Der Fall Rimowa illustriert im Zeitraffer eine Entwicklung, die der Mode-Einzelhandel seit langem kennt. Da werden Brands von unabhängigen Einzelhändlern groß gemacht. Irgendwann eröffnen diese Lieferanten – vorgeblich aus Marketinggründen – eigene Dependancen. Wenn Fremdkapital, Finanzinvestoren oder die Börse ins Spiel kommen, forcieren sie die kontrollierte Distribution, die ja zunächst vor allem ein kontrollierbares Wachstum verspricht. Parallel dazu wird aus den Resterampen, die jeder "Fabrikant" historisch an seinem Hauptsitz betreibt, ein neuer Geschäftszweig entwickelt, der unter dem Feigenblatt "Factory Outlet" am Ende nicht selten das übrige Business quersubventionieren muss. Und mit der Digitalisierung wird aktuell und erst recht in Zukunft der Direktvertrieb über den eigenen Onlineshop oder über Plattformen vorangetrieben. Was für Marken naheliegend ist, da in dem Medium Content, Community und Commerce zusammenkommen, und nicht zuletzt zwingend, wenn man den heutigen Kundenerwartungen entsprechen will.
Dem traditionellen Multilabel-Einzelhandel geht es in diesem Szenario wie dem Frosch im Kochtopf, der gar nicht merkt, wie er langsam gegart wird, bis er irgendwann Gesicht nach unten in der Brühe treibt. Rimowa hat seine Fachhandelspartner, um im Bild zu bleiben, dagegen ins sprudelnde Wasser gestoßen. Und entsprechend aufgeschreckt.
Das Entsetzen über den Lieferstop ist nachvollziehbar. Rimowa ist für viele Fachhändler der wichtigste Lieferant. Und eine prestigeträchtige Marke, die ein Koffer-Sortiment erst wirklich kompetent erscheinen lässt. Dabei war der Schritt nach der Übernahme durch LVMH absehbar. So läuft das eben bei dem Luxus-Riesen. Die Vorgehensweise kann man stillos nennen. Langjährige Partner, wie diese Woche geschehen, kaltschnäuzig in einen Bewerbungsprozess zu zwingen, ist nicht sympathisch. Aber es ist konsequent. Und aus Gründen der Markenführung wohl auch notwendig.
Wenn man mal ehrlich ist, ist ein Gutteil des Lederwaren- und Reisebedarfs-Einzelhandel präsentationsmäßig in einem kümmerlichen und wenig repräsentativen Zustand. Leuchttürme wie Horstmann + Sander sind die Ausnahme von der Regel. Die Konsumenten sind heute einen anderen Standard von Läden gewohnt. Rimowa ist nicht wegen, sondern trotz dieser Distribution groß geworden. Mit herausragenden Produkten und einer konsequent gepflegten Heritage, in der Innovation und Authentizität seit jeher breiten Raum einnehmen, haben die Kölner es verstanden, ihre Koffer zu Statussymbolen für frequent traveller zu machen, die – anders als viele Produkte mit dem LV-Monogramm – auch wirklich noch zum Vielreisen taugen.
LVMH macht sich daran, das Potenzial dieser Marke zu heben. Der Konzern hat die tiefen Taschen, um im Interesse der langfristigen Markenpflege kurzfristig auf Umsatz verzichten zu können. Das unterscheidet den strategischen Übernehmer von einem Finanzinvestor, der einerseits von Omnichannel redet und häufig damit doch nur die kurzfristige Umsatzmaximierung durch das Aufbohren sämtlicher Vertriebskanäle meint.
Man kann es auch anders sehen: Rimowas Kursänderung deckt gnadenlos die Schwächen des Fachhandels auf. Wie kann es überhaupt sein, dass man als Multilabel-Anbieter – wie offenbar der eine oder andere Rimowa-Partner – 45 Prozent seines Umsatzes mit nur einer Marke macht? Warum hat man nicht rechtzeitig Alternativen aufgebaut? Ist es nicht die Pflicht, gerade des Fachhandels, seine Kunden mit permanenten Sortimentsinnovationen zu überraschen? Da haben offenbar etliche Kaufleute geschlafen. Jetzt werden sie von Alexandre Arnault unsanft aus ihren Träumen gerissen.
In dem sich abzeichnenden Omnichannel-Szenario werden es all jene schwer haben, die ihr Konzept ausschließlich auf anderen Brands aufbauen, statt konsequent die eigene Marke zu pflegen. Eine Marke kann Rimowa, Adidas und Hugo Boss heißen. Oder Zara, Amazon und Breuninger. Die Konsumenten unterscheiden nicht wie die Fachleute, ob eine Marke mal als Fabrikant, als Einzelhändler oder als Medium angefangen hat. Entscheidend ist nur, das Zutrauen zu haben, eine bestimmte Leistung besser als andere erbringen zu können.
Wholesaler werden ihre Entscheidung, bei einem Multilabel-Händler im Sortiment vertreten zu sein, mehr noch als bisher davon abhängig machen, ob diese Zusammenarbeit Markenbekanntheit und ‑sympathie stärkt. Der Einzelhändler wird damit auch zu einer Art „Service Provider“ für die Lieferanten. Der nicht nur deren Ware vertreibt, sondern mit einem imagefördernden Auftritt, mit seiner Werbung und mit Daten dazu beiträgt, die Beziehungen zwischen Marken und Konsumenten zu vertiefen.
Und sonst?
… verschwindet mit Perret Schaad weiterer vielversprechender Nachwuchs von der Berliner Bühne. Siehe auch "Firma, die 'Modehauptstadt' und das Zerrbild vom Modedesigner".
… hat sich Karl Kagerfeld in die Me too-Debatte eingeklinkt. Und recht pointiert ausgesprochen, was sich sonst kein Modeprofi mehr traut. Models sollten in ein Kloster eintreten, wenn sie nicht wollten, dass man ihnen an den Hosen herumzieht. Das hat die erwartbare Empörung ausgelöst. Und alle Beteiligten können sich über Schlagzeilen freuen.
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