Die Zeiten von „Geiz ist geil“ sind wohl erst einmal vorbei. Trotzdem ist davon etwas in unserem Verhalten hängengeblieben. Parallel zu dieser saudummen Kampagne hat sich nämlich das Internet weiterentwickelt und der Handel hat schnell geschnallt, dass nur derjenige in einem Online-Shop etwas einkauft, der neben der großen Auswahl auch noch den günstigsten Preis findet.
Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich angeblich alle 700 Tage. Merkwürdig genug. Die Textilbranche trägt wahrscheinlich entscheidend zu dieser immer schnelleren Taktung bei. Früher gab es zwei Kollektionen pro Jahr. Dann hat einer bemerkt, dass es vier Jahreszeiten gibt und schwupps gab es vier Kollektionen. Dann war der Schritt nicht weit festzustellen, dass es zwölf Monate gibt. Da lag es nahe, zwölf Kollektionen anzubieten. Endlich konnte die Kundin, die angeblich zwölf Mal im Jahr zum Shoppen ging, immer wieder neue Ware finden. Soweit so gut. Das wirkte kurzzeitig, und die ersten Umsetzer dieser Strategie waren natürlich erfolgreich. Zumindest solange, bis es auch noch der Letzte nicht nur in seinem Strategieplan niedergeschrieben, sondern auch umgesetzt hatte.
Es gibt ja immer ein Wort des Jahres. (Ich glaube übrigens, dass es in 2016 dieses dämliche Wort „lecker“ werden wird…). Wenn es ein Wort zu prämieren gäbe, welches einfach gar nicht mehr benutzt wird, wäre es mit großer Sicherheit „Ausverkauft“.
Unser Kunde ist nicht mehr geil auf unsere Produkte
Bei zwei Kollektionen gab es logischerweise jeweils sechs Monate Abverkaufszeit und zweimal Schlussverkauf. Bei zwölf Kollektionen gibt es logischerweise einen Monat Abverkaufszeit und zwölfmal Sale. Folglich gibt es quasi immer Sale. Dazu kommt das Internet, das über eine gigantische Auswahl, aber vor allem über Sale punkten kann.
Im gleichen Atemzug muss sich natürlich die Mode „entwickeln“. Zwölf Kollektionen heißt auch zwölf Themen. Früher gab es Mini, Midi und danach Maxi. Das war einfach. Heute gibt es das alles im Monatswechsel und nicht nur wir, die Insider, sind verwirrt. Der Endverbraucher ist es auch.
Die Branche hat sich erfolgreich von ihren Kunden entkoppelt. Der Endverbraucher, nicht doof, aber allein gelassen, hat sich seine eigene Logik zurechtgelegt. Diese Logik besagt, dass er eben nicht mehr zwölfmal im Jahr in die Stadt fährt, um keinen Parkplatz zu finden oder 15 Euro im Parkhaus zu verprassen, sondern gemütlich mit seinem iPad auf der Couch hockt und in zwei Dutzend Shopping Clubs nach irgendetwas schaut, dass ihm gefallen könnte. Das allerdings ist sehr schwierig. Ruckzuck sind nämlich Dutzende, Hunderte oder gar Tausende von Teilen angeglotzt und das Gefühl für Mode ist dabei verkümmert. Zuviel Auswahl ist immer Mist. Das macht keinen glücklich.
Man stelle sich vor, ein junger Mann geht in den Club, und jeden verfluchten Freitag und Samstag sind Unmengen von hübschen Frauen dort. Hier blonde Ladies. Dort Schwarzhaarige. Schlanke. Oder Rubensschönheiten. Alte. Junge. Große. Kleine. Große Brüste. Gar keine. Vorlaute. Ruhige. Willige. Unwillige.…Man könnte das unendlich weiterspinnen. So wie im Internet mit der Mode. Auswahl bis zum Kotzen. Was würde der junge Mann machen? Wahrscheinlich mit seinen besten Kumpels eine Männertour nach Biarritz, um mal ganz entspannt ein paar Tage auf dem Surfboard zu hocken und die Ruhe zu genießen. Wenn die Welle kommt, kommt sie. Wenn sie nicht kommt, kommt sie nicht. Und keiner kann etwas daran ändern.
Was macht unser Kunde? Er verweigert sich der Mode. Ausgelaugt und flachgebombt. Wie sagte Armin Fichtel, der CEO von S.Oliver kürzlich in einem Zeitungsinterview: Die Mode ist entwertet. Das trifft des Pudels Kern. Unser Kunde ist nicht mehr geil auf unsere Produkte.
