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Irgendwas mit Daten

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Jür­gen Mül­ler

Frü­her hat, wer jung war und einen coo­len Job such­te, “irgend­was mit Mode” gemacht. Heu­te machen die fähigs­ten Köp­fe “irgend­was mit Daten”. Das Schö­ne – und für man­chen auch Bedau­er­li­che, wenn nicht gar Bedroh­li­che – ist, dass sich bei­de Wel­ten zuneh­mend über­schnei­den. Unter den über 60.000 Besu­chern des OMR-Fes­ti­vals die­se Woche in Ham­burg waren nicht weni­ge Mode­leu­te. Und die jüngs­ten Ankün­di­gun­gen von Hugo Boss und Esprit sind wei­te­re Bele­ge für die zuneh­men­de Inte­gra­ti­on von Fashion und Tech.

Ein „Kno­ten­punkt für Geschäfts­in­no­va­tio­nen und tech­no­lo­gi­sche Exzel­lenz welt­weit“, soll das Future Lab sein, das Esprit im Herbst in Ams­ter­dam eröff­net. Es gehe dar­um, neue Metho­den zu ent­wi­ckeln, „um es der Mar­ke zu ermög­li­chen, neue Ideen umzu­set­zen, um bahn­bre­chen­de Han­dels­lö­sun­gen zu lie­fern und ihre neue kun­den­zen­trier­te Visi­on zu ver­wirk­li­chen, indem sie ihre Pro­duk­te und ein­zig­ar­ti­gen Erleb­nis­se näher an Ver­brau­cher und Han­dels­part­ner brin­gen”. So weit, so wol­kig, und man­cher Han­dels­part­ner wird sich fra­gen, ob die Mar­ke Esprit zur­zeit nicht ande­re Pro­ble­me hat.

Eben­falls im Herbst soll der Tech-Hub von Mety­is in Por­to eröff­nen, wo mit­tel­fris­tig rund 1000 Techi­es Daten für Unter­neh­men aus­wer­ten und digi­ta­le Lösun­gen ent­wi­ckeln sol­len. Allein 300 sol­len für Hugo Boss arbei­ten. Die Met­zin­ger haben dazu bereits im ver­gan­ge­nen Jahr ein Joint-ven­ture mit der Bera­tungs­ge­sell­schaft Mety­is gegrün­det, mit der Opti­on, die Gemein­schafts­fir­ma inner­halb von fünf Jah­ren kom­plett zu über­neh­men. Ein cle­ve­rer Schach­zug, der Hugo Boss die­sen Auf­bruch in ein für Mode­un­ter­neh­men noch unbe­kann­tes Gefil­de mit über­schau­ba­rem Risi­ko ermög­licht und zugleich eine Abkür­zung zur digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on des Unter­neh­mens ver­spricht. So eine Orga­ni­sa­ti­on auf­zu­bau­en, noch dazu mit Bord­mit­teln und womög­lich in Met­zin­gen, wäre ein lang­wie­ri­ges bis unmög­li­ches Unter­fan­gen. In Por­to (wie auch in Ams­ter­dam) gibt es die Infra­struk­tur, öffent­li­che För­de­rung und ins­be­son­de­re die qua­li­fi­zier­te Work­force. Anzü­ge schnei­dert Hugo Boss schließ­lich auch in Izmir.

So wie die Mode­indus­trie über Jah­re ver­sucht hat, das ver­ti­ka­le Indi­tex-Geschäfts­mo­dell zu adap­tie­ren (und größ­ten­teils immer noch dar­an labo­riert), geht es jetzt dar­um, den Wett­be­werb auf­zu­neh­men mit den Ama­zons und Zalan­dos die­ser Welt. Und das sind daten­ba­sier­te Geschäfts­mo­del­le. Da geht es uns nicht anders als ande­ren Bran­chen. VW & Co haben auch eine Wei­le gebraucht zu ver­ste­hen, dass Tes­la nicht bloß ein wei­te­rer Auto­bau­er ist, son­dern dass sie es mit einem neu­ar­ti­gen, über­le­ge­nen Betriebs­sys­tem zu tun haben.

Früher konnte man im Modegeschäft mit einem guten Bauchgefühl sehr viel erreichen. Das Business hat entsprechende Charaktere angezogen. Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt brauchen wir vor allem Brains und Analytiker. Diese Nerds für Mode zu begeistern, ist vielleicht die größte Herausforderung.

