Wenn es denn eines Beleges bedurft hätte, dass die Arbeit mancher Modejournalisten nichts mit Journalismus zu tun hat, dann hat die Modechefin der japanischen Vogue ihn jetzt erbracht. Mit über 50 hat sich für Anna Dello Russo der Kleine-Mädchen-Traum vom Einmal-Model-Sein endlich erfüllt. Ungaro-Designer Giles Deacon hat sie für seine Schau in Paris engagiert, wo sie im Minikleid über den Catwalk stakste. Ein hübscher, kleiner PR-Coup. "Trockenblumen blühen auf" schreibt Alfons Kaiser dazu heute süffisant in der FAZ, und er meint wohl nicht die Dekoration im Glashaus des Parc André-Citroen. Wozu Dello Russo das Holzschaf trägt? Wenigstens macht das keine Flecken auf den sicher sündhaft teuren Ungaro-Fummel.
Glaubwürdiger Journalismus setzt Unabhängigkeit voraus. So das Ideal. Das, wie im Business jeder weiß, im Falle der Hochglanzmagazine schon lange eine Illusion darstellt. Diese sind in weiten Teilen kaum mehr als ein Verkaufsförderungsinstrument der Markenindustrie. Für gewöhnlich läuft die Einflussnahme subtiler: über die Anzeigenabteilung oder Beraterverträge. Bei Ungaro zeigt der industriell-journalistische Komplex seine hässliche Fratze. Lieschen Müller, für die der Schauenzirkus ohnehin nur Entertainment ist, wird's egal sein. Für sie sind Moderedakteurinnen wie Dello Russo längst Celebrities. Wenn sie jetzt schon von den Bloggern aus Reihe 1 verdrängt werden, ist der Schritt auf den Catwalk für die um ihre Bedeutung kämpfenden Print-Frauen vielleicht ein Ausweg?