Vuitton

Luxus neu denken?

Marmor in den Flagships, NFTs im Metaverse und Engagement in der Kunst – sind das die Elemente, die Luxus heute begehrlich machen? Barbara Markert hat da ihre Zweifel.
Barbara markert
Bar­ba­ra Mar­kert

Kas­sel ist nicht Vene­dig. Zwar ver­an­stal­ten bei­de Städ­te in die­sem Jahr die bei­den wich­tigs­ten Kunst­e­vents Euro­pas, aber die eine ist ein inter­na­tio­na­ler Tou­ris­ten­ma­gnet, die ande­re eine hes­si­sche Pro­vinz­stadt. Und das ist viel­leicht auch gut so. Denn ein Blick auf das Pro­gramm der aktu­ell lau­fen­den Bien­na­le di Vene­zia zeigt, dass sich neben der Kunst­sze­ne vor allem die Luxus­in­dus­trie in Vene­dig selbst ein­ge­la­den hat. Von Cha­nel bis Die­sel sind fast alle ver­tre­ten. Fon­da­ti­on Pinault (Kering) und Fon­da­zio­ne Pra­da unter­hal­ten eige­ne Kunst­häu­ser. Die ande­ren punk­ten mit mon­dä­nen Diners, Art-Hap­pe­nings und Spon­sor­ships. Film­stars wie Til­da Swin­ton ver­brei­ten Gla­mour, LVMH-Haus­ar­chi­tekt Peter Mari­no nutzt sei­ne Kon­tak­te, um Geld für die Ret­tung his­to­ri­scher Gebäu­de ein­zu­sam­meln.

Die Luxus­in­dus­trie posi­tio­niert sich als groß­zü­gi­ger Mäzen der schö­nen Küns­te. Vene­dig lie­fert die per­fek­te Kulis­se dazu. Und zu kau­fen gibt es auch was, wie z.B. eine Cap­su­le-Kol­lek­ti­on von Bot­te­ga Vene­ta mit dem Schreib­ma­schi­nen­her­stel­ler Oli­vet­ti oder ein­fach nur einen City Gui­de von Lou­is Vuit­ton. Weil Kunst und Kom­merz so gut zusam­men­pas­sen, wie­der­ho­len sich die­se Enga­ge­ments auch beim Film­fes­ti­val in Can­nes, der Art Basel oder der Möbel­mes­se in Mai­land.

Die Fra­ge ist, ob uns die­ses bekann­te Erfolgs­re­zept aus schö­nen Pro­duk­ten, schö­nen Men­schen, schö­nen Orten und ehr­vol­lem Enga­ge­ment noch ein beein­druck­tes Erstau­nen oder nur noch ein gelang­weil­tes Zur-Kennt­nis-neh­men ent­lockt? Ist das wirk­lich zeit­ge­mäß? Ein Luxus, der in eine Zeit des Krie­ges in der Ukrai­ne, einer schein­bar nicht enden­den Pan­de­mie, einer erneu­ten Hun­gers­not in Afri­ka und einer dro­hen­den Kli­ma­ka­ta­stro­phe passt?

Natür­lich ist die Ant­wort auf die­se Fra­ge nicht ein­fach, natür­lich braucht die Kunst rei­che Mäze­ne und natür­lich war weder die Pan­de­mie noch der Krieg in der Ukrai­ne vor­her­seh­bar. Es erwar­tet auch nie­mand, dass die Luxus­in­dus­trie nun in Afri­ka Brun­nen baut oder Flücht­lings­la­ger unter­hält. Vie­le Ent­schei­dun­gen in die­sem Markt­seg­ment wer­den zudem auf lan­ge Sicht getrof­fen. Da kann es schon mal vor­kom­men, dass sie von den Zeit­läuf­ten über­holt wer­den.

Ein Bei­spiel dafür ist für mich die wäh­rend der letz­ten Fashion­week eröff­ne­te Dior-Bou­tique auf der Pari­ser Ave­nue Mon­tai­gne. 10.000 m², fast drei Jah­re Reno­vie­rung. Das Ergeb­nis ist über­wäl­ti­gend schön und luxu­ri­ös. Der Flag­ship­s­to­re, der die Grö­ße eines Kauf­hau­ses besitzt, beein­druckt mit meh­re­ren Gär­ten, einem Restau­rant, einem Café, einer Abtei­lung für Deko­ra­ti­on und ver­eint die gan­ze Welt von Dior, vom Schlüs­sel­an­hän­ger bis zur Hau­te Joa­il­le­rie. Fast jeder Raum ist anders gestal­tet: Mar­mor­ka­mi­ne, edler Par­kett, Holz­ver­tä­fe­lun­gen, sam­ti­ge Vor­hän­ge, moder­ner Stahl und unzäh­li­ge Spie­gel gehen mit moder­nem Indus­trie­de­sign und zeit­ge­nös­si­scher Kunst eine per­fek­te Sym­bio­se ein. Das hat LVMH-Hof­ar­chi­tekt Peter Mari­no – ja, wie­der mal er – toll hin­be­kom­men.

