Papst

Künstliche und künstlerische Intelligenz

Viele Kunden mögen es, wenn ein Angebot gewohnt, vorhersehbar und erwartbar ist. Manche hingegen wollen nicht von Algorithmen berechnet, sondern von den Ideen anderer Menschen überrascht und inspiriert werden. Carl Tillessen über künstliche und künstlerische Intelligenz.
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Carl Til­less­sen

Als das von Künst­li­cher Intel­li­genz gene­rier­te Bild des Paps­tes im ver­gan­ge­nen März im Netz auf­popp­te, hat­te pro­fa­shio­nals das Motiv sofort gepos­tet. Zu Recht. Denn man kann sei­ne Trag­wei­te gar nicht über­schät­zen. Die päpst­li­che Stepp­ja­cke fan­den natür­lich alle lus­tig. Nur den Modedesigner:innen blieb ein biss­chen das Lachen im Hal­se ste­cken. Denn sie muss­ten sich ein­ge­ste­hen, dass sie es auch nicht bes­ser gekonnt hät­ten. Die Jer­sey­bünd­chen. Die Kom­bi­na­ti­on aus Steh­kra­gen und Kapu­ze! Die abge­pass­ten Step­pun­gen in Rumpf und Ärmel!! Der Gür­tel aus Moi­rée!!!

Hier hat­te man KI eine alber­ne Auf­ga­be gestellt. Selbst­ver­ständ­lich kann sie aber auch erns­te Design­auf­ga­ben mit glei­cher Bra­vour umset­zen. Wenn man z.B. der KI-Soft­ware Mid­jour­ney Stich­wor­te gibt wie „Män­ner, Polo­hemd, im Stil der 1960er Jah­re“ macht sie einem inner­halb von Sekun­den meh­re­re alter­na­ti­ve Design­vor­schlä­ge, aus denen man dann einen oder meh­re­re aus­wäh­len und kom­bi­nie­ren kann. 28 Pro­zent aller Mode­un­ter­neh­men expe­ri­men­tie­ren bereits mit Künst­li­cher Intel­li­genz in ihren Design- und Pro­dukt­ent­wick­lungs­pro­zes­sen. Es ist klar, dass KI die Arbeit von Modedesigner:innen bis auf Wei­te­res nicht voll­stän­dig erset­zen kann. Eben­so klar ist jedoch auch, dass Künst­li­che Intel­li­genz Tei­le die­ser Arbeit über­neh­men kann und wird. Im Fall des 60er-Jah­re-Polo­hem­des über­nimmt sie zum Bei­spiel die Recher­che und das krea­ti­ve Brain­stor­ming.

Aber das ist selbst­ver­ständ­lich nur der Anfang. Denn gene­ra­ti­ve künst­li­che Intel­li­genz steckt ja noch in den Kin­der­schu­hen. In zukünf­ti­gen Anwen­dun­gen wer­den Algo­rith­men durch Aus­wer­tung von Online-Suchen und ‑Käu­fen ana­ly­sie­ren, wel­che Klei­dung die Men­schen gera­de haben wol­len, und Künst­li­che Intel­li­genz wird das Ergeb­nis direkt in kon­kre­te Design­vor­schlä­ge über­set­zen. In sol­chen weit­ge­hend auto­ma­ti­sier­ten Pro­zes­sen sind Designer:innen zwar nicht mehr die Impulsgeber:innen, aber zumin­dest noch die Kurator:innen, die am Ende ent­schei­den, wel­che Vor­schlä­ge der KI tat­säch­lich umge­setzt wer­den. Genau so arbei­tet bereits jetzt das Mode-Start-Up Glitch:

Dass Mode­sor­ti­men­te mit Hil­fe von digi­tal gewon­ne­nen Daten ent­wi­ckelt wer­den, ist selbst­ver­ständ­lich nicht neu. Uns ste­hen immer mehr Daten zur Ver­fü­gung – Abver­kaufs­zah­len, Such­an­fra­gen, Clicks, Views und Likes. Und natür­lich nut­zen Mode-Indus­trie und ‑Han­del die­se Daten, um ihre Ent­schei­dun­gen auf eine objek­ti­ve Grund­la­ge zu stel­len und den Erfolg von Pro­duk­ten vor­aus­zu­be­rech­nen. Durch selbst­ler­nen­de KI wird die­se Ent­wick­lung noch ein­mal enorm beschleu­nigt wer­den. Die Klei­dung, die uns umgibt, wird zuneh­mend berech­net.

