Vestiairecollective

Schneller ROI oder schnelle Ernüchterung

Vom Einstieg ins trendige Vintage-Business versprechen sich Marken und Händler Zuwachs an Image, Kunden und Umsatz. Die Herausforderungen werden dagegen unterschätzt, meint Barbara Markert (die selbst ein Second Hand-Business betreibt).
Barbara markert
Bar­ba­ra Mar­kert

„Wie kau­fen wir in der Zukunft?“ Dies war eine der Fra­gen, die inner­halb einer aktu­el­len Stu­die des Insti­tuts Fran­çais de la Mode (IFM) und der Stoff­mes­se Pre­miè­re Visi­on euro­päi­schen Kon­su­men­ten gestellt wur­de. Die wenig über­ra­schen­den Top-3-Ant­wor­ten lau­te­ten: „weni­ger und bes­ser“, „mehr nach­hal­ti­ge Pro­duk­te“ und auf Rang 3 „mehr gebrauch­te Klei­dung“ kau­fen. Sich in Second­hand zu klei­den, liegt im Trend. Es ist nicht nur eine der nach­hal­tigs­ten Lösun­gen, nein, die gebrauch­te Klei­dung umweht zudem eine Aura der Exklu­si­vi­tät und Exper­ti­se. Schließ­lich muss man sich als Kon­su­ment auf die Suche bege­ben nach dem ein­zig­ar­ti­gen Stück. Je außer­ge­wöhn­li­cher die Quel­le, des­to coo­ler.

Rund ein Drit­tel der Deut­schen hat – laut IFM – 2019 bereits gebrauch­te Klei­dung gekauft. Ten­denz stei­gend. Die Bos­ton Con­sul­ting Group pro­gnos­ti­ziert, dass in den kom­men­den fünf Jah­ren Zuwäch­se von 15 bis 20 Pro­zent im Markt mög­lich sind. Kein Wun­der also, dass Gold­grä­ber­stim­mung herrscht. Lan­ge wur­de das Feld dem Online­han­del über­las­sen. Second­hand-Start-ups wie Vin­ted oder Ves­ti­ai­re Coll­ec­ti­ve ver­dien­ten bes­tens am neu­en Trend der Nach­hal­tig­keit und gel­ten heu­te als „Ein­hör­ner“, also Unter­neh­men mit einer Markt­be­wer­tung von über einer Mil­li­ar­de Dol­lar. Die Kon­kur­renz bringt sich des­halb in Stel­lung: Die Mar­ken wol­len das Geschäft mit ihrer eige­nen (gebrauch­ten) Ware nicht mehr ande­ren über­las­sen und Kun­den stär­ker an sich bin­den. Der Han­del erhofft sich, mit der alten Ware jun­ges Publi­kum in die Läden locken zu kön­nen. Für die Eigen-PR ist der Ein­stieg ins Second­hand-Geschäft auf alle Fäl­le loh­nens­wert, denn damit gelingt „nach­hal­ti­ges Sto­rytel­ling“ nach außen und nach innen die Recht­fer­ti­gung, einen CSR-Mana­ger ein­ge­stellt zu haben. Doch neben Traf­fic und PR heißt das über­ge­ord­ne­te Ziel immer noch Umsatz­stei­ge­rung. Die­ses über­haupt nicht über­ra­schen­de Ergeb­nis hat die New Yor­ker Kom­mu­ni­ka­ti­ons­agen­tur Wun­der­man Thom­son her­aus­ge­fun­den.

An der Mas­se der Stu­di­en zum The­ma sieht man schon: Da wird nicht nur ein neu­es Busi­ness her­auf­be­schwo­ren, das Busi­ness exis­tiert bereits, soll Geld erwirt­schaf­ten und zwar mög­lichst schnell und mit einem hohen ROI. Doch genau hier holt vie­le neue Akteu­re die Rea­li­tät ein. Auch wenn die Pro­duk­te bereits exis­tie­ren und ver­gleichs­wei­se wenig Beschaf­fungs­kos­ten erzeu­gen, so ist das Geschäft kei­nes­wegs ein­fach oder schnell ren­ta­bel. Der Auf­tritt muss pro­fes­sio­nell und authen­tisch sein, denn ins­be­son­de­re im Vin­ta­ge-Bereich ist der Kon­su­ment bes­tens infor­miert und hin­ter­fragt kri­tisch. Mar­ken, die also groß ver­kün­den, nun auf ihrer Web­site Gebraucht­wa­ren anzu­bie­ten, dann aber nur ein hal­bes Dut­zend Pro­duk­te in den Ver­kauf stel­len, wer­den eher Kun­den ver­lie­ren als dazu gewin­nen. Auch Anbie­tern, die unter dem Schlag­wort „Second­hand“ oder „Pre-loved“ ver­su­chen, alte Lager­wa­re zu Ori­gi­nal­prei­sen inklu­si­ve der übli­chen Sales-Abschlä­ge von 40 bis 70 Pro­zent anzu­bie­ten, sind schnell ent­larvt. Wenn ein Ange­bot nur aus Klei­der­grö­ßen 32 und 34 besteht, deren Zustand stets als „aus­ge­zeich­net“ oder „neu­wer­tig“ beschrie­ben wird oder wenn es von einem Modell zwei, drei und sogar noch mehr Exem­pla­re gibt, dann wird nicht nur der erfah­re­ne Second­hand-Kon­su­ment stut­zig. Ist für ihn der Kauf von gebrauch­ter Ware eine Lebens­ein­stel­lung, dann hat die Mar­ke ihn mit die­ser Green­wa­shing-Metho­de ver­grault.

Aus Image- und PR-Gründen das Thema Vintage glaubwürdig zu besetzen ist heutzutage ein Muss. Der Traum vom schnellen Geld ist damit aber definitiv nicht zu realisieren.

