Retouren

Hört ihr Shein lachen?

Retouren belasten die Umwelt und sie schaden der GuV. Wie lässt sich das leidige Zurücksenden von Ware minimieren? Retourengebühren sind der falsche Weg, sagt Stefan Wenzel.
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

Retou­ren sind ein bekann­tes Pro­blem. Für die Umwelt und die Gewinn- und Ver­lust­rech­nung. Für die Umwelt, weil Retou­ren allein in Deutsch­land mehr als 40.000 Ton­nen CO² pro Jahr ver­ur­sa­chen. Für die Gewinn- und Ver­lust­rech­nung, weil zum Bei­spiel bei Beklei­dung aus einer teu­er gewon­ne­nen Bestel­lung im Schnitt weni­ger als die Hälf­te des Umsat­zes übrig bleibt und man zudem auf Pro­zess- und Wert­min­de­rungs­kos­ten von bis zu 20 Euro pro Retou­re sit­zen bleibt.

Die For­schungs­grup­pe Retou­ren­ma­nage­ment der Uni­ver­si­tät Bam­berg schätzt, dass im Jahr 2021 allein in Deutsch­land rund 530 Mil­lio­nen Pake­te zurück­ge­schickt wur­den. Bei ange­nom­me­nen Kos­ten von nur 15 Euro pro Retou­re ent­spricht das fast 8 Mil­li­ar­den Euro ent­gan­ge­nem Betriebs­er­geb­nis in den Unter­neh­men. Je höher der Tex­til­an­teil am Geschäft, je modi­scher die Ware, des­to grö­ßer das Pro­blem. Die Fra­ge, wie die Retou­ren­quo­te gesenkt wer­den kann, ist daher so alt wie der Distanz­han­del selbst. Für die Mar­ken hat die Aus­la­ge­rung des Pro­blems an die Händ­ler lan­ge Zeit funk­tio­niert, doch mit stei­gen­dem D2C-Anteil ist das vor­bei.

Die Moti­va­ti­on, stei­gen­de Kos­ten an den Kun­den wei­ter­zu­ge­ben, ist nach­voll­zieh­bar. Und jede ‘Zalan­do-Par­ty’, jeder offen­sicht­li­che Miss­brauch lässt die Emo­tio­nen neu hoch­ko­chen. Aber die wenigs­ten Kun­den retour­nie­ren in miss­bräuch­li­cher Absicht oder aus Spaß am Retou­ren­pro­zess.

Um zu ver­ste­hen, war­um Gebüh­ren für Retou­ren der fal­sche Weg sind, lohnt sich ein Blick auf die Grün­de fürs Zurück­sen­den: Mit über 60 Pro­zent ist der mit Abstand wich­tigs­te Grund für die Rück­sen­dung eines Arti­kels die Grö­ße und Pass­form. Inkon­sis­ten­te Grö­ßen von Mar­ke zu Mar­ke, aber auch inner­halb einer Mar­ke je nach Pro­duk­ti­ons­char­ge, Mate­ri­al, Sai­son oder Lie­fe­rant sind der wenig gol­de­ne Stan­dard einer gan­zen Bran­che. Krea­ti­ve Pass­for­men tra­gen zur Ver­wir­rung der Kun­den bei. Zu alle­dem kommt viel­fach schlech­te Qua­li­tät.

Ein wesent­li­cher Teil des Pro­blems liegt also beim Anbie­ter, bei der Mar­ke. Umso bemer­kens­wer­ter ist es, dass mit Zara oder H&M aus­ge­rech­net Mar­ken anfan­gen, Gebüh­ren für Retou­ren zu erhe­ben. Das ist so, als wür­de die Bahn bei Ver­spä­tun­gen einen Zuschlag vom Fahr­gast ver­lan­gen.

Laut einer Stu­die des ECC Köln bre­chen fast 60 Pro­zent der Nut­zer den Kauf ab, wenn Retou­ren­ge­büh­ren dro­hen. Zudem führt die als unge­recht emp­fun­de­ne Bestra­fung zu einem Ver­mei­dungs­ver­hal­ten in der Zukunft und damit zur Abwan­de­rung von Kun­den. Auch der Effekt der emp­fun­de­nen Unge­rech­tig­keit auf künf­ti­gen Umsatz ist nicht neu, schon vor mehr als 10 Jah­ren wur­de die wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­se die­ses Zusam­men­hangs im Jour­nal of Mar­ke­ting ver­öf­fent­licht. Retou­ren­ge­büh­ren füh­ren also kurz­fris­tig zu Erlö­sen, lang­fris­tig dürf­te der Scha­den den Ertrag deut­lich über­stei­gen – nicht zuletzt, weil es immer genü­gend Alter­na­ti­ven ohne Retou­ren­ge­büh­ren geben wird.

