Seit über 20 Jahren untersucht die Unternehmensberatung Kurt Salmon die Lage an den Beschaffungsmärkten. Aber noch nie war die „Global Sourcing Reference“ so spannend wie heute. So haben wir uns neulich mit Dorothea Ern-Stockum, der Deutschland-Geschäftsführerin von Kurt Salmon getroffen, um die Ergebnisse der aktuellen Studie und die daraus zu ziehenden Konsequenzen zu diskutieren. Die Studie von Kurt Salmon kostet 790 Euro und kann bestellt werden über . Meine Kollegin Ulrike Wollenschläger fasst unser Gespräch in der aktuellen TW zusammen.
Kaum ein Thema brennt den Unternehmen im Modebusiness derzeit mehr auf den Nägeln: Die Branche hat es mit drastisch gestiegenen Beschaffungskosten zu tun. Das führt bei uns zu einer intensiven Diskussion über Preiserhöhungen. Die man aus Kostengründen eigentlich vornehmen muss, aus Wettbewerbsgründen aber nicht so leicht vornehmen kann. Ich glaube dennoch, dass wir angesichts der aktuellen Beschaffungsmarktprobleme preispolitisch an einem Wendepunkt stehen.
Über Jahrzehnte war das Modebusiness daran gewöhnt, dass es immer noch billiger ging. Die Produktion suchte sich weltweit die günstigsten Standorte, und wenn ein Land zu teuer wurde, zog die Karawane eben weiter. Die Vertikalisierung sorgte durch die Ausschaltung von Zwischenstufen sowie durch eine zeitnähere und damit risikolosere Planung für mehr Effizienz in der sogenannten "textilen Pipeline". Wenn man es positiv formulieren möchte, dann war das Modebusiness ein Vorreiter und Antreiber der Globalisierung. Andererseits ist das Bekleidungsgeschäft damit heute ungleich stärker als früher den Schwankungen des Weltmarkts ausgeliefert. Da geht es nicht nur um Währungsrelationen, Rohstoffpreise oder Produktions- und Logistikkosten. Auch das Mega-Thema Nachhaltigkeit drängte erst in dem Maße auf die Agenda, wie wirtschaftliche Zwänge die Unternehmen in eine letztlich unkontrollierbare globale Vernetzung getrieben haben. Solange die Produktion auf der Schwäbischen Alb erfolgte, brauchte es keine NGOs, die die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards anmahnten.
Jahrzehntelang kannten die Preise im Handel aufgrund dieser Globalisierung und Vertikalisierung jedenfalls nur eine Richtung: nach unten. Hier ist meiner Ansicht nach eine Grenze erreicht.
Denn es spricht vieles dafür, dass sich die Lage in der Beschaffung so schnell nicht ändern wird. Die Weltbevölkerung wächst, sie ist hungrig und die Menschen in den Schwellenländern werden mit zunehmendem Wohlstand anspruchsvoller. Auch wenn wir jetzt gerade einen Preisrutsch erlebt haben, gehen die Spekulanten zu Recht davon aus, dass Energie und Rohstoffe knapp bleiben werden. Nicht nur der Baumwollpreis ist explodiert. Auch Kakao, Zucker und Reis haben in den letzten Monaten einen gewaltigen Preisanstieg verzeichnet.
Hinzu kommen ganz spezifische Themen im wichtigsten Beschaffungsmarkt China (über 40% der in der EU verkauften Textilien stammen von dort): Die Chinesen haben in der Krise ihren aufstrebenden Binnenmarkt entdeckt und zeigen den Europäern mit ihren nervigen Nachhaltigkeitsanforderungen zunehmend die kalte Schulter. Gerade für kleinere Anbieter stellt sich häufig nicht mehr die Frage, zu welchem Preis, sondern ob sie überhaupt noch Aufträge in China platzieren können. Die Arbeitskosten steigen, auch, weil andere Branchen besser bezahlen. Das ist nicht zuletzt politisch so gewollt: Die chinesische Regierung setzt auf Sektoren mit höherer Wertschöpfung als Textil.
Es ist schon eine ziemliche Ironie der Geschichte. Als vor fünf Jahren die Quoten fielen, fürchtete sich mancher vor der chinesischen Warenflut. Heute sorgt man sich um Beschaffungssicherheit. Das Thema bleibt auf der Agenda, und die Unternehmen müssen sich darauf einstellen.
Aber was tun?
China als wichtigste Nähfabrik der Welt ist – wenn überhaupt – nicht von heute auf morgen zu ersetzen. Schon reden manche von Afrika als künftigem Billig-Produktionsstandort. Nicht zuletzt die Chinesen selbst investieren dort. Das wird dauern, nicht nur wegen der politischen und sozialen Instabilität auf dem schwarzen Kontinent. Es mag sein, dass europäische Produzenten – insbesondere die Türkei – von dieser Situation profitieren. Von einer Renaissance der hiesigen Bekleidungsfertigung träumen indes nur Romantiker.
Weil neue Eckpreislagen nur schwer durchsetzbar sein werden, bleiben kurzfristig nur ein verschärftes Kostenmanagement und eine weitere Optimierung der Prozesse in Unternehmen und Supply Chain. Das sieht auch Dorothea Ern-Stockum so. Es läuft auf einen Maßnahmen-Mix hinaus, so die Unternehmensberaterin. Ein paar Prozentpunkte beim Ebit seien noch drin.
Wahrscheinlich werden viele Anbieter der Versuchung nicht widerstehen können, am Wareneinsatz und an den Qualitäten zu drehen. Besonders prekär ist die Situation sicherlich für die Billiganbieter. Gut möglich, dass die Discounter ihre Preise auch über höhere Mengen durch schmalere Sortimente und/oder durch eine forcierte Expansion zu halten versuchen werden. Manche werden das höherpreisige Segment verstärken.
Gottlob ist es so, dass für die meisten Kunden der Preis nicht allein entscheidend ist. Gerade bei Mode ist die Qualitätswahrnehmung sehr subjektiv und durch Marketing beeinflussbar. Besondere Produkte werden immer besondere Preise erzielen. Auch Kreativität bringt Marge.
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