Fir­men, die sich dage­gen die Mühe machen, wirk­lich ins Geschäft mit Vin­ta­ge-Mode ein­zu­stei­gen, sind schnell ernüch­tert. Zu müh­sam und kos­ten­in­ten­siv ist die­ses Busi­ness. Die Klei­der müs­sen gesam­melt und die Kun­den ent­lohnt wer­den mit spe­zi­el­len Gut­schein-Aktio­nen. Danach kommt die Sor­tie­rung, Rei­ni­gung, Repa­ra­tur, die Admi­nis­tra­ti­on der Ware, die sepa­ra­te Lage­rung und schließ­lich die Prä­sen­ta­ti­on mit Foto und Beschrei­bung auf einem spe­zi­el­len Web­an­ge­bot. Bis das alles steht, ist bereits viel Geld geflos­sen. Dazu kommt, dass vie­les im Second­hand-Markt nicht auto­ma­ti­siert wer­den kann, weil Robo­ter nicht ent­schei­den kön­nen, ob eine Ware „noch ok“ oder ein­fach „nicht mehr trag­bar“ ist. Da es sich bei gebrauch­ter Klei­dung auch bis auf weni­ge Aus­nah­men um Ein­zel­stü­cke han­delt, ist selbst bei einer Online-Prä­sen­ta­ti­on kaum digi­ta­le Stan­dar­di­sie­rung mög­lich. Mit jedem wei­te­ren Euro an Bear­bei­tungs-Kos­ten schwin­det die Mar­ge.

Vin
“Übers Ohr gehau­en”: Second­hand-Jeans der Zara-Linie trf zum Dop­pel­ten des Neu­prei­ses.

Meist ist das Second­hand-Busi­ness daher ein Minus-Geschäft, das selbst mit über­höh­ten Prei­sen für die gebrauch­te Ware nicht mehr zu ret­ten ist. Wenn ich, wie vor kur­zem, für eine Second­hand-Jeans der bil­li­gen Neben­li­nie trf von Zara 70 Euro zah­len soll, dann füh­le ich mich übers Ohr gehau­en, denn hier wird für eine gebrauch­te Hose das Dop­pel­te des Neu­prei­ses ver­langt. Oder war­um soll­te ich für eine unge­bü­gel­te, schief am Bügel hän­gen­de Blu­se einer unbe­kann­ten Mar­ke in einem Super­markt, der aus Image­grün­den nun in sei­ner Mode­ab­tei­lung eine Ecke mit Vin­ta­ge-Ware instal­liert hat, fast 40 Euro löh­nen? Hier stimmt weder der Preis, noch die Prä­sen­ta­ti­on, noch das Umfeld. Bei sol­chen Ange­bo­ten wird kein ein­zi­ger der begehr­ten Gen-Z-Kun­den anbei­ßen.

Soll­te man als Mar­ke oder Händ­ler also bes­ser sei­ne Hän­de vom Second­hand-Markt las­sen?

Aus Image- und PR-Grün­den das The­ma glaub­wür­dig zu beset­zen ist heut­zu­ta­ge ein Muss. Der Traum vom schnel­len Geld ist damit aber defi­ni­tiv nicht zu rea­li­sie­ren. Außer man holt sich pro­fes­sio­nel­le Hil­fe. So wie Lui­sa Via Roma, die im Juni 2022 ver­kün­de­ten, dass sie mit Ves­ti­ai­re Coll­ec­ti­ve ins Resa­le-Busi­ness ein­stei­gen. Die Koope­ra­ti­on ist schlau erdacht: Die Kun­den von Lui­sa­Vi­a­Ro­ma bekom­men für ihre gebrauch­te Ware Gut­schei­ne für den Laden, wer­den damit ans Geschäft gebun­den. Die gan­ze Abwick­lung inklu­si­ve des Ver­kaufs jedoch liegt in Hän­den von Ves­ti­ai­re Coll­ec­ti­ve, die auf ihrer Web­site die Ware in einem spe­zi­ell mit „Lui­sa Via Roma“ gekenn­zeich­ne­ten Web­an­ge­bot anprei­sen. Es ist eine Win-Win-Situa­ti­on: Ves­ti­ai­re Coll­ec­ti­ve kommt an hoch­wer­ti­ge Ware, bei­de machen gegen­sei­tig PR für­ein­an­der, erwei­tern ihren Kun­den­stamm – und das unter dem image­träch­ti­gen Schlag­wort der Cir­cu­lar Eco­no­my.

Nur ist in die­sem Fall der ein­gangs beschrie­be­ne Wunsch vie­ler Mar­ken und Händ­ler, die­ses lukra­ti­ve Busi­ness nicht den ange­stamm­ten Online-Händ­lern wie eben Ves­ti­ai­re Coll­ec­ti­ve, Rebel­le oder The Real­re­al zu über­las­sen, tüch­tig schief­ge­lau­fen. Aber ers­tens sind Koope­ra­tio­nen ja der­zeit sehr in Mode und außer­dem gibt es auch ande­re Wege, dies char­man­ter zu lösen: Loka­le Händ­ler oder klei­ne­re Mar­ken könn­ten sich mit loka­len oder natio­nal agie­ren­den Second­hand-Läden zusam­men­tun und hier gemein­sam nach Lösun­gen suchen. Denn wenn eines im Vin­ta­ge-Markt gilt, dann ist es die Tat­sa­che, dass alle Kun­den auf der Suche nach Exklu­si­vi­tät des Pro­duk­tes und der beson­de­ren Ein­kaufs-Quel­le sind. Die Geschich­te, die man mit dem gebrauch­ten Klei­dungs­stück kauft und ver­kauft, macht am Ende den Unter­schied. Und viel­leicht auch den Umsatz.