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„Der Mann“ steht zur Disposition

Jeroen van Rooijen hat unlängst einen Vortrag zum Thema Trends in der Männermode gehalten. Und dabei gedacht: Wie lange gibt es „Männer“ als Kategorie überhaupt noch? Hat „der Mann“ noch eine Zukunft?
Jeroen van rooijen
Jero­en van Rooi­jen

Der Mann, wir lesen es fast täg­lich oder hören Pod­casts dazu, steht zur Debat­te. Er hat sich selbst gründ­lich des­avou­iert – unmög­lich gemacht, wenn man es etwas ein­fa­cher aus­drü­cken möch­te. „Mann“ ist vom Kraft­wort (im posi­ti­ven Sin­ne) zum Schimpf­be­griff gewor­den. Noch schlim­mer als der gene­rel­le Gat­tungs­be­griff ist nur ein Sub­typ davon: der „alte weis­se Mann“, ver­ant­wort­lich für fast alle Pro­ble­me und Miss­stän­de die­ser Welt.

Mann zu sein, das war einst eine kla­re Sache: Ein Mann war stark, sta­bil, unge­rührt, wort­karg und mit einer kur­zen Lun­te (also: Zünd­schnur) aus­ge­stat­tet. Der Mann des klas­si­schen Zuschnitts war ein furcht­lo­ser Krie­ger, ein stol­zer Clan-Chef, ein feu­ri­ger Streit­hahn, ein trink­fes­ter Pro­mil­le-König, ein gie­ri­ger Woma­ni­zer und stets paa­rungs­be­rei­ter Büf­fel. Pri­go­schin, Putin, Andrew Tate … Die­se Män­ner gibt es noch, aber sie sind Aus­lauf­mo­del­le. Kei­ner will sie mehr. Sie sind sich nur noch selbst Refe­renz. Der dop­pel­te Til(l)-Skandal des Früh­lings 2023 lässt grüs­sen. Noch nicht ein­mal in ihren eige­nen Revie­ren sind Män­ner heu­te mehr geschützt, da hilft auch der Sta­tus eines Film- oder Rock­stars nichts.

Wir stel­len also fest: Der Mann erlebt gera­de ein Mas­sa­ker, das ihn hart trifft. Wer bleibt übrig, wenn sich der Sturm lich­tet? Die Ent­wick­lung öff­net den Raum für neue Sub­ty­pen, die nicht mehr nur typisch Mann sind, son­dern etwas Neu­es. Das ist in den Medi­en ein gro­ßes The­ma, und vie­le schüt­teln dar­über den Kopf. Doch es ist da. Mann kann auch etwas ande­res als Mann sein.

Das ist sicher­lich ein Stück weit ein Hype. Und doch ändert sich damit etwas. Die Hoff­nung ist die­se: Die Män­ner der Zukunft sind etwas weni­ger eitel, dick­köp­fig, bera­tungs­re­sis­tent und zynisch wie die alte Gar­de. Jün­ge­re Män­ner pas­sen sich geschmei­dig den neu­en Anfor­de­run­gen an. Sie über­neh­men läs­sig Rol­len, die bis­her Frau­en vor­be­hal­ten waren, sei es als Ins­ta-Babe, Anzieh­pup­pe, Bar­bie oder Gen­der­flu­id-Boy.

Der absolute Lieblingsspruch des Retro-Reaktionärs ist der, wonach Männer am besten wie guter Wein seien: Je älter, desto komplexer.

Braucht jemand einen Beweis dafür? Dann schau­en Sie sich doch ein­mal an, wer heu­te die klei­nen Hand­täsch­chen der gän­gi­gen Luxus­mar­ken trägt: Es sind die jun­gen Män­ner! Ihr wich­tigs­tes Idol ist der ambi­va­len­te Har­ry Styl­es, der als Mann ohne ein­deu­ti­ge Ori­en­tie­rung fas­zi­niert wie irri­tiert. Das hat etwas ver­än­dert. Sogar böse Gangs­ter-Buben tra­gen heu­te schi­cke Clut­ches! Aller­dings: Der neue Mann besteht nicht nur aus Mus­keln, son­dern auch aus etwas Hirn, und die­ses ist für die Kon­zen­tra­ti­on und den Wil­len nötig, den es heu­te unbe­dingt braucht. Wo bekommt man das kom­bi­niert? Rich­tig, im Yoga. Und dar­um sind Män­ner für die Yoga-Bran­che die neue span­nen­de Ziel­grup­pe. Geschmei­dig­keit ist wich­ti­ger als bra­chia­le Kraft. Man nennt Yoga für Brü­der übri­gens auch Bro-ga.

Nicht alle stel­len sich die­ser Chall­enge. Der unter Beob­ach­tung ste­hen­de Mann befreit sich auch ganz ger­ne von den Erwar­tun­gen der Gesell­schaft, indem er sich aus­klinkt und das Wei­te sucht. Er fin­det es auf ein­sa­men Anhö­hen, in der Fels­wand, tief im Wald oder allei­ne in der Step­pe. Die­ser Typus des Stadt­flüch­ti­gen befeu­ert den anhal­ten­den Boom der Func­tion­al Wear.

Älte­re Semes­ter, so mei­ne ich zu spü­ren, sind geis­tig nicht mehr ganz so fle­xi­bel und tun sich schwe­rer mit der Neu­de­fi­ni­ti­on. Sie flüch­ten sich des­halb ger­ne in Retro-Ästhe­tik und Nost­al­gie. Schnel­ler als gedacht wird die­ser Mann plötz­lich alt und ein wenig reak­tio­när: Den Satz, dass frü­her alles bes­ser war, hört man nun plötz­lich von Vier­zig­jäh­ri­gen und nicht nur von Men­schen kurz vor ihrem Lebens­en­de. Der abso­lu­te Lieb­lings­spruch des Retro-Reak­tio­närs ist der, wonach Män­ner am bes­ten wie guter Wein sei­en: Je älter, des­to kom­ple­xer.

Doch wie sag­te schon Karl Lager­feld: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.

Jero­en van Rooi­jen hat ursprüng­lich Mode­de­sign stu­diert und die ver­gan­ge­nen 25 Jah­re viel Lebens­zeit an und mit Moden­schau­en in aller Welt ver­bracht. Er schrieb 15 Jah­re lang für die NZZ, war für Maga­zi­ne wie GQ, Harper‘s Bazaar, Bole­ro oder Anna­bel­le tätig, kolum­ni­er­te im Radio zu Stil-The­men und ist heu­te als frei­er Autor und Bera­ter tätig. So hält er regel­mä­ßig Trend­vor­trä­ge zu Män­ner­mo­de. Außer­dem betreibt er mit sei­ner Frau in Zürich einen Con­cept Store namens „Cabi­net“. www.vanrooijen.ch / www.cabinet-store.ch

Bei­trä­ge von Jero­en van Rooi­jen