Man kann das Gejammer um den verpatzten Börsenstart von Facebook nicht mehr hören. Von wegen "Kapitalvernichtung der Extraklasse", "finanzielles Hacking", "Fail-Commerce" und so weiter… Gierige Anleger haben auf einen Hoffungswert gewettet – und verloren. Dass der Hype zuvor von interessierter Seite geschürt wurde, ist verständlich und den Akteuren nicht anzulasten. Sofern sie sich dabei an die Gesetze gehalten haben. Aber wer Zeitung lesen kann oder auch nur mit einem halbwegs gesunden Menschenverstand ausgestattet ist, konnte vorher wissen, dass die Facebook-Aktie völlig überbewertet ist. So irrational die Börse häufig tickt – in diesem Fall hat der Markt funktioniert. Sehr schön hat Dirk Müller, der in den Talkshows omnipräsente "Mr. Dax", es auf den Punkt gebracht: "Zuckerberg ist ein Hütchenspieler. Da kann man auch gleich in die Spielbank gehen. Da hat man wenigstens einen schönen Abend."
Mancher Kommentar zur Börsenpleite liest sich wie ein Nachruf auf das soziale Netzwerk. Das ist natürlich Unfug. Zunächst einmal hat Mark Zuckerberg mit Facebook das reichweitenstärkste Medium geschaffen, das es jemals auf diesem Planeten gegeben hat. Über 900 Millionen Menschen tauschen sich über die Plattform aus. Die Frage, inwieweit sich diese Reichweite monetarisieren lässt – und das ist die Frage, die mit dem Börsengang zur Abstimmung stand – ist unabhängig von den Chancen zu sehen, die das Medium für Unternehmen bietet. Zur Kommunikation und vielleicht auch zur Distribution. Dafür hat sich der schöne Begriff "F‑Commerce" etabliert. F kommt bekanntlich nach E, und vielleicht halten manche F‑Commerce auch deshalb nur für die nächste Marketing-Sau, die durchs fachmediale Dorf getrieben wird.
Ist Facebook als globales Small Talk-Medium kommerzialisierbar? Fühlen sich die User durch zuviel Werbung nicht gestört? Nehmen sie die Ads überhaupt wahr? In USA haben große Unternehmen ihre Etats jüngst umgeschichtet, zuungunsten von Social Media. Und will man über Facebook wirklich einkaufen? Gap, Nordstrum und JC Penney haben ihre Facebook-Shops wegen mangelnder Nachfrage wieder geschlossen. Auch ein deutscher Anbieter wie Baur gerät angesichts seiner Facebook-Verkäufe nicht gerade in Verzückung.
Warum sollte auf der anderen Seite ein Freizeitvergnügen wie Facebook nicht auch Shopping einschließen? Schließlich ist Shopping im stationären Einzelhandel für viele Menschen ebenso ein Freizeitvergnügen. Vielleicht liegt die zögerliche Akzeptanz von Kauf-Angeboten auch daran, dass diese schlecht gemacht, langweilig und nicht auf das besondere Umfeld von Social Media zugeschnitten waren? Mein Ex-Kollege Olaf Kolbrück hat im Blog Etailment ein paar lesenswerte Regeln für den Erfolg mit einem Facebook-Shop aufgeschrieben.
In sozialen Netzwerken wie Facebook geht es eben nicht mehr nur darum, Aufmerksamkeit zu erzielen, sondern das Ziel ist, Engagement zu wecken. Es geht um einen wirklichen Austausch zwischen Marken und Konsumenten. Das verlangt neue Ideen. Es gibt in den Unternehmen aber wahrscheinlich noch zu wenige Entscheider, die mit Social Media wirklich umgehen können. Das wird sich ändern. Denn es ist unstrittig, dass Facebook & Co einen immer wichtigeren Platz in der Unternehmenskommunikation einnehmen werden. Nicht nur im Hinblick auf eine bessere Kundenbindung, sondern beispielsweise auch in Sachen Employer Branding. Wichtig ist die Erkenntnis, dass diese Kommunikation keine Einbahnstraße mehr ist, sondern dass es aufs Senden und Empfangen ankommt. Social Intelligence, also das systematische Monitoring von Community-Aktivitäten als Input für Produkt- und Kampagnenentwicklung, wird zum Erfolgsfaktor.
Aus Konsumentensicht kann man Facebook kritisch sehen, und die komplizierte Datenschutzdebatte vernebelt bisweilen den einfachen Mechanismus des Geschäftsmodells: Wer sind denn die Kunden von Facebook? Das sind nicht wir, die wir Urlaubsfotos hochladen, Farmville spielen und die Aktivitäten unserer "Freunde" mit "Gefällt mir" bedenken. Wir Facebook-Nutzer sind nicht die Kunden – wir sind das Produkt! Kunden sind die Unternehmen, denen Facebook mit unseren Daten ein streuverlustminimierendes Targeting bietet. Diese Unternehmen sollten sich freuen, dass es Facebook Inc. offenbar dann doch nicht so leicht fällt, unsere Daten zu Geld zu machen. Denn das würde letztlich die Kosten treiben, und der Charme von Facebook ist für Werbetreibende ja gerade der vergleichsweise günstige Kontaktpreis. Gleichzeitig sollte man die Kreativität der Facebook-Macher nicht unterschätzen, Kapital aus ihrer Plattform zu schlagen. Die Börse tut das streng genommen auch nicht. Denn auch wenn die Aktie nach ein paar Tagen fast 20% verloren hat, ist die Bewertung von Facebook immer noch gigantisch.
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