„Wie kaufen wir in der Zukunft?“ Dies war eine der Fragen, die innerhalb einer aktuellen Studie des Instituts Français de la Mode (IFM) und der Stoffmesse Première Vision europäischen Konsumenten gestellt wurde. Die wenig überraschenden Top-3-Antworten lauteten: „weniger und besser“, „mehr nachhaltige Produkte“ und auf Rang 3 „mehr gebrauchte Kleidung“ kaufen. Sich in Secondhand zu kleiden, liegt im Trend. Es ist nicht nur eine der nachhaltigsten Lösungen, nein, die gebrauchte Kleidung umweht zudem eine Aura der Exklusivität und Expertise. Schließlich muss man sich als Konsument auf die Suche begeben nach dem einzigartigen Stück. Je außergewöhnlicher die Quelle, desto cooler.
Rund ein Drittel der Deutschen hat – laut IFM – 2019 bereits gebrauchte Kleidung gekauft. Tendenz steigend. Die Boston Consulting Group prognostiziert, dass in den kommenden fünf Jahren Zuwächse von 15 bis 20 Prozent im Markt möglich sind. Kein Wunder also, dass Goldgräberstimmung herrscht. Lange wurde das Feld dem Onlinehandel überlassen. Secondhand-Start-ups wie Vinted oder Vestiaire Collective verdienten bestens am neuen Trend der Nachhaltigkeit und gelten heute als „Einhörner“, also Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde Dollar. Die Konkurrenz bringt sich deshalb in Stellung: Die Marken wollen das Geschäft mit ihrer eigenen (gebrauchten) Ware nicht mehr anderen überlassen und Kunden stärker an sich binden. Der Handel erhofft sich, mit der alten Ware junges Publikum in die Läden locken zu können. Für die Eigen-PR ist der Einstieg ins Secondhand-Geschäft auf alle Fälle lohnenswert, denn damit gelingt „nachhaltiges Storytelling“ nach außen und nach innen die Rechtfertigung, einen CSR-Manager eingestellt zu haben. Doch neben Traffic und PR heißt das übergeordnete Ziel immer noch Umsatzsteigerung. Dieses überhaupt nicht überraschende Ergebnis hat die New Yorker Kommunikationsagentur Wunderman Thomson herausgefunden.
An der Masse der Studien zum Thema sieht man schon: Da wird nicht nur ein neues Business heraufbeschworen, das Business existiert bereits, soll Geld erwirtschaften und zwar möglichst schnell und mit einem hohen ROI. Doch genau hier holt viele neue Akteure die Realität ein. Auch wenn die Produkte bereits existieren und vergleichsweise wenig Beschaffungskosten erzeugen, so ist das Geschäft keineswegs einfach oder schnell rentabel. Der Auftritt muss professionell und authentisch sein, denn insbesondere im Vintage-Bereich ist der Konsument bestens informiert und hinterfragt kritisch. Marken, die also groß verkünden, nun auf ihrer Website Gebrauchtwaren anzubieten, dann aber nur ein halbes Dutzend Produkte in den Verkauf stellen, werden eher Kunden verlieren als dazu gewinnen. Auch Anbietern, die unter dem Schlagwort „Secondhand“ oder „Pre-loved“ versuchen, alte Lagerware zu Originalpreisen inklusive der üblichen Sales-Abschläge von 40 bis 70 Prozent anzubieten, sind schnell entlarvt. Wenn ein Angebot nur aus Kleidergrößen 32 und 34 besteht, deren Zustand stets als „ausgezeichnet“ oder „neuwertig“ beschrieben wird oder wenn es von einem Modell zwei, drei und sogar noch mehr Exemplare gibt, dann wird nicht nur der erfahrene Secondhand-Konsument stutzig. Ist für ihn der Kauf von gebrauchter Ware eine Lebenseinstellung, dann hat die Marke ihn mit dieser Greenwashing-Methode vergrault.
Aus Image- und PR-Gründen das Thema Vintage glaubwürdig zu besetzen ist heutzutage ein Muss. Der Traum vom schnellen Geld ist damit aber definitiv nicht zu realisieren.
