Annette, Du bist seit fünf Jahren Unternehmerin, Modemacherin und Influencerin. Hat sich das Business durch Corona geändert?
Ja definitiv. Jetzt geht es um Inhalte, und Qualität setzt sich auch auf Social Media durch. Man merkt in diesen Zeiten, wer wirklich etwas draufhat.
Du warst viele Jahre Chefredakteurin der Instyle. Wie kam dein Entschluss, als Influencerin zu starten?
Nach meinem Abschied bin ich natürlich davon ausgegangen, dass ich als Chefredakteurin eines anderen Modemagazins wieder agieren würde. Aber dann kamen ausschließlich Angebote von Heften, die ich nicht machen wollte, und je länger ich darüber nachgedacht habe, was ich mit der Instyle auf die Beine gestellt habe, umso mehr ist mir klar geworden, dass man diese Erfolgsstory nicht wiederholen kann. Bei der Instyle hatten wir damals alles Geld der Welt zur Verfügung, den vollen Support des Verlegers und die Unterstützung von Patricia Riekel, ich habe mein Team komplett selbst zusammengestellt. So etwas kriegt man nicht zweimal im Leben.
Und wie kam dann der Schritt ins Online-Business?
Das kam intuitiv. Ich habe auf Instagram mit meinem Profil nettiweber gestartet. Ich wollte mal gucken, ob mir das überhaupt taugt und habe einfach angefangen. Und dann entdeckt, dass es mir Riesenspaß macht und ich mit meinen Followern viel direkter und schneller kommunizieren kann.
Als Redakteurin hat man ja gewisse Vorbehalte gegenüber Influencern und Bloggern. Hat sich dein Blick auf das Business durch deinen Seitenwechsel verändert?
Wenn du Influencer bist, musst du wirklich fleißig sein. Du bist 24/7 online, hast so gut wie keine Pausen, noch nicht mal am Wochenende. Wenn Dein Mann dann irgendwann mal sagt, du bist doch nicht mit deinem Handy verheiratet, sondern mit mir, jetzt leg‘ doch das Ding wenigstens mal am Sonntag weg, dann sagst du, geht nicht, ich mache Community Management, weil am Sonntag meine Community besonders aktiv ist. Als Chefredakteurin hätte ich nicht gedacht, dass ich irgendwann in meinem Leben noch mehr arbeiten würde. Aber ja, ich arbeite heute definitiv mehr. Ich bespiele neben meiner eigenen Glamometer-Kollektion zwei Kanäle, mit mindestens zwei, manchmal fünf Looks, parallel schreibe ich noch meine Kolumne für die Bild. Das ist ein wahnsinniger Rhythmus.
Natürlich stellen sich viele in der Öffentlichkeit ganz anders dar. Das ist ein Stück weit auch normal. Nach außen wird heile Familie gespielt, dabei geht der Mann permanent fremd, der Mercedes ist nur geliehen und die Wohnung gehört Freunden.
Instagram ist ja die Welt der schönen Bilder. Alle haben ein tolles Leben und sind glücklich.
Natürlich stellen sich viele in der Öffentlichkeit ganz anders dar. Das ist ein Stück weit auch normal. Nach außen wird heile Familie gespielt, dabei geht der Mann permanent fremd, der Mercedes ist nur geliehen und die Wohnung gehört Freunden.
Welche Influencer findest Du interessant?
Es gibt ein paar richtige gute internationale Influencer. Pernille Teisbaek ist sicher eine Benchmark für viele. Fast alle deutschen Blogger sind von ihr inspiriert und sehen aus wie sie, blond, Bob und Zackenwellen. Loulou de Saison und something navy schaue ich mir gezielt an, weil die cool und auch immer schick sind. Something navy hat es geschafft, aus ihrem Influencertum eine Marke aufzubauen. Das ist die Zukunft, da geht die Reise hin.
Du nennst internationale Influencer als Stil-Vorbilder. Warum haftet uns Deutschen immer noch dieses Brave, Biedere an? Selbst deutsche Schauspielerinnen sehen verglichen mit Hollywood-Stars immer ein bisschen provinziell aus.
Das ist der deutsche Michel, das Mittelalter, das noch in uns steckt und die Renaissance, die nicht bei uns hängen geblieben ist. Deutschland ist dezentral, es gibt die Berliner Blase, ein bisschen München, und es gibt sehr viel Provinz. Ich weiß, wovon ich spreche, ich komme selbst aus der Provinz. Praktische Kurzhaarschnitte, unauffällige Jack Wolfskin-Jacken und bequeme Mephisto-Schuhe, das ist die deutsche Realität. In kleineren und mittleren Städten gelten gewisse Dresscodes, die man besser einhält. Da funktionieren andere soziale Mechanismen, als in den Großstädten. Das hat mit Bodenhaftung zu tun. Wer zu schick oder gar glamourös angezogen ist, gilt schnell als verschwendungssüchtig. Wer ein dickes Auto fährt, läuft Gefahr, als Aufschneider abgestempelt zu werden. In München kann das Auto gar nicht groß genug sein (lacht).
Zurück zu deinem Business. Wie hat sich deine Arbeit in letzter Zeit inhaltlich verändert?
Was alle zurzeit lieben, sind Instagram Live Videos und Interviews, wo man etwas erklärt. Das klassische Business-Interview, was früher in den Modezeitschriften lief, wird jetzt auf Instagram geguckt. Genauso erfolgreich sind Hauls, in denen erklärt wird, warum man etwas gut findet. Das buchen fast alle Kunden im Moment dazu.
