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Und ewig lockt der Gummizug

Keine Kollektion ohne Stretchhosen, Sneaker und Trainingsjacken, der Laufsteg ist endgültig zum Ganzjahres-Sportplatz mutiert. Egal ob Luxuslabel, Premiumanbieter oder Discounter - ohne Plaste und Elaste geht nix. Nur, fragt sich Siems Luckwaldt, machen wir es uns vielleicht etwas zu bequem?
Siemsluckwaldt
Siems Luck­waldt

„Hyper­fle­xi­bi­li­tät bezeich­net eine Beweg­lich­keit der Gelen­ke und Bän­der über das alters- und geschlechts­be­zo­gen nor­ma­le Maß hin­aus.“ (Wiki­pe­dia)

Okay, das war das letz­te Paar. Kein Wahn­sinns­preis – haha, das passt – aber was soll‘s. Haupt­sa­che alles weg, ehe der Wert­ver­lust sie zu sünd­haft teu­ren Schlap­pen für die Gar­ten­ar­beit degra­diert. Oder man sie bloß noch in zwei­fel­haf­ten Memo­ra­bi­li­en-Läden los­wird, spe­zia­li­siert auf die jün­ge­re deut­sche Geschich­te. Sor­ry, eben noch rasch die letz­ten zwei Yee­zy-Snea­k­er klei­der­ge­krei­selt. Wat mutt dat mutt, sagt man in mei­ner Hei­mat. Wenn sich in Pro­mi­hir­nen mal der Vogel ein­ge­nis­tet hat, wird das Pie­pen bald ohren­be­täu­bend. Apro­pos. Zwi­schen­drin muss­te ich mich noch bei Twit­ter abmel­den. War eh bloß eine Kar­tei­lei­che, aber so lan­den mei­ne rudi­men­tä­ren Daten wenigs­tens nicht in der Musk’schen Kon­kurs­mas­se. Mora­li­sche Inte­gri­tät, ob im Klei­der­schrank oder in sozia­len Netz­wer­ken, ist ja mitt­ler­wei­le qua­si ein Full-Time-Job. Wel­cher ‚tech bro‘ dreht als nächs­tes am Rad oder krum­me Din­ger (FTX …), wel­cher Star ist reif für die Psycho-Couch – und wie holt man sich beim stän­di­gen Hal­tungs-Tur­nen kei­nen Bän­der­riss?

Dar­über muss­te ich nach­grü­beln, wäh­rend pro­fa­shio­nals mit Engels­ge­duld auf die­se Kolum­ne war­te­te. Mea cul­pa. In der es pri­mär um den nim­mer­mü­den Sports­wear-Hype gehen soll­te, der in man­cher Desi­gn­ab­tei­lung auf dem Weg zum Wahn ist. Han­geln wir uns also ganz läs­sig und mit Gum­mi­zug übers Was und Wie zum span­nen­den War­um (nicht).

„Out­door sports appa­rel is worn by sports­per­sons while per­forming sports, vigo­rous phy­si­cal exer­ci­s­es, and out­door acti­vi­ties.“

Die­se Defi­ni­ti­on einer bri­ti­schen Bera­tungs­agen­tur zur Funk­ti­on der Ware auf dem rund 13 Mil­li­ar­den Dol­lar umfas­sen­den Sports­wear­markt kön­nen Sie eigent­lich gleich wie­der ver­ges­sen. Wir befin­den uns schließ­lich längst in einer Pha­se, wo Klei­dung für Bewe­gungs­wil­li­ge sich den Trends der „rich­ti­gen“ Mode annä­hert. Und umge­kehrt kein Anbie­ter Sak­kos und Jeans aus­lie­fern mag, die sich nicht wie ein FDP-Poli­ti­ker in alle Rich­tun­gen deh­nen las­sen. Kurz: Die Gren­zen zwi­schen Ertüch­ti­gung und Ele­ganz sind min­des­tens flie­ßend, wenn nicht obso­let. Selbst im feins­ten Drei­tei­ler müs­sen Kam­pa­gnen­mo­dels meist einen wag­hal­si­gen Par­cours-Sprint mit Spa­gat in der Luft und Flan­ke über den Por­sche des Chefs hin­le­gen, um die ver­wo­be­nen Hoch­leis­tungs­gar­ne her­vor­zu­he­ben. Wo hört Arma­ni auf, wo fängt Adi­das an? Who knows!

