar im Infla­ti­ons­jahr 2022 ihre Gewin­ne um gan­ze 36% stei­gern. Im Mit­tel­markt hin­ge­gen ist der Gewinn um scho­ckie­ren­de 64% ein­ge­bro­chen. Selbst die erfolgs­ver­wöhn­te Fast Fashion muss­te 20% weni­ger Erfolg mel­den.

Die Bot­schaft ist klar: Preis­an­pas­sun­gen sind das Gebot der Stun­de. Die Zah­len zei­gen, dass gro­ße Tei­le der Indus­trie sich die nied­ri­gen Prei­se schlicht­weg nicht mehr leis­ten kön­nen. Es ist gera­de­zu eine Fra­ge des Über­le­bens, die sprung­haft gestie­ge­nen Kos­ten in ange­mes­se­ner Wei­se an die Kon­su­men­tIn­nen wei­ter­zu­ge­ben.

Man könn­te ein­wen­den, dass wenn die Luxus­mar­ken ihre Prei­se erhö­hen kön­nen, das doch noch lan­ge nicht bedeu­tet, dass auch die ande­ren sich das erlau­ben kön­nen. Dem wäre das Bei­spiel Zara ent­ge­gen­zu­hal­ten: Die Spa­ni­er fah­ren bereits seit eini­ger Zeit ihre Mate­ri­al­qua­li­tä­ten und Prei­se hoch, indem sie den Anteil an Pre­mi­um-Kol­lek­tio­nen am Sor­ti­ment aus­deh­nen. Zwi­schen­zeit­lich stieg dadurch der Durch­schnitts­preis der ver­kauf­ten Pro­duk­te in nur einem Quar­tal um gan­ze 23%. Dem Mut­ter­kon­zern Indi­tex bescher­te das zuletzt eine Stei­ge­rung des Jah­res­ge­winns um mehr als 27%.

70% aller Mode-Führungskräfte planen für 2024 eine Preiserhöhung – so viele wie schon sehr lange nicht mehr.

Aber haben die Men­schen durch die Infla­ti­on nicht sowie­so schon weni­ger Geld in der Tasche und spa­ren bei Beklei­dung? Dem wäre eine aktu­el­le Stu­die ent­ge­gen­zu­hal­ten, die belegt, dass die Men­schen ange­sichts der Infla­ti­on lie­ber bei allem mög­li­chen ande­ren spa­ren – näm­lich bei Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten wie Kino- und Restau­rant­be­su­chen, Urlaub und Rei­sen, Well­ness­an­wen­dun­gen, Gas, Elek­tri­zi­tät, Was­ser und so wei­ter – als auf ihre gelieb­ten Mode­käu­fe zu ver­zich­ten.

Aber was, wenn die Kon­kur­renz ihre Eck­preis­la­gen hält und wir dann nicht mehr wett­be­werbs­fä­hig sind? Dem wäre ent­ge­gen­zu­hal­ten, dass fast 70% aller Mode-Füh­rungs­kräf­te für 2024 eine Preis­er­hö­hung vor­ge­se­hen haben – so vie­le wie schon sehr lan­ge nicht mehr.

Die­se his­to­risch güns­ti­ge Kon­stel­la­ti­on soll­ten wir nut­zen, um zu tun, was wir schon längst hät­ten tun sol­len. Jahr­zehn­te­lang haben wir bei unse­ren Pro­duk­ten die Qua­li­tät geop­fert, um wei­ter­hin die Eck­preis­la­gen anbie­ten zu kön­nen, die Ver­trieb und Händ­ler von uns erwar­ten. Jetzt ist der Moment gekom­men, die Eck­preis­la­gen zu opfern, um bei unse­ren Pro­duk­ten die Qua­li­tät anbie­ten zu kön­nen, die unse­re Kun­dIn­nen und wir selbst von uns erwar­ten.

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Carl Til­les­sen

Carl Til­les­sen ist gemein­sam mit Gerd Mül­­­­­ler-Thom­kins Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Mode-Ins­­­­ti­­­­­tuts. Sein Buch “Kon­sum” geht der Fra­ge nach, wie, wo und vor allem war­um wir kau­fen. www.carltillessen.com

Bei­trä­ge von Carl Til­les­sen