Gibt es auch Anfragen, die Du ablehnst?
Ganz viel. Letztes Jahr habe ich eine Kooperation für Ohrstöpsel gemacht, die waren leider von schlechter Qualität, was mir total um die Ohren flog. Unlängst hat eine Firma für Sextoys angefragt, oder ein Juwelier, der Billo-Schmuck macht, das geht auch nicht. Oder das Thema Nahrungsergänzungsmittel. Das bin ich nicht, da kenne ich mich nicht aus. Wenn etwas nicht zu mir passt, dann lass ich es lieber, denn das hat auch immer etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun. Ich würde mich auch nie in Unterwäsche oder Bademode zeigen.
Die Frauen suchen Mode, die nachvollziehbar ist, aber nicht mehr so „in your face“ springt. Diese exaltierten Looks sind peinlich. Das passt nicht in die Zeit, in der Menschen sterben oder um ihre Existenz bangen.
Im ersten Lockdown haben wir mal darüber gesprochen, wie schwierig es ist, den richtigen Ton auf Instagram zu treffen. Hat sich das inzwischen eingespielt?
Das hat sich durch Reels komplett geändert. Reels sind unglaublich erfolgreich, das ist eine neue Form von Entertainment. Das sind schöne Looks, die mit Musik untermalt werden, die Spaß und gute Laune machen. Das Leben ist gerade hart genug, und da bringen diese Reels den Frauen ein bisschen Freude in ihren Alltag.
Du sprichst im Moment viel davon, dass Mode in der aktuellen Zeit Schutz bieten muss und es sich lohnt, in Investment-Pieces bzw. edle Klassiker zu investieren. Geht die Mode einer neuen Ernsthaftigkeit entgegen?
Diese Signature-Looks vom Laufsteg funktionieren in asiatischen Ländern, aber in Deutschland sind sie im Moment nicht vermittelbar. Die Frauen denken eher darüber nach, coole Boots zu kaufen oder ein lässiges Hemd, das leicht oversized geschnitten ist und eine gute Qualität hat. Sie suchen Mode, die nachvollziehbar ist, aber nicht mehr so „in your face“ springt. Diese exaltierten Looks sind peinlich. Das passt nicht in die Zeit, in der Menschen sterben oder um ihre Existenz bangen. Ich finde es ehrlich gesagt schon peinlich, in der Schlange vor dem Louis Vuitton Maison in München zu stehen.
Kommt nach der Pandemie der Spaßfaktor zurück in die Mode?
Bei jungen Frauen definitiv. Die waren jetzt ein Jahr im Lockdown und auf keiner Party, die konnten weder Cocktailkleid noch High Heels tragen. Die wollen doch wieder sexy sein. Trotzdem glaube ich, dass die Casualisierung erst ganz am Anfang steht. Dieser Trend kommt bei den Männern aus dem Silicon Valley. Die Coolen wie Marc Zuckerberg waren schon immer im T‑Shirt unterwegs. Mittlerweile tragen selbst die Dax-Vorstände und Joe Kaesers dieser Welt auch keine Krawatte mehr, weil sie sich damit oldschool vorkommen. Oder nehmen wir aktuell die Jogginghose. Es hätte vor fünf Jahren doch keiner von uns gedacht, dass die Jogginghose einmal zum Standard-Repertoire jeder schicken Frau gehört. Jede schicke Frau hat eine komplette Garderobe mit Leisurewear, mit Cashmere, Baumwolljogginghosen, Sweater und Sneaker dazu. Darüber trägt sie ihren Plüschmantel und damit spaziert sie über die Maximilianstraße und ist gut angezogen.
Im Moment wird viel über Nachhaltigkeit geschrieben. Wie siehst Du das Thema als Influencerin?
Für mich ist das Wichtigste, dass die Sachen fair produziert sind. Dass keine Kinderarbeit dahinter steckt, finde ich persönlich noch wichtiger als ein Bio-Siegel oder Zertifikat. Bei Glamometer produzieren wir alle unsere Joggingteile in Portugal. Ein anderes, riesiges Problem in der Mode ist auch, was wir künftig mit der Altware machen.
Was ist guter Stil?
Alles, was unaufgeregt ist. Wenn du weißt, wer du bist und was zu Dir passt. Eleganz liegt immer im Weglassen. Mode muss entspannt und selbstverständlich aussehen. Wichtig finde ich allerdings, dass sich ein guter Stil auch mit der Zeit verändert. Nichts ist schlimmer als Frauen, die irgendwann in ihrem Look, ihrem Make-up und Frisur stehen geblieben sind.
Kann man Stil lernen?
Ich fürchte nein. Das ist ein Talent, das einem in die Wiege gelegt wird, wie Klavier oder Fußball spielen. Ein gutes Gefühl für Farben und Formen kann man nicht lernen, aber sicher habe ich mein Stilgefühl durch jahrelange intensive Arbeit mit Kollektionen geschärft. Ich habe ja tausende von Modenschauen geguckt, Kollektionen gesichtet. Ich erkenne in einer Sekunde, ob das eine gelungene oder misslungene Farbkombination ist oder ob das eine neue Proportion wird, die erfolgreich sein wird.
Das Gespräch führte Sabine Spieler