Verkauft Marken mit Geschichte!
Und nun? Klamotten sind keine Kartoffeln. Essen muss man täglich, und Essen ist verderblich. Wie lange hält heute eine wärmende Jacke? 10 Jahre? Länger! Der wärmende Faktor kann also nicht der Grund sein sich immer wieder neue JackenHosenHemdenT-ShirtsWasnochalles zu kaufen. Es ist das fehlende Federkleid. Der fehlende Pelz. Es ist die Attraktivität, die zählt. Der persönliche Style. Das Interessant machen. Die Möglichkeit, die eigene Besonderheit zu zeigen. Sich abzugrenzen oder einzufügen. Etwas auszusenden. Eine Positionierung.
Aber welche? Welche Position ist die Richtige, wenn in der Mode alles erlaubt und kaum etwas verboten ist. Wer beantwortet diese Fragen dem Endverbraucher? Unserem Kunden. Das Internet? Wohl kaum. Das Internet zeigt nur mannigfaltige neue Wege auf.
Wer hilft? Wir!
Wenn in der Branche weniger Wirtschaftswissenschaften studiert würde und umso mehr Psychologie, dann würde man sich weniger mit der LUG und dafür mehr mit der Unsicherheit der Kunden beschäftigen. Der Mensch braucht immer jemanden, der ihn führt. Die meisten zumindest. Der Mensch will wissen, wo es langgeht. Links Leitplanke, rechts Leitplanke, in der Mitte eine Linie. Das mag unser Gehirn. Was es nicht mag, ist die überbordende Auswahl. Die müssen wir, muss der Fachhändler vorselektieren. Wenn aber in Wanne-Eickel der gleiche Mist hängt wie in Madrid, dann wird es eng.
Der Mensch will etwas sein. Er will etwas darstellen, was ihm unser heutiges Leben eigentlich gar nicht mehr ermöglicht. Der Erfolg von Camp David hat in erster Linie gezeigt, dass Dieter Bohlen ein Vorbild für viele Männer ist. Aufmüpfig. Frech. Stark. Und immer das letzte Wort. Mit der Camp David-Maskerade sieht man wenigstens so aus.
Niemand kauft sich eine Harley, weil das ein Top-Motorrad ist. Da müssten alle eine langweilige BMW fahren. Eine Harley steht über der Technik. Sie steht sogar über der Handwerkskunst, der viele Männer, die in die Jahre kommen, so sehr frönen, dass sie eine rückwärtsgewandte Sicht entfalten und gnadenlos alles um das Thema „Heritage“ anbeten. Eine Harley macht aus einem Weichei einen Kerl. Oder nicht? Oder doch?
Tatsache ist, der Glauben versetzt Berge. Und genau hier muss der Fachhandel ansetzen und den Kunden an die Hand nehmen. Verkauft Marken mit Geschichte! Marken mit Geschichte haben etwas zu erzählen. Es gilt, mit den Kunden, die noch in die Läden kommen, zu kommunizieren. Sie zu begeistern. Sie zu binden. Genau hier liegt die Chance der Branche.
Der Verkäufer ist der alles entscheidende Unterschied. Aber er braucht für seinen Job Werkzeuge. Genau wie ein Automechaniker, der mit einer Wasserrohrzange nicht weit kommt, sondern ein ganzes Arsenal an Werkzeugen braucht. Der Verkäufer braucht als wichtigstes Werkzeug eine Story zum Produkt. Wenn er zu einer Marke, die vielleicht sogar einen wesentlichen Anteil zum Umsatz beiträgt, nichts erzählen kann, weil sie möglicherweise gar keine Geschichte hat, bleibt nichts für das Kundengespräch. Auf den Preis kommt er besser nicht zu sprechen. Da hat die Smartphone App schon längst einen billigeren Anbieter ermittelt.
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Jürgen Wolf ist der Erfinder von Homeboy. Er gründete das Skatewear-Label 1988 und gehörte damit zu den Streetwear-Pionieren in Deutschland. In den 90er Jahren erlebte Homeboy einen rasanten Aufstieg, in den vergangenenen Jahren war es faktisch vom Markt verschwunden. 2015 hat Wolf Homeboy als Club-Konzept wiederbelebt.
Art by Matthias Külter