Firmen, die sich dagegen die Mühe machen, wirklich ins Geschäft mit Vintage-Mode einzusteigen, sind schnell ernüchtert. Zu mühsam und kostenintensiv ist dieses Business. Die Kleider müssen gesammelt und die Kunden entlohnt werden mit speziellen Gutschein-Aktionen. Danach kommt die Sortierung, Reinigung, Reparatur, die Administration der Ware, die separate Lagerung und schließlich die Präsentation mit Foto und Beschreibung auf einem speziellen Webangebot. Bis das alles steht, ist bereits viel Geld geflossen. Dazu kommt, dass vieles im Secondhand-Markt nicht automatisiert werden kann, weil Roboter nicht entscheiden können, ob eine Ware „noch ok“ oder einfach „nicht mehr tragbar“ ist. Da es sich bei gebrauchter Kleidung auch bis auf wenige Ausnahmen um Einzelstücke handelt, ist selbst bei einer Online-Präsentation kaum digitale Standardisierung möglich. Mit jedem weiteren Euro an Bearbeitungs-Kosten schwindet die Marge.
Meist ist das Secondhand-Business daher ein Minus-Geschäft, das selbst mit überhöhten Preisen für die gebrauchte Ware nicht mehr zu retten ist. Wenn ich, wie vor kurzem, für eine Secondhand-Jeans der billigen Nebenlinie trf von Zara 70 Euro zahlen soll, dann fühle ich mich übers Ohr gehauen, denn hier wird für eine gebrauchte Hose das Doppelte des Neupreises verlangt. Oder warum sollte ich für eine ungebügelte, schief am Bügel hängende Bluse einer unbekannten Marke in einem Supermarkt, der aus Imagegründen nun in seiner Modeabteilung eine Ecke mit Vintage-Ware installiert hat, fast 40 Euro löhnen? Hier stimmt weder der Preis, noch die Präsentation, noch das Umfeld. Bei solchen Angeboten wird kein einziger der begehrten Gen-Z-Kunden anbeißen.
Sollte man als Marke oder Händler also besser seine Hände vom Secondhand-Markt lassen?
Aus Image- und PR-Gründen das Thema glaubwürdig zu besetzen ist heutzutage ein Muss. Der Traum vom schnellen Geld ist damit aber definitiv nicht zu realisieren. Außer man holt sich professionelle Hilfe. So wie Luisa Via Roma, die im Juni 2022 verkündeten, dass sie mit Vestiaire Collective ins Resale-Business einsteigen. Die Kooperation ist schlau erdacht: Die Kunden von LuisaViaRoma bekommen für ihre gebrauchte Ware Gutscheine für den Laden, werden damit ans Geschäft gebunden. Die ganze Abwicklung inklusive des Verkaufs jedoch liegt in Händen von Vestiaire Collective, die auf ihrer Website die Ware in einem speziell mit „Luisa Via Roma“ gekennzeichneten Webangebot anpreisen. Es ist eine Win-Win-Situation: Vestiaire Collective kommt an hochwertige Ware, beide machen gegenseitig PR füreinander, erweitern ihren Kundenstamm – und das unter dem imageträchtigen Schlagwort der Circular Economy.
Nur ist in diesem Fall der eingangs beschriebene Wunsch vieler Marken und Händler, dieses lukrative Business nicht den angestammten Online-Händlern wie eben Vestiaire Collective, Rebelle oder The Realreal zu überlassen, tüchtig schiefgelaufen. Aber erstens sind Kooperationen ja derzeit sehr in Mode und außerdem gibt es auch andere Wege, dies charmanter zu lösen: Lokale Händler oder kleinere Marken könnten sich mit lokalen oder national agierenden Secondhand-Läden zusammentun und hier gemeinsam nach Lösungen suchen. Denn wenn eines im Vintage-Markt gilt, dann ist es die Tatsache, dass alle Kunden auf der Suche nach Exklusivität des Produktes und der besonderen Einkaufs-Quelle sind. Die Geschichte, die man mit dem gebrauchten Kleidungsstück kauft und verkauft, macht am Ende den Unterschied. Und vielleicht auch den Umsatz.