Selbst „Löwe“ Cars­ten Maschmey­er lich­te­te sich kürz­lich lauf-gehend für Lin­ke­dIn ab und fasel­te etwas von gesun­dem Geist, gesun­dem Kör­per sowie Lear­nings aus sei­nem Burn-out. Nur sein Out­fit samt Hemd mit Kra­gen konn­te sich nicht zwi­schen Board Room und Fei­er­abend­run­de ent­schei­den.

Die Industrie kann gar nicht genug PET-Flaschen durch den Wolf drehen, um den immensen globalen Mehrbedarf an flexiblen Fasern abzudecken.

Sicher, auch mei­ne Coro­na-Speck­rol­le freut sich über neu­er­li­che Puf­fer­zo­nen in for­mel­len Out­fits. Ohne der­lei ver­zei­hen­de Sil­hou­et­ten hät­te ich in den letz­ten Mona­ten zu man­chem Ter­min im Bade­man­tel erschei­nen müs­sen. Ich tei­le auch kei­nes­wegs das ver­knö­cher­te Bon­mot vom angeb­li­chen Kon­troll­ver­lust durchs Tra­gen von Trai­nings­an­zü­gen. Da waren wohl jeman­dem eher die Zügel des eige­nen Eli­tis­mus ent­glit­ten. Trotz­dem bleibt mir die Abgren­zung zwi­schen Tra­vel Suit und Dig­ger-Uni­form von 15-Jäh­ri­gen ein Anlie­gen.

Doch auch mein grü­nes Gewis­sen wird all­mäh­lich stut­zig. Weil, so das Ergeb­nis mei­nes flüch­ti­gen Drei­sat­zes, die Indus­trie gar nicht genug PET-Fla­schen durch den Wolf dre­hen und Mikro­plas­tik aus den Welt­mee­ren fischen kann, um den immensen glo­ba­len Mehr­be­darf an fle­xi­blen Fasern abzu­de­cken. Allein Tchi­bo wirft uns stän­dig neue Farb­va­ri­an­ten der immer glei­chen Yoga-Home­wear-Fit­ness­kla­mot­ten in den Brief­kas­ten, und mit H&M Move (lei­der sehr schick, übri­gens) wird die Situa­ti­on nicht bes­ser. Oder Erd­öl-spa­ren­der. Noch so ein Aspekt, den es bei der Ath­lei­su­ri­sie­rung der Gar­de­ro­be zu beden­ken gibt.

Ein klu­ger Oze­an­be­wah­rer hat mir zudem mal erzählt, dass die Plas­tik­ka­ta­stro­phe im Prin­zip nur durch eine mög­lichst emis­si­ons­lo­se Ver­bren­nung zur Ener­gie­ge­win­nung abge­wen­det wer­den kann. Jeg­li­ches Recy­cling, so der Exper­te, sei ein heil­los ver­schwen­de­ri­sches Unter­fan­gen, und, gemes­sen am Umfang der Kunst­stoff­schwem­me, von erschre­ckend über­schau­ba­rem Impact. Nun bin ich wis­sen­schaft­lich zu wenig bewan­dert, um die­se Aus­sa­gen einem rea­li­ty check zu unter­zie­hen. Ein­ge­leuch­tet haben sie mir den­noch.

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Je sport­li­cher, des­to eher droht der Box­sack-har­te Wett­be­werb mit den Sports­wear-Gigan­ten aus den USA und Her­zo­gen­au­rach.

