Nächsten Mittwoch kommt die Kanzlerin

Angela Merkel beehrt den Deutschen Handelskongress in Berlin. Um 14 Uhr wird Handelsverbandspräsident Josef Sanktjohanser mit stolz geschwellter Brust neben der Kanzlerin Platz nehmen. Sofern ihr nicht wieder ein Euro-Gipfel dazwischenkommt. Wirtschaftswoche-Chefredakteur Roland Tichy wird gewohnt hartnäckig nachfragen, Merkel wird gewohnt nichtssagend antworten. Natürlich wird es um das Thema Mindestlohn gehen, das den Einzelhandel in besonderem Maße betrifft. Streit ist nicht zu erwarten, denn die Kanzlerin ist in Sachen Lohnuntergrenzen mehr oder weniger auf einer Linie mit dem HDE, der seit geraumer Zeit einen tariflichen Mindestlohn fordert. Mit der Betonung auf tariflich. Der Verband als Tarifpartei will sich das vom Gesetzgeber nicht aus der Hand nehmen lassen. Bislang konnte sich der HDE bei seinen Mitgliedern freilich nicht auf eine einheitliche Linie einigen.

Mit ihrer neuen Position zu dem umstrittenen Thema ist die CDU-Chefpragmatikerin bekanntlich dabei, der Opposition ein weiteres Wahlkampfthema zu nehmen. Dass das machtpolitisch clever ist, wird auch der Wirtschaftsflügel der Partei nicht bestreiten. Nach Wehrpflicht und Atomausstieg schleift Merkel mit dem Mindestlohn eine weitere CDU-Bastion. Mit Prinzipientreue lassen sich heute wohl keine Wahlen mehr gewinnen. Schon ihr Vorgänger Schröder hatte erkannt, dass es keine rechte oder linke, sondern nur gute oder schlechte Wirtschaftspolitik gibt. Und da geht es in erster Linie um Interessen, nicht um Ideologien. Unternehmer bemühen liberale Positionen häufig nur, soweit dies dem eigenen Vorteil dient. Einerseits soll sich der Staat grundsätzlich raushalten. Aber wenn der Gesetzgeber hilft, Mitbewerbern übermäßige Preisnachlässe zu verbieten oder sie daran hindert, ihre Läden zu öffnen, wann sie wollen, dann ist das schon in Ordnung. Das jahrzehntelange Festhalten des HDE am Rabattgesetz und der Kampf um den Ladenschluss halfen, das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle zu erschweren. Verhindern ließen sich FOCs, Travel Retailing, Discounter und Online-Shops damit allerdings nicht.

Auch in der Tarifpolitik geht es darum, Wettbewerb zu begrenzen. Fachhändler verdächtigen den HDE seit jeher, vor allem die Interessen der Großunternehmen, insbesondere seines Haupt-Finanziers Metro im Blick zu haben. Deren Betriebsformen sind weniger personalintensiv und daher von Tariferhöhungen weniger betroffen. Das ist einer der Gründe, weshalb ein Großteil der Textilhandelsunternehmen heute nicht mehr tarifgebunden ist. Wenn der HDE jetzt also einen tariflichen Mindestlohn fordert, dann dürfte dieser am Ende so ausfallen, dass er der Billigst-Konkurrenz das Leben erschwert, für das Gros der HDE-Mitglieder allerdings keine Konsequenzen hat. Ob das dazu beiträgt, dass die Menschen künftig von acht Stunden Arbeit leben können, wie dies von der Politik immer wieder gefordert wird, sei mal dahingestellt.

Das Entlohnungs-Dilemma des Einzelhandels bleibt. Einerseits zwingt der Wettbewerb die Betriebe dazu, jede mögliche Kosteneinsparung zu realisieren. Und das Personal ist im Handel nun mal der größte Kostenblock nach der Ware. Auf der anderen Seite trägt das insgesamt niedrige Gehaltsniveau nicht eben zur Attraktivität der Branche bei. Schwarze Schafe wie Schlecker schaden leider nicht nur sich selbst, sondern dem Ansehen der gesamten Branche. Man darf sich nichts vormachen: Das schlechte Sozialprestige des Verkäuferberufs hat nicht nur mit ungünstigen Arbeitszeiten und manchmal schlechten Arbeitsbedingungen zu tun, sondern macht sich eben auch an der Höhe des Gehalts fest. Wenn im Freundeskreis alle mehr verdienen, nützt das schönste Employer Branding nichts.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma wären Gehälter mit spürbar höheren variablen Anteilen, die leistungsabhängig bezahlt werden und individuell deutlich höhere Einkommen ermöglichen. So wie das im Vertrieb in vielen Branchen üblich ist. Man muss es ja nicht unbedingt Bonus nennen, der Begriff ist ziemlich diskreditiert. Die Prämien, die im Einzelhandel derzeit bezahlt werden, sind aber allzu häufig Peanuts. Klar ist, dass der Wettbewerb kaum höhere Personalkostenanteile zulässt. Es läuft deswegen auf eine stärkere Spreizung der Gehälter hinaus. Für solche Leistungs-Zulagen braucht es Spielraum. Diesen sollte ein möglicher Mindestlohn bieten.

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