Wo die Ver­ti­ka­li­sie­rung schon ein Kraft­akt war, der tra­di­tio­nel­le Who­le­sa­ler extrem gefor­dert hat, wird die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on eine Her­ku­les­auf­ga­be, die vie­le Unter­neh­men über­for­dern wird. Wir reden über Mar­ken, die ihre Pro­duk­te über Ein­zel­han­dels­part­ner, Flä­chen und Stamm­ab­tei­lun­gen, über eige­ne Stores und Fran­chise­part­ner, über Out­lets und Shop­ping Clubs, über den eige­nen Web­shop und Online-Platt­for­men ver­kau­fen. Über gewach­se­ne Orga­ni­sa­tio­nen, wo sich Pro­zes­se ein­ge­schlif­fen und Struk­tu­ren ver­fes­tigt haben. Über Beleg­schaf­ten, die zwar über gro­ße Exper­ti­se und lang­jäh­ri­ge Erfah­rung, aber viel­fach nicht über das heu­te erfor­der­li­che digi­ta­le Know-how ver­fü­gen, und schon gar nicht über die agi­le Men­ta­li­tät von Start-ups. Letz­te­re kön­nen ihre Geschäfts­mo­del­le schul­buch­mä­ßig und mit reich­lich Fremd­ka­pi­tal aus­ge­stat­tet aus­rol­len, wäh­rend Ver­än­de­run­gen in eta­blier­ten Orga­ni­sa­tio­nen häu­fig von inter­nen Wider­stän­den und Geld­knapp­heit gebremst wer­den.

Und der Kapi­tal­be­darf wird rie­sig sein. McK­in­sey erwar­tet, dass Mode­un­ter­neh­men ihre Tech­no­lo­gie-Inves­ti­tio­nen bis Ende des Jahr­zehnts von der­zeit 1,6 bis 1,8 Pro­zent auf 3 bis 3,5 Pro­zent vom Umsatz mehr oder weni­ger ver­dop­peln wer­den. Da geht es dann um The­men wie KI-basier­tes Mar­ke­ting, das eine hoch­in­di­vi­du­el­le, per­so­na­li­sier­te Kun­den­an­spra­che ermög­licht (so wie Net­flix & Co es heu­te schon prak­ti­zie­ren). Um die Ver­bin­dung von Online- und Sta­tio­när-Kanal, etwa was die Erhe­bung und Nut­zung von Kun­den­da­ten angeht oder auch die Ein­bin­dung von Läden in die Aus­lie­fe­rung. Da geht es um eine tota­le Inte­gra­ti­on der Wert­schöp­fungs­ket­te für mehr Speed und einen effi­zi­en­te­ren Res­sour­cen­ein­satz, um die opti­ma­le Abstim­mung der diver­sen digi­ta­len Sys­te­me vom Plan­ning über das Design, das Sourcing und die Logis­tik bis hin zu Pri­cing und Allo­ka­ti­on der Ware. Und nicht weni­ge Brands wer­den sich mit The­men wie AR, VR und NFTs beschäf­ti­gen, wenn es um Mar­ke­ting­ak­ti­vi­tä­ten im Meta­ver­se oder gar einen Ein­stieg ins Geschäft mit vir­tu­el­ler Mode geht.

Nicht nur das Kapi­tal, auch die für sol­che The­men erfor­der­li­che Exper­ti­se ist in vie­len Unter­neh­men rar. Das ist nicht zuletzt eine Men­ta­li­täts-Fra­ge. Frü­her konn­te man im Mode­ge­schäft mit einem guten Bauch­ge­fühl sehr viel errei­chen. Das Busi­ness hat ent­spre­chen­de Cha­rak­te­re ange­zo­gen. Die­se Zei­ten sind vor­bei (sieht man viel­leicht vom Bou­ti­quen-Seg­ment ab). Jetzt braucht es vor allem Brains und Ana­ly­ti­ker. Die Nerds für Mode zu begeis­tern, ist viel­leicht die größ­te Her­aus­for­de­rung.

Die Daten­cracks wer­den es am Ende allein aber auch nicht rich­ten. Es braucht viel­mehr bei­des: Brains und Bauch. Zalan­do-Mit­grün­der Robert Gentz bestä­tigt dies im Inter­view mit BoF: „Du kannst nicht alles maschi­nell und ver­gan­gen­heits­ba­siert machen.“ Am Ende gehe es im Mode­ge­schäft um Emo­tio­nen. “An die­sem Punkt hel­fen die Mode­leu­te den Tech-Leu­ten”, so Gentz. „Nie­mand möch­te in einem auto­ma­ti­sier­ten Logis­tik­zen­trum ein­kau­fen. Es geht genau­so um die Kunst wie um die Wis­sen­schaft.“

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