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Old School Imponiergehabe

In "Männersachen" beschäftigt sich Jeroen van Rooijen mit ebenjenen. Heute geht es um Kanye Wests Kooperation mit Gap und Balenciaga, die unlängst vorgestellt wurde. Und der Jeroen nicht allzu viel abgewinnen kann.
Jeroen van rooijen
Jeroen van Rooijen

Habe dieser Tage wieder einmal lustvoll in Ingrid Loscheks bei Reclam erschienenen Mode- und Kostümlexikon geblättert. Das Buch ist ein bisschen in die Jahre gekommen, weil doch viel Mittelalter und 18. und 19. Jahrhundert drinsteckt. Auch das 20. Jahrhundert ist gut dokumentiert, bis etwa Anfang der Neunzigerjahre. Dagegen sind die interessanten Themen der letzten 30 Jahre, auf welche die Mode aktuell viel Bezug nimmt, nur ausgefranst dargestellt. Jemand sollte das mal weiterführen.

Man muss dieses Werk schon deshalb im Regal haben, um den Überblick nicht zu verlieren. Denn manchmal tut es gut, wenn man die Begriffe wieder zurechtgerückt bekommt – auch wenn man sich täglich mit Kleidung beschäftigt. So ist es interessant zu lesen, was einen Paletot von einem Redingote oder einem Ulster unterscheidet. Das wird zwar heute alles unter dem Sammelbegriff Coat zusammengefasst, doch es ist nicht ausgeschlossen, dass die alten Begriffe eines Tages wieder in Mode kommen.

Denn das meiste in der Mode kommt zurück, wie man weiß – oft nur unter neuen Namen. Der ganze Zauber, den Gucci heute auf die jungen Leute hat, würde nicht wirken, wenn es das darunter liegende Fundament der Historie nicht gäbe. Diese Marken und Moden wären unverständlich, wenn nicht in vergangenen Zeiten irgendjemand ihre Herkunft dokumentiert hätte.

In dem genannten Buch las ich über die in den Neunzigerjahren aufkommende neue Variante der Hip-Hop-Mode. Loschek schreibt, dass sich die Männer 1995 an Baggy Pants, T‑Shirts und Kapuzenpullovern in gedeckten Tönen begeisterten. Auf diese New School genannte Variante der Rapper-Gear nimmt die Mode heute wieder Bezug, hält dies dann aber wahrscheinlich für old school. Egal, wie gesagt: Begriffe können neue Bedeutungen bekommen. Was aber auch hier gilt: Es ist wiederum nur alter Wein in neuen Schläuchen. So auch bei Kanye West, dem derzeit omnipräsenten Fashion- und Social-Media-Wunderknaben.

Kanye West (44), wahlweise auch Ye genannt, ist gerade wieder in aller Munde. Natürlich wegen seiner rasch wechselnden Frauen eben war es noch Julia Fox, jetzt bereits ein weiterer Kim-Kardashian-Klon mit ausladendem Becken. Doch es scheint, dass West sich nicht nur als Loverboy, sondern auch als Modedesigner wieder stärker artikulieren will. Sicher kommt ihm zupass, dass der Mann, der ihm diesbezüglich am wuchtigsten vor der Sonne stand, viel zu früh verstorben ist. Sein Buddy Virgil Abloh hatte auf dem Parkett der Mode und Ästhetik etwas zu sagen West leider nicht. Das muss ihn gewurmt haben.

Gap-Qualität, Yeezy-Lautstärke und Balenciaga-Hype-Faktor was theoretisch interessant klingt, ist leider die totale Langeweile geworden

Die Sache mit den Yeezy-Sneakers, die West 2016 mit Adidas lancierte, hatte noch einen gewissen Neuigkeitswert. Die Schuhe wurden ein weltweiter Hype, Kanye West vom Rapper zum Mode-Unternehmer und reichen Mann. Seither muss er nicht mehr öffentlich andere Milliardäre anbetteln, wie er das vor fünf Jahren tat, als er Mark Zuckerberg via Twitter um Finanzhilfe bat.

Jüngstes Baby des West’schen Schaffensdrangs ist nun die Linie ‘Yeezy Gap engineered by Balenciaga’. Die Teile (man kann es keine Kollektion nennen) haben die Qualität von Gap, die Lautstärke von Yeezy und den Hype-Faktor von Balenciaga. Was theoretisch interessant klingt, ist aber leider die totale Langeweile geworden. Oversize geschnittene Standards, schwarz überfärbt. That’s it, mehr kann man wirklich nicht darüber sagen, auch wenn GQ es wortreich versucht und von einer Hommage an die zeitlosen Ikonen von Gap schwadroniert.

Die Linie besteht aus schwarzen T‑Shirts, Sweatshirts, Jogginghosen und einem Hoodie mit Logo, auf dem Rücken jeweils eine gestickte Friedenstaube. Eine Daunenjacke gab’s auch, aber die war innerhalb weniger Stunden vergriffen. Zudem gibt es eine unproportionale Jeansjacke mit Paddings, wie man sie von Motorradkleidung kennt. Vom modischen Originalitätswert her also ein zielsicherer Schuss in den Ofen. Neu ist da nix, außer der Tatsache, dass man sich für das dystopische Zeugs auf eine Warteliste einschreiben muss. So besteht tatsächlich die Gefahr, dass jemand den Mist kauft.

Für einen, der sich auch schon als Heiland inszenierte, ist das doch recht dürftig. Andererseits: wer hat wirklich mehr erwartet? Noch einmal zurück zu Ingrid Loscheks Lexikon – die Autorin mutmaßte damals schon, dass die Massigkeit von Oversize-Shirts, Daunenjacken und Baggy Pants eine Art männliches Imponiergehabe darstellten. Wo sie recht hatte, hatte sie recht.