Digi­ta­le Platt­for­men hört man ob sol­cher Manö­ver von sta­tio­när-sozia­li­sier­ten Play­ern lei­se kichern. Sie bie­ten schließ­lich mehr Aus­wahl an Ver­gleich­ba­rem, wenn nicht sogar das Glei­che, aber ohne Straf­zöl­le. Und vor allem dürf­te das Manage­ment bei SHEIN, dem neu­en digi­ta­len Umsatz-Magnet im Value-Seg­ment, vor Lachen kaum in den Schlaf kom­men. Die Chi­ne­sen hat­ten zwar auch vor­her schon den eins­ti­gen Platz­hirsch aus Schwe­den auf sei­nem ange­stamm­ten Spiel­feld der schnel­len, bil­li­gen Mode abge­hängt. Mit Ser­vice-Straf­ge­büh­ren unter­stützt man aber unge­wollt die Fes­ti­gung der neu­en Rang­rei­hen­fol­ge.

Der mit Abstand größte Hebel ist und bleibt das Produkt. Konsistente Größen und Passformen wären ein großer Lösungsbeitrag. Darauf zu hoffen, ist leider naive Zeitverschwendung.

Kun­den wis­sen, dass Logis­tik nicht zum Null­ta­rif zu haben ist. Rezi­pro­zi­tät, die Psy­cho­lo­gie der Betei­li­gung für etwas Emp­fan­ge­nes, funk­tio­niert. Gestaf­fel­te Ver­sand­kos­ten sind daher ein sinn­vol­le­rer Weg, die Wirt­schaft­lich­keit der Ver­sand­lo­gis­tik zu ver­bes­sern, ohne in die Fal­le der als unfair emp­fun­de­nen Retou­ren­ge­bühr zu tap­pen.

Die Lis­te der Ein­fluss­mög­lich­kei­ten auf die Retou­ren­quo­te ist lang. Und natür­lich ist neben dem Sor­ti­ment, geeig­ne­ten Pro­dukt­bil­dern und ‑infor­ma­tio­nen auch die geziel­te Steue­rung der Zah­lungs­ar­ten ein effek­ti­ver Hebel auf das The­ma – Kauf auf Rech­nung hat zum Bei­spiel die höchs­te Retou­ren­quo­te.

Nein, der zen­tra­le und mit Abstand größ­te Hebel ist und bleibt das Pro­dukt. Aus Effi­zi­enz in gro­ßen Men­gen mas­sen­pro­du­ziert soll es auf indi­vi­du­el­le Kör­per pas­sen. Ein­heit­li­che und kon­sis­ten­te Grö­ßen und Pass­for­men inner­halb einer Mar­ke und zwi­schen den Mar­ken wären ein gro­ßer Lösungs­bei­trag. Dar­auf zu hof­fen, ist lei­der nai­ve Zeit­ver­schwen­dung.

Die Ver­mes­sung des Nut­zers – ob ein- oder mehr­di­men­sio­nal, ob mit oder ohne vir­tu­al rea­li­ty – genießt als schein­bar ein­fachs­te Ant­wort auf das Pro­blem aktu­ell zwar media­le Auf­merk­sam­keit, greift aber zu kurz. Denn ohne die Ver­knüp­fung der Kör­per­ma­ße mit den kon­kre­ten Maßen des jewei­li­gen Pro­duk­tes fehlt offen­sicht­lich der zwei­te Teil der Glei­chung. Aber auch dafür gibt es inzwi­schen ers­te KI-basier­te, ganz­heit­li­che Lösun­gen jen­seits rei­ner Front­end-Gim­micks. Man muss es nur wol­len und machen.

Die kom­mer­zi­el­len Anrei­ze für Her­stel­ler und Mar­ken, sich mit sol­chen Lösun­gen zu beschäf­ti­gen und dadurch auch ihre Händ­ler zu unter­stüt­zen, sind eigent­lich groß genug. Dass pas­sen­de Grö­ßen und Pass­for­men nicht nur Kos­ten spa­ren und die Umwelt scho­nen, son­dern auch Teil eines bin­den­den Mar­ken­er­leb­nis­ses sind, soll­te zudem dazu anre­gen, an den rich­ti­gen Stel­len anzu­set­zen. Retou­ren­ge­büh­ren gehö­ren aller­dings nicht dazu.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im Digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­view- und Pod­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel

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4 Antworten zu “Hört ihr Shein lachen?

  1. Es wäre wirk­lich ide­al, wenn die Pro­du­zen­ten sich mehr an die Maße hal­ten wür­den. Wenn ich neu­er­dings eine Grö­ßen­ran­ge von 44 bis 50 schon allei­ne nur bei H&M habe, dann müs­sen die sich nicht wun­dern, dass mehr als die Hälf­te der Arti­kel wie­der zurück­ge­sen­det wer­den. Hin­zu kommt, dass bei den meis­ten Händ­lern wie Zara, H&M etc. in den Läden nur ein begrenz­tes Sor­ti­ment ange­bo­ten wird. Dazu fast kei­ne Rand­grö­ßen, somit ist der Kun­de qua­si gezwun­gen online zu bestel­len.