Für vie­le Mode-Kun­den ist das genau das Rich­ti­ge. Sie mögen es, wenn Mode vor­her­seh­bar und erwart­bar ist. Wer sich bei Out­fit­tery anmel­det, will bere­chen­bar sein und berech­net wer­den. Der Inhalt des Pake­tes, das man dar­auf­hin erhält, soll nicht über­ra­schen, son­dern Erwar­tun­gen erfül­len.

Wo Kleidung zunehmend berechnend wirkt, weil sie zunehmend berechnet wird, gewinnt auch das ganz Persönliche wieder an Bedeutung.

Ande­re Men­schen hin­ge­gen wol­len beim Mode­kauf nicht von Algo­rith­men berech­net, son­dern von den Ideen ande­rer Men­schen über­rascht und inspi­riert wer­den. Sie beob­ach­ten mit Bedau­ern, dass Mode immer kal­ku­lier­ter wird. „Unkom­pli­zier­tes war die­se Sai­son in Mai­land über­all“, beklagt Busi­ness Of Fashion. „Rarer war ein Ein­druck von per­sön­li­cher Mode-Autoren­schaft.“ Mode wird eben erst dann zu „Desi­gner­mo­de“ im enge­ren Sin­ne, wenn Cha­rak­te­re wie Ales­san­dro Miche­le ihr ihren ganz per­sön­li­chen Stem­pel auf­drü­cken.

In Tei­len der Mode­bran­che geht es um den sub­jek­ti­ven, indi­vi­du­el­len Blick auf die Din­ge. Das ver­bin­det die Mode mit der Kunst, deren Nähe sie durch Künst­ler-Kol­la­bo­ra­tio­nen immer wie­der sucht. Ein beson­ders bezeich­nen­des Bei­spiel hier­für ist die wie­der­keh­ren­de Zusam­men­ar­beit von Lou­is Vuit­ton mit Yayoi Kusa­ma, einer Künst­le­rin, die seit vier­zig Jah­ren in einer Ner­ven­heil­an­stalt lebt. Ähn­lich wie das Kunst-Publi­kum ist eben auch ein Teil des Mode-Publi­kums bereit, sich auf die krea­ti­ven Visio­nen beson­de­rer Men­schen ein­zu­las­sen, auch und gera­de wenn die­se Visio­nen schräg und exzen­trisch sind.

Men­schen inter­es­sie­ren sich für beson­de­re Men­schen. Sie wol­len sie ken­nen­ler­nen und wol­len mehr über sie erfah­ren. Der Wer­be­spot zu dem ers­ten Par­fum von Gabrie­la Hearst ist wie ein inti­mes Video-Tage­buch, das der Desi­gne­rin bis in die Bade­wan­ne folgt.

Für sei­ne Balen­cia­ga-Show cas­te­te Dem­na erst­ma­lig nicht Per­sön­lich­kei­ten, die für ihn eine öffent­li­che Bedeu­tung haben, son­dern Men­schen, die für ihn eine pri­va­te Bedeu­tung haben. Er eröff­ne­te die Schau mit einem Auf­tritt sei­ner Mut­ter und been­de­te sie mit einem Auf­tritt sei­nes Man­nes. Und er erklärt: „Was ich heu­te gezeigt habe, war wahr­schein­lich mei­ne per­sön­lichs­te und liebs­te Kol­lek­ti­on, weil es dabei um mich ging.“

In einem Umfeld von Klei­dung, die zuneh­mend berech­nend wirkt, weil sie zuneh­mend berech­net wird, gewinnt auch das ganz Per­sön­li­che wie­der an Bedeu­tung. Weil es Sel­ten­heits­wert bekommt.

Ct konsum
Carl Til­les­sens Buch “Kon­sum” hat es in die Spie­gel-Best­sel­ler-Lis­te gebracht

Die­se und vie­le wei­te­re aktu­el­le Ent­wick­lun­gen wer­den auf dem DMI FASHION DAY LIVE am 22. Janu­ar in Mün­chen prä­sen­tiert und dis­ku­tiert.

Carl Til­les­sen ist gemein­sam mit Gerd Mül­­­­ler-Thom­kins Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Mode-Ins­­­ti­­­­tuts. Sein Buch “Kon­sum” geht der Fra­ge nach, wie, wo und vor allem war­um wir kau­fen. www.carltillessen.com

Bei­trä­ge von Carl Til­les­sen