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"Das schreckt offenbar niemanden"

Die weltberühmte Trendforscherin Gundel Ekeldoort über Wies'n-Looks und Trachten-Trends. Und warum das Dirndl in seiner heutigen Form eine Nazi-Erfindung ist.

Schon auf dem Okto­ber­fest gewe­sen, Frau Ekel­doort?

Als Trend­for­sche­rin befas­se ich mich pro­fes­sio­nell mit die­sem Phä­no­men. Aber die Wies’n mei­de ich. Ich will nicht auf Blau­kraut enden.

Nach zwei Jah­ren ohne Okto­ber­fest war die Vor­freu­de in Mün­chen immens. Die Trach­ten­an­bie­ter, so hört man, ver­zeich­ne­ten gute Geschäf­te.

Das liegt wahr­schein­lich dar­an, dass die meis­ten Leu­te in der Pan­de­mie zuge­nom­men haben und in das alte Dirndl nicht mehr rein­pas­sen.

Hoch­ge­schlos­se­ne Blu­sen sind angeb­lich im Trend. Wie bewer­ten Sie das? Ist das womög­lich ein Beleg für eine neue Prü­de­rie?  

Mir gefällt’s. Wie Sie sehen kön­nen, am liebs­ten Schwarz. Aber einer empi­ri­schen Über­prü­fung hält Ihre Behaup­tung nicht stand. Wer als Influen­ce­rin von Klicks lebt, muss zei­ge­freu­dig sein. Und ‚Lay­la‘ ist der Wies’n‑Hit Num­mer 1! Für mich ist das Okto­ber­fest die Anti­the­se zum Gen­der­less-Trend. Hier wer­den Män­ner als Män­ner und Frau­en als Frau­en gele­sen. Und die zwei Wochen sind eine Art Aus­zeit von ‚Me too‘ – oder, wie man in Bay­ern sagt: ‚Mia too‘.

Das ist nicht wit­zig.

(Kichert) Der Kalau­er muss­te sein. In der exzes­si­ven Ent­gren­zung ähnelt das Okto­ber­fest dem rhei­ni­schen Kar­ne­val, nur dass man sich über die Kos­tü­mie­rung weni­ger Gedan­ken machen muss. Und natür­lich gibt es in Mün­chen bes­se­res Bier. Pro­ble­ma­tisch fin­de ich offen gestan­den etwas ande­res…

Näm­lich?

Dass das Dirndl in sei­ner heu­ti­gen Form eine Nazi-Erfin­dung ist! Das schreckt offen­bar nie­man­den.

"Es waren Ostwestfalen, die dem als urbayrisch geltenden Dirndl zum Durchbruch verholfen haben"

Wie kom­men Sie denn dar­auf?

Tat­säch­lich ist das Dirndl über 150 Jah­re alt. Es ent­stand im Kai­ser­reich als typisch länd­li­cher Look für die städ­ti­sche Kund­schaft. Sei­nen gro­ßen Moment erleb­te es 1910, als die Kauf­leu­te Juli­us und Moritz Wal­lach zum hun­dert­jäh­ri­gen Jubi­lä­um des Okto­ber­fests kos­ten­los den kom­plet­ten Lan­des­trach­ten­zug aus­stat­te­ten. Die Wal­lachs stamm­ten übri­gens aus Bie­le­feld.

Ich dach­te immer, das sei die Stadt, die es…

Falsch gedacht! Aber wer hät­te gedacht, dass Ost­west­fa­len die­sem als urbay­risch gel­ten­den Look zum Durch­bruch ver­hol­fen haben.

Und was hat das jetzt mit den Nazis zu tun?  

Erst­mal nichts. Zumal die Wal­lachs Juden waren. In den 1930er Jah­ren nahm sich dann aber Ger­trud Pesen­dor­fer des Dirndls an. Pesen­dor­fer ist eine zu recht ver­ges­se­ne deut­sche „Desi­gne­rin“. Als „Reichs­be­auf­trag­te für Trach­ten­ar­beit“ erneu­er­te sie das Dirndl im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sinn – mit ver­schlank­ter Sil­hou­et­te, kür­ze­rer Rock­län­ge, unbe­deck­ten Armen und eng geschnür­ter, die Brust beto­nen­der Tail­le. Die Nazis stan­den offen­bar nicht nur auf Uni­for­men.

Das mag ja alles sein. Aber war­um soll­te man sich den Wies’n‑Spaß durch die Kos­tüm­his­to­rie ver­der­ben las­sen?

Sie haben recht. Wer mit 200 über die Auto­bahn bret­tert, soll­te auch nicht dar­über nach­den­ken müs­sen, wer die­se erfun­den hat.

In den ers­ten Tagen war deut­lich weni­ger los auf dem Okto­ber­fest…

Lei­der nicht, weil die Leu­te statt­des­sen beim Shop­ping waren.

Ist es die Angst vor Coro­na?

Das schmeckt ja auch wirk­lich grau­en­haft! Ohne Zitro­nen­schnitz geht die Plör­re nicht run­ter.

Ich mein­te nicht das Bier.

Ach so. Aber hat der US-Prä­si­dent die Pan­de­mie nicht für been­det erklärt? Die Wies’n‑Grippe gras­siert ja jedes Jahr. Viren sind seit jeher das Ein­zi­ge, was sie auf dem Okto­ber­fest umsonst bekom­men.