  2. Schön auf den Punkt gebracht. Schön – aller­dings auch recht pla­ka­tiv (oder gar ‚grob‘?). Ein biss­chen mehr Kun­den­sicht kann span­nen­de Ein­bli­cke lie­fern – wir spre­chen ja nicht von einer Tüte Milch im Super­markt (glei­cher Inhalt, egal wo sie gekauft wur­de).
    Zum einen: Kos­ten­frei kann der Kun­de wei­ter­hin in den Sta­tio­när­lä­den retour­nie­ren – wur­de mal geprie­sen als ein ech­ter ‚Omnich­an­nel-Vor­teil‘ der Fre­quenz schafft sowie per­sön­li­che Inter­ak­ti­on mit dem Kun­de, und mitt­ler­wei­le haben auch eini­ge e‑com Apos­tel den Wert einer funk­tio­nie­ren­den Innen­stadt erkannt.
    Zum ande­ren: egal wie man es dreht und wen­det – für vie­le Kon­su­men­ten ist ein wei­ßes T‑Shirt nicht gleich ein wei­ßes T‑Shirt, son­dern was drin­steht (Guc­ci, Zara oder Mey?) und wo es gekauft wur­de (Fach­ge­schäft, Dis­coun­ter oder online-Res­te­ram­pe?) spie­len eine Rol­le in der Wahr­neh­mung des Kaufs.
    Shein wird nicht weg­ge­hen – aber dass sie Zara, H&M und hof­fent­lich bald mehr Kon­zep­te, die Retou­ren­ge­büh­ren erhe­ben jetzt wegen die­ser über­trump­fen sol­len, gehört wohl in das glei­che Regal wie ‚bald kau­fen alle nur noch online‘

  3. Lie­ber Ste­fan. Ich tei­le die Mei­nung das Retou­ren , die sei­tens der Ver­brau­cher bezahlt wer­den müs­sen, nicht die allei­ne Lösung sind. Das Ein­zi­ge was an den Kos­ten gut sein kann , ist die die Tat­sa­che das Ver­brau­cher ( hof­fen wir mal ) anfan­gen zu über­le­gen wie­viel sie bestel­len. Vie­le han­deln nach dem Prin­zip erst mal eine Ton­ne zu bestel­len , obwohl sie schon vor­her wis­sen ,das sie 990 kg zurück­sen­den wer­den.
    Bezüg­lich der Pass­form bin ich völ­lig bei Ihnen. Ins­be­son­de­re in Gesell­schaf­ten wo die Men­schen immer mehr zuneh­men wird die Pass­form noch wich­ti­ger als je zuvor. Auf der ande­ren Sei­te wer­den oft die gesam­te Pro­zes­se aus Kos­ten­grün­den incl. Pass­form auf die Vor­stu­fe ver­la­gert und nur noch Mass­an­ga­ben gemacht. Das ist im Grund­satz schwach­sin­nig, denn eine Naht die 40 cm lang sein soll ( extrem gespro­chen ) kann wel­lig sein , rund, eckig , oder was auch immer. Aber selbst wenn Basis­schnit­te ver­sen­det wer­den ,heisst das noch lan­ge nicht das der Pro­du­zent einen Schim­mer davon haben muss was er ver­än­dern soll bei Ein­lauf­wer­ten und wo er am bes­ten gar­nicht erst anfängt zu ändern. Da gibt es selbst bei Top­mar­ken aben­teu­er­li­che Ergeb­nis­se. Und all das lie­ße sich sicher­lich ändern ,wenn man in der gesam­ten Lie­fer­ket­te einer Mar­ke das strikt ver­fol­gen wür­de. Aber scheint eher das Gegen­teil zu sein. Zusätz­lich erschwe­rend ist das alle Mar­ken unter­schied­li­che Ansät­ze / Inter­pre­ta­tio­nen haben sodass dem Ver­brau­cher nicht leicht gehol­fen wer­den kann. Dann sind wir wie­der bei den Mas­sen­be­stel­lun­gen. Der Ein­satz von KI wird sicher­lich eine Hil­fe sein , aber am Ende wird nur die Mischung aus allem einen Erfolg haben. Je mehr gute , pas­sen­de Pro­duk­te erstellt wer­den, des­to weni­ger Retou­ren und des­to weni­ger Über­pro­duk­ti­on. All das hilft am Ende der Umwelt ( weni­ger CO2 Aus­stoss und weni­ger Res­sour­cen wer­den ver­braucht , hilft also uns allen !!! ) und den Finan­zen ! Und am Ende auch den Lie­fe­ran­ten , da ein­kal­ku­lier­ter Schrott weg­fällt, die wirk­lich benö­tig­ten Tei­le bes­ser und höher bezahlt wer­den könn­ten , da sie alle von Her­ein mit ein­kal­ku­liert wur­den. An sich gar­nicht so schwer.

    1. Vie­len Dank, lie­ber Marc. Letzt­lich eine Fra­ge der Prio­ri­sie­rung bei den Her­stel­lern, über PR-Akti­­vi­­tä­­ten hin­aus wirk­sam zu wer­den. Lösun­gen gibt es.

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