Schuhe

The Great Shoe Horror

Jeroen van Rooijen kann es nicht fassen, wie wenig Wert der Durchschnittsmann auf gutes Schuhwerk legt. Der Stilexperte über das Kleidungsstück, das Männer in der Regel am krassesten unterschätzen.
Jeroen van rooijen
Jero­en van Rooi­jen

Ich habe eine Lang­zeit-Recher­che „out in the field“ am Lau­fen. Immer wenn ich in der Umklei­de­ka­bi­ne mei­nes Fit­ness­cen­ters bin, schaue ich mich in aller Ruhe ent­lang der Sitz­bän­ke um und bil­de mich wei­ter bezüg­lich der Fuß­be­klei­dung, die dort auf ihre Trä­ger war­tet. Dann und wann mache ich Fotos davon. Ich mei­ne, dass die­se Bil­der sehr inter­es­san­te Auf­schlüs­se über den Zustand des Man­nes erlau­ben.

Denn der Schuh ist jenes Klei­dungs­stück, das Män­ner in der Regel am kras­ses­ten unter­schät­zen. Ob es damit zu tun hat, dass es sich soweit vom Kopf befin­det? Oder weil etwas, das man sowie­so mit Füs­sen tritt, ein­fach nicht mehr Beach­tung ver­dient hat? Weil sich die Füße im Nor­mal­fall unter dem Tisch und außer­halb des Blick­fel­des befin­den? Viel­leicht von allem ein biss­chen.

Gut die Hälf­te der Schu­he sind heu­te Snea­k­ers, also in Fern­ost pro­du­zier­te Turn­schu­he zumeist gro­ßer inter­na­tio­na­ler Her­stel­ler – Nike, Adi­das, Ree­bok, Puma, New Balan­ce … manch­mal neue­re Phä­no­me­ne wie Veja oder Sau­c­o­ny. Bei uns in der Schweiz außer­dem infla­tio­när: On Run­ning, der Schuh mit und von Roger Fede­rer. Die­se omni­prä­sen­ten Bequem-Sport-Schu­he sind die neu­en Mephis­tos.

Ab und zu, aber immer sel­te­ner, sieht man noch klas­si­sche Schu­he. Sel­ten Chel­sea Boots, kaum je Loa­fers, etwas häu­fi­ger Worker Boots, meis­tens aber Busi­ness-Schnü­rer, die der bra­ve Herr Otto Nor­mal­ver­brau­cher ins Büro anzieht. Und die­se Schu­he, mei­ne Damen und Her­ren, sind in der Regel kei­ne schmu­cken Exem­pla­re von San­to­ni, Alden und Church‘s, son­dern das nack­te Grau­en bzw. der blan­ke Hor­ror von Mar­ken wie Fretz Men, Lloyd, Clau­dio Con­ti, Bug­at­ti oder Rie­ker.

Meist sind die­se Busi­ness-Tre­ter stumpf-schwarz… mög­li­cher­wei­se glänz­ten sie ein­mal, doch das ist lan­ge her. Die unscharf ins Ecki­ge geform­te „Nase“ wirkt abge­tre­ten, die Absät­ze haben schief abge­lau­fe­ne Hacken. Oft sind die Schnür­sen­kel geris­sen oder aus­ge­franst. Nicht weni­ge Män­ner schei­nen über­dies fähig, ihre Tre­ter aus­zu­zie­hen, ohne die Schnü­rung zu lockern. Die Soh­len­rän­der die­ser Schu­he sehen aus wie die Räder von Pari­ser Metros: matt abge­schlif­fe­ner Gum­mi mit Abschür­fun­gen.

Ich ver­mu­te, dass die­se Schu­he von Män­nern mitt­le­ren Alters sind, die im Beruf und in der Bezie­hung „ange­kom­men“ sind und in die­sen Dis­zi­pli­nen kei­ne gro­ßen Ambi­tio­nen mehr haben. Die­se Fuß­be­klei­dung genügt dem funk­tio­na­len Bedarf und ver­dient kei­ne grö­ße­re Beach­tung. Sie ist nichts wert – ich habe Prei­se um 120 Euro ermit­telt – und wird nicht geliebt, aber trotz­dem jah­re­lang bis auf die Brand­soh­le durch­ge­lau­fen.

Was uns das über Män­ner sagt? They just don‘t fuck­ing care, möch­te man sagen. Zumin­dest in etwa 95 Pro­zent der Fäl­le. So viel Poten­zi­al und Bedarf, aber so viel Igno­ranz, Mil­lio­nen von ver­pass­ten Chan­cen. Gibt es eine Per­spek­ti­ve für die­sen Miss­stand? Bit­te, ich höre ger­ne davon. Dann kann ich einen klei­nen Notiz­zet­tel mit Emp­feh­lun­gen vor­be­rei­ten, kopie­ren und in die Hor­ror­schu­he der Her­ren ste­cken. Schließ­lich sol­len sie wis­sen, wes­halb ich stets um die Kabi­nen­bän­ke schlei­che.