"Die neue Nähe – Handel in fragilen Zeiten" war das Thema der 71. Internationalen Handelstagung des Gottlieb Duttweiler Instituts. Quotes vom Podium:
"Wir werden von Raum-Menschen zu Zeit-Menschen", so David Bosshart. "Alles passiert jetzt. Zeitliche Nähe, physische Ferne. Jeden Tag eine neue Welt. Aber wer hält das aus?" Der langjährige CEO und jetzige Executive Advisor des GDI sieht die Entwicklung kritisch. "Die Zeit zwischen Wunsch und Erfüllung schrumpft immer mehr. Wir denken vor dem Kauf nicht mehr nach. Wir machen dann einfach das, was andere machen. Aber je weniger wir nachdenken, desto weniger innovativ sind wir."
Hornbach-Chef Erich Harsch ist durch die Covid-Krise in seinem Führungsstil bestätigt worden. Dieser setzt auf Zutrauen und „Selbstorientierungskompetenz“ der Mitarbeiter. "Wir brauchen so viele Regeln wie nötig und so wenige wir möglich. Unternehmen dürfen nicht von innen nach außen, sondern müssen vom Kunden her denken.“ Man dürfe damit nicht erst in der Krise beginnen, so Harsch. Vielmehr sei diese Art der Führung das beste Rüstzeug für Krisen.
"Die Großfläche wird an Bedeutung verlieren", sagt Thomas Gutberlet (Tegut). "Der Rückzug der Kunden uns Private erfordert neue Blickwinkel hinsichtlich der Kundennähe.“ Die Antwort von Tegut sind Convenience-Stores in frequenzstarken Lagen (tegut Quartier), autonome Verkaufscontainer (tegut teo) sowie eine Kooperation mit Amazon Marketplace.
"Die Zeit des Hard-Discounts ist vorbei", so Denner-CEO Mario Irminger. "Aldi und Lidl sehen heute wie Supermärkte aus. Der klassische Discounter ist am Aussterben."
"Wir denken, die Tech Companies sind die Sieger, weil sie besser, schneller, stärker sind", sagt Sucharita Kodali (Forrester). "So wie Usain Bolt. Aber sind sie nicht eher wie Lamce Armstrong? Haben sie wirklich fair gespielt?" Nein, sagt die Marktforscherin, und belegt das mit diversen Beispielen. Kodali hat drei Ratschläge, wie der stationäre Business den Tech-Konkurrenz begegnen kann. Erstens alternative Erlösquellen aufbauen (große Händler wie z.B. Walmart haben etwa mit der Vermarktung von Werbeflächen in ihren Märkten begonnen). Zweitens: "Behalten sie die Kontrolle über ihre Marke. Setzen sie auf D2C, auf ihre eigene Präsenz und nicht auf Marktplätze." Drittens: "Wirken sie über ihre Verbände auf faire und transparente Wettbewerbsbedingungen hin."
"Amazon ist kein Retailer und auch keine Website", sagt Tech-Analyst Benedict Evans, "sondern eine Maschine, die dir die Dinge, die du suchst, schnell, effizient und bequem bringt.“
Andy Hunter will mit bookstore.org den unabhängigen Buchhandel retten. "Amazon macht heute bereits 60 Prozent des US-Marktes, bis 2025 sind es womöglich 80 Prozent. Wenn Amazon die Buchläden plattmacht, was passiert dann mit der Buchkultur, die an den Buchladen hängt?" Hunters 2020 gegründetes Startup hat 1100 Buchläden als Partner, 29.000 Affiliates und fast 1,6 Millionen Kunden gefunden.
"Bis 2050 gibt es mehr Plastik in den Ozeanen als Fische." Javier Goyeneche (Ecoalf) präsentierte die Recycling-Projekte von Ecoalf. Besonders beeindruckend "upcycling the oceans", an dem mittlerweile Tausende Fischer beim Müllsammeln mithelfen: "From Plastic to Fantastic."
Der Wiederverkauf soll eine Selbstverständlichkeit sein im Einkaufsprozess, wenn es nach Reflaunt-Gründerin Stephanie Crespin geht. "Jeder Artikel sollte einen Resale-Button haben."
China reguliert die Big Tech-Companies stärker denn je, so China-Experte Duncan Clark. „Präsident Xis Rede am 17. August, dass die Regierung ab sofort die soziale Ungleichheit bekämpfen wolle, hat den Börsenwert westlicher Luxuskonzerne um 60 Milliarden sinken lassen.“
„Wir haben die Fähigkeit, genug Lebensmittel für alle zu produzieren“, sagt Agrar-Experte Urs Niggli. „Die große Herausforderung ist due Ökologisierung der Landwirtschaft ohne Ertragsverluste. Wir müssen die Großen dazu bringen, Gedankengut der Ökobauern zu übernehmen und das mit Technologie zu verbinden.“ Im Übrigen gilt: „Wenn sich die Menschen nicht nachhaltig ernähren, gibt es auch keine nachhaltige Landwirtschaft.“
„Roboter mit Menschen zu vergleichen, ist der falsche Ansatz. Das limitiert uns“, meint Kate Darling. Für die MIT-Forscherin sind Roboter die neuen Haustiere. „Es geht nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern unsere Fähigkeiten zu ergänzen.“ So wie der Hund, der Alarm schlägt, oder das Pferd, das uns über weite Strecken trägt, oder Brieftauben, „die frühen Drohnen“.