Den­noch schleicht sich – bei mir jeden­falls – gleich­zei­tig zum „Wow!!“ erneut eine gewis­se Lan­ge­wei­le ein. Ich habe auch das Gefühl, das etwas fehlt. Zum Bei­spiel eine Cor­ner für Vin­ta­ge- oder Second-Sea­son, eine Abtei­lung für Repa­ra­tu­ren oder eine Pop-Up-Flä­che für jun­ge Mar­ken des LVMH-Nach­wuchs­prei­ses. Der Luxus wird hier in sei­ner reins­ten Form und in sei­nen bewähr­ten Facet­ten zele­briert. Eine Rezep­tur, die auch noch immer bes­tens funk­tio­niert, kei­ne Fra­ge. Bei den Dior Book Taschen, mit 2800 Euro die Ein­stiegs­preis­la­ge im Sor­ti­ment, ste­hen die Leu­te auf alle Fäl­le Schlan­ge. Und in den Medi­en wird die neue Bou­tique bes­tens bespro­chen. Bin also nur ich so kri­tisch? Schein­bar nicht.

Überraschungen sind gut, Verantwortlichkeit, Diversität und Nachhaltigkeit sind längst zur conditio sine qua non geworden, eine zukunftsorientierte Strategie ist ratsam, … ja, und dann?

Denn auf der Lis­te der wert­volls­ten Mar­ken ran­giert inzwi­schen Balen­cia­ga ganz oben. Die Mar­ke inves­tier­te als einer der ers­ten in Video­ga­mes, trau­te sich früh ins Meta­ver­se und ver­an­stal­te­te erst eine Moden­schau mit „The Simpsons“ und dann eine zum The­ma Kriegs­flücht­lin­ge. Auch die Läden von Balen­cia­ga schau­en ger­ne anders aus als man es sonst in die­sem Seg­ment gewohnt ist: In Paris liegt der Flag­ship in einem frü­he­ren Park­haus, des­sen ehe­ma­li­ge Nut­zung noch gut erkenn­bar ist. In Lon­don wur­de eine Bou­tique kom­plett in pink-rosa Web­pelz ver­packt. Luxu­ri­ös wirkt das nicht. Über­ra­schend ist es alle­mal. Zeit­ge­mäß? Wahr­schein­lich.

Klar, könn­te man dar­aus nun ablei­ten: Man neh­me ein paar coo­le Skins in Video­ga­mes, dazu NFTs und schrä­ge Pro­duk­te (wie z.B. die Klei­der mit ein­ge­bau­ter Auto­ka­ros­se­rie von Loe­we für den kom­men­den Win­ter), und schon ist der Luxus modern. Doch so ein­fach ist es nicht. Über­ra­schun­gen sind gut, Ver­ant­wort­lich­keit, Diver­si­tät und Nach­hal­tig­keit sind längst zur con­di­tio sine qua non gewor­den, eine zukunfts­ori­en­tier­te Stra­te­gie ist rat­sam, … ja, und dann?

Der CEO von Le Prin­temps, Jean-Marc Bel­lai­che, meint, dass Luxus neu defi­niert wer­den muss und Begehr­lich­keit vor allem mit jun­gen und sel­te­nen Mar­ken geschaf­fen wer­den kann. Wie jetzt? Also eher Bot­ter statt Lou­is Vuit­ton und Gia­da statt Guc­ci? Oder reicht es schon, wenn die ange­stamm­ten Luxus-Labels sich ein­fach ein biss­chen rar machen? Also, ein paar der Flag­ships schlie­ßen, die Par­tys mit Til­da plus Mari­no can­celn, sowie auch die x‑te Cap­su­le-Kol­lek­ti­on stor­nie­ren? Die Kunst­bi­en­na­le in Vene­dig Kunst sein las­sen, so wie es frü­her war und bei der Docu­men­ta in Kas­sel noch immer ist? Mir wür­de das gefal­len.

Ach ja, zur Docu­men­ta fah­re ich die­ses Jahr auf alle Fäl­le, denn als Kura­tor fun­giert dies­mal das indo­ne­si­sche Künst­ler­kol­lek­tiv ruan­grupa. Das ist wirk­lich mal was Neu­es! Und sel­ten oben­drein. Auch erfüllt die­se Wahl alle ande­ren oben genann­ten Bedin­gun­gen an Diver­si­ty, gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung etc. Mit Luxus hat das zwar wenig zu tun, mit Zeit­geist aber sehr viel.