Tja, und ob es stra­te­gisch klug ist, die Stil­kom­pe­tenz vie­ler Label-Ate­liers für Mode auf­zu­ge­ben, in der man nicht vom Büro aus direkt aufs Lauf­band sprin­gen kann, erscheint mir ohne­hin frag­lich. Je sport­li­cher der Out­put, des­to eher droht der Box­sack-har­te Wett­be­werb mit den Sports­wear-Gigan­ten aus den USA und Her­zo­gen­au­rach. Im Luxus­seg­ment tra­gen welt­be­rühm­te Influen­cer und kul­ti­ge Logos sol­che Pseu­do-Gym-Kla­mot­ten in die Gewinn­zo­ne. Wie gut funk­tio­niert das bei mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men, die den POS mit Cubic­le-trifft-Turn­hal­le-Tei­len pflas­tern? Die glo­ba­le Gen Z dürf­te bei Snea­k­ern aus Ost-West­fa­len, vom Boden­see und aus dem Länd­le jeden­falls nur bedingt auto­ma­tisch die Apple Card zücken.

Ver­mut­lich schi­cken mir Mar­ken­stra­te­gen jetzt zig Excel-Tabel­len vol­ler furio­ser Pro­gno­sen. Ich blei­be trotz­dem skep­tisch, zumal kürz­lich zu lesen war, dass Sports­wear der mitt­le­ren Preis­la­ge dank der extrem brei­ten Käu­fer­schicht über­pro­por­tio­nal von Umsatz­ein­bu­ßen durch kri­sen­ge­schüt­tel­te Kon­su­men­ten-Bud­gets betrof­fen ist. Wie cle­ver wer­den sich da die teils immensen Invest­ments loka­ler Mode-Platz­hir­sche erwei­sen, die ihre Ver­kaufs­flä­chen mit Soft­s­hell-Jacken oder Snea­k­er-Pop-up-Stores voll­ge­stopft haben und neben­bei noch Trail-Run­ning-Kur­se sowie Fit­ness-Rei­sen anbie­ten? Mit­un­ter fehlt den Betrei­bern durch solch kos­ten­in­ten­si­ves Anbie­dern an jun­ge Trend­sze­nen und Hob­by-Tri­ath­le­ten nun das Kapi­tal, die hor­ren­den Fix­kos­ten zu beglei­chen.

Und, nur falls ich da was ver­passt habe: Trai­niert plötz­lich ganz Deutsch­land für Olym­pia? Nach mei­ner all­mor­gend­li­chen Feld­for­schung im Pend­ler­zug sind wir kaum zu einer Nati­on der Ultra-Mara­thon­läu­fer, Kon­tor­sio­nis­ten und Aske­ten mit Nagel­brett im Trek­king-Ruck­sack gewor­den. Love hand­les zu eight packs? [kur­zer Griff an den Schreib­tisch­tä­ter-Speck] Nope. Das sehen auch Sta­tis­ti­ker so, in deren Buch­füh­rung wir bei der Lei­bes­fül­le eher in Rich­tung Mexi­ko denn Japan ten­die­ren. Vor allem die jüngs­ten Konsument:innen.

Gut, wer­den Sie viel­leicht sagen, da ist das gan­ze Elas­than wenigs­tens hilf­reich. Stimmt irgend­wie. Ist mir bloß zu fata­lis­tisch bis zynisch. Was mich schließ­lich zu mei­nem Meta-Pro­blem mit der ver­rück­ten Hyper­flex-Bewe­gung führt: Wir brau­chen gera­de alles, nur kein noch beque­me­res, 360 Grad elas­ti­sches Leben. Wenn kein Hosen­bund spannt, kein Schuh drückt, kein Sak­ko­knopf beim Ein­at­men vom Faden springt, wie mer­ken wir dann noch unse­re Limits?

