Karl-Erivan Haub hat bekanntlich nicht wenig Geld auf der hohen Kante. Diese führt schnurstracks ins Internet. Seine Beteiligungsfirma Tengelmann Ventures gehört zu den wichtigsten Inkubatoren von Online-Start-ups in Deutschland. Die bekannteste Beteiligung ist sicherlich Zalando. Aber auch in Geschäftsmodelle wie Baby-Markt.de, Lieferheld und Brands4Friends hat Haub Geld investiert. Seine Zwillinge hätten ihn vor Jahren auf den Trichter gebracht, dass da im Einzelhandel eine neue Welle losgetreten werde, verriet er ZDF-Moderatorin Dunja Hayali gestern auf dem Deutschen Handelskongress in Berlin. Heute ist der Tengelmann-Inhaber unter den etablierten Einzelhandelsunternehmern wahrscheinlich derjenige, der sich am weitesten in die neue Welt vorgewagt hat.
Auf dem Deutschen Handelskongress formulierte Haub ein paar schmissige Thesen zum Thema Handel 4.0. Darunter versteht er die nächste Revolution im Einzelhandel – nach Marktplätzen, Eröffnung von Ladengeschäften und Einführung der Selbstbedienung. "Wird das Internet das, was bisher war, komplett ablösen?" so Haubs rhetorische Frage. "So war es bislang immer: Marktplätze sind nur noch romantische Randerscheinungen. Und Bedienungsläden gibt es nur noch in Entwicklungsländern." Stationäre Geschäfte haben für Haub künftig noch dort eine Berechtigung, wo die Kunden Ware sofort brauchen, oder wo das Einkaufen ein Erlebnis ist.
Die Umstellung auf Handel 4.0 dauere aber mit Sicherheit länger, als der Schritt von der Bedienung zur Selbstbedienung. Und die Entwicklung werde sich nach Branchen unterschiedlich darstellen. Wer mit digitalisierbarer Ware – Bücher, CDs, Filme, Zeitungen – handele, müsse sich definitiv umstellen: "Wenn das physische Produkt wegfällt, dann gibt es auch keinen Grund mehr, Läden zu betreiben, wo diese Produkte verkauft werden." Der überwiegende Teil der Ware im Einzelhandel seien aber physische Produkte, und die müssen vertrieben werden.
Haub denkt auch, dass die Entwicklung im Nonfood-Bereich schneller gehen werde als bei Lebensmitteln. Zusätzliche Dynamik könnte durch Verdrängung entstehen: "Wenn nur 10 oder 20% des Umsatzes an die Online-Konkurrenz verloren gehen, dann bedeutet das das Aus für etliche stationäre Händler. Denn die Mietkosten, die Personalkosten, die Kosten für Energie lassen sich nicht so leicht anpassen. Sollte es zu einem Ladensterben kommen, dann wird das den Absatz über das Internet zusätzlich beflügeln."
Deshalb müsse sich jeder Händler dieser Herausforderung stellen. Was nicht leicht ist, denn die neue Welt ist weitgehend unbekannt.
Wer gewinnt im Handel 4.0? Die Pure Player? Oder Multichannel bzw. Crosschannel?
Dort, wo hohe Margen zu erzielen sind – bei Büchern, bei Mode – lassen sich Online Shops gut etablieren, sagt Haub. Da rechnet sich das relativ schnell und da ist auch die Wachstumsfinanzierung kein Problem. Wo die Margen niedrig sind, wie im LEH, wird es für Pure Player schwierig. Das Grundproblem sei aber, dass es für Pure Player mit jedem Jahr schwieriger werde, gegen Amazon anzukommen. "Amazon ist das Maß aller Dinge im E‑Commerce." 62% der deutschen Online-Käufer seien Kunden bei Amazon. Nachdem das Unternehmen zehn Jahre Anlaufverluste geschrieben und 3,5 Mrd. Dollar Kapital verschlungen habe, hat es sich inzwischen in vielen Branchen als Category Killer etabliert.
Karl-Erivan Haub rät allen Einzelhändlern, sich mit neuen Geschäftsmodellen zu beschäftigen: "Tun Sie sich einen Pure Player an! Investieren Sie! Sie werden Lehrgeld bezahlen. Aber wertvolle Erfahrungen machen, die Sie in Zukunft brauchen werden."