Wenn es nir­gends mehr eng wird, zwickt und zwackt – modisch wie meta­pho­risch betrach­tet – dann kann man es sich gleich voll­ends im Net­flix-berie­sel­ten, Twit­ter-auf­ge­peitsch­ten Post­mo­der­ne-All­tag gemüt­lich machen. In Ganz­kör­per-Span­d­ex und mit einem Fla­schen­pa­ket von Gei­le Wei­ne der Trump-Melo­ni-Apo­ka­lyp­se ent­ge­gen­grin­send. Bei auf­ge­dreh­ter Gas­ther­me, weil ist ja eh egal. Nichts wird bes­ser, ja, aber immer­hin schnei­det das Bünd­chen nicht mehr so ein.

Nichts wird besser, aber das Bündchen schneidet nicht mehr so ein.

Fest­le­gen? Why?! Wir sind höchs­tens Fle­xi­ta­ri­er, wer­den agil gema­nagt, nen­nen grei­ses Alter lie­ber Best Aging, tra­gen 24-Stun­den-Out­fits, hal­ten allen­falls einen Dry Janu­ary aus, fah­ren E‑Auto, E‑Roller, E‑Bike, E‑Moped – und das am liebs­ten im Minu­ten-Abo. Ohne Ver­pflich­tung. Na, und zu mehr als einer Ampel konn­ten wir uns an der Urne auch nicht durch­rin­gen. Sämt­li­che Optio­nen offen­hal­ten, das best of all worlds suchen, für nix (ein-)stehen und auf alles gefasst. Ein Flow-Zustand, unter­stützt von Designs, die Mee­ting oder Mara­thon zulas­sen, und von deren imprä­gnier­ter Faser der Pro­sec­co wun­der­bar abperlt. Der per­fek­te Moment eigent­lich für eine „Hel­mut Kohl“-Kapsel von Under Armour: vol­ler urge­müt­li­cher Wohl­fühl­tei­le in Oggers­heim-Ocker zum ent­spann­ten Aus­sit­zen jeg­li­cher Prio-Pro­ble­me.

Nun zweif­le ich ohne­hin seit Jah­ren an der viel beschwo­re­nen gesell­schaft­li­chen Trans­for­ma­ti­ons­kraft der Mode. Als ob ein in welt­wei­te Lie­fer­ket­ten und poli­ti­sche Abhän­gig­kei­ten ein­ge­bun­de­nes Sys­tem, das auf Dau­er­kon­sum und ewi­ger Begehr­lich­keit basiert, auch nur im Ansatz – dau­er­haft – fähig wäre, uns ein bes­se­res Mor­gen zu stri­cken. Da müs­sen wir schon selbst ran. In Bein­klei­dern mit begrenz­tem Spiel­raum und Ober­tei­len, in denen wir uns wie­der spü­ren.

Hm. Ja, viel­leicht, wenn wir uns mal etwas weni­ger wohl in unse­rer zwei­ten Haut füh­len, sich nicht alles ad infi­ni­tum aus­dehnt wie unse­re mora­li­sche Schmerz­gren­ze, wer­den wir even­tu­ell wie­der auf­merk­sa­mer. Dafür, dass nur ein Bruch­teil der Mensch­heit in Loun­ge­wear auf Teams abhängt oder mit den Bros Taue durch Cross­Fit-Käfi­ge schleppt. Die Welt ist näm­lich lei­der kein Sport­platz. Und es ist unse­re, ziem­lich ehren­vol­le Mis­si­on, dafür zu sor­gen, dass es ande­re so bequem haben kön­nen, wie wir es erle­ben dür­fen.

Siems Luck­waldt ist seit rund 20 Jah­ren ein Exper­te für die Welt der schö­nen Din­ge und ein Ken­ner der Men­schen, die die­se Welt mög­lich machen. Ob in sei­nem aktu­el­len Job als Life­style Direc­tor von Capi­tal und Busi­ness Punk, für Luft­han­sa Exclu­si­ve, ROBB Report oder das legen­dä­re Finan­cial Times-Sup­ple­ment How To Spend It.

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Bei­trä­ge von Siems Luck­waldt