Portrait jc bcrgen wolf art by matthias kc bclter

Weniger Wirtschaftswissenschaften, mehr Psychologie

Die Branche hat  sich erfolgreich von ihren Kunden entkoppelt, meint Jürgen Wolf. Wir müssen Stories erzählen. Und nicht nur Preise kommunizieren.

Die Zei­ten von „Geiz ist geil“ sind wohl erst ein­mal vor­bei. Trotz­dem ist davon etwas in unse­rem Ver­hal­ten hän­gen­ge­blie­ben. Par­al­lel zu die­ser sau­dum­men Kam­pa­gne hat sich näm­lich das Inter­net wei­ter­ent­wi­ckelt und der Han­del hat schnell geschnallt, dass nur der­je­ni­ge in einem Online-Shop etwas ein­kauft, der neben der gro­ßen Aus­wahl auch noch den güns­tigs­ten Preis fin­det.

Das Wis­sen der Mensch­heit ver­dop­pelt sich angeb­lich alle 700 Tage. Merk­wür­dig genug. Die Tex­til­bran­che trägt wahr­schein­lich ent­schei­dend zu die­ser immer schnel­le­ren Tak­tung bei. Frü­her gab es zwei Kol­lek­tio­nen pro Jahr. Dann hat einer bemerkt, dass es vier Jah­res­zei­ten gibt und schwupps gab es vier Kol­lek­tio­nen. Dann war der Schritt nicht weit fest­zu­stel­len, dass es zwölf Mona­te gibt. Da lag es nahe, zwölf Kol­lek­tio­nen anzu­bie­ten. End­lich konn­te die Kun­din, die angeb­lich zwölf Mal im Jahr zum Shop­pen ging, immer wie­der neue Ware fin­den. Soweit so gut. Das wirk­te kurz­zei­tig, und die ers­ten Umset­zer die­ser Stra­te­gie waren natür­lich erfolg­reich. Zumin­dest solan­ge, bis es auch noch der Letz­te nicht nur in sei­nem Stra­te­gie­plan nie­der­ge­schrie­ben, son­dern auch umge­setzt hat­te.

Es gibt ja immer ein Wort des Jah­res. (Ich glau­be übri­gens, dass es in 2016 die­ses däm­li­che Wort „lecker“ wer­den wird…). Wenn es ein Wort zu prä­mie­ren gäbe, wel­ches ein­fach gar nicht mehr benutzt wird, wäre es mit gro­ßer Sicher­heit „Aus­ver­kauft“.

Unser Kun­de ist nicht mehr geil auf unse­re Pro­duk­te

Bei zwei Kol­lek­tio­nen gab es logi­scher­wei­se jeweils sechs Mona­te Abver­kaufs­zeit und zwei­mal Schluss­ver­kauf. Bei zwölf Kol­lek­tio­nen gibt es logi­scher­wei­se einen Monat Abver­kaufs­zeit und zwölf­mal Sale. Folg­lich gibt es qua­si immer Sale. Dazu kommt das Inter­net, das über eine gigan­ti­sche Aus­wahl, aber vor allem über Sale punk­ten kann.

Im glei­chen Atem­zug muss sich natür­lich die Mode „ent­wi­ckeln“. Zwölf Kol­lek­tio­nen heißt auch zwölf The­men. Frü­her gab es Mini, Midi und danach Maxi. Das war ein­fach. Heu­te gibt es das alles im Monats­wech­sel und nicht nur wir, die Insi­der, sind ver­wirrt. Der End­ver­brau­cher ist es auch.

Die Bran­che hat sich erfolg­reich von ihren Kun­den ent­kop­pelt. Der End­ver­brau­cher, nicht doof, aber allein gelas­sen, hat sich sei­ne eige­ne Logik zurecht­ge­legt. Die­se Logik besagt, dass er eben nicht mehr zwölf­mal im Jahr in die Stadt fährt, um kei­nen Park­platz zu fin­den oder 15 Euro im Park­haus zu ver­pras­sen, son­dern gemüt­lich mit sei­nem iPad auf der Couch hockt und in zwei Dut­zend Shop­ping Clubs nach irgend­et­was schaut, dass ihm gefal­len könn­te. Das aller­dings ist sehr schwie­rig. Ruck­zuck sind näm­lich Dut­zen­de, Hun­der­te oder gar Tau­sen­de von Tei­len ange­glotzt und das Gefühl für Mode ist dabei ver­küm­mert. Zuviel Aus­wahl ist immer Mist. Das macht kei­nen glück­lich.

Man stel­le sich vor, ein jun­ger Mann geht in den Club, und jeden ver­fluch­ten Frei­tag und Sams­tag sind Unmen­gen von hüb­schen Frau­en dort. Hier blon­de Ladies. Dort Schwarz­haa­ri­ge. Schlan­ke. Oder Rubens­schön­hei­ten. Alte. Jun­ge. Gro­ße. Klei­ne. Gro­ße Brüs­te. Gar kei­ne. Vor­lau­te. Ruhi­ge. Wil­li­ge. Unwillige.…Man könn­te das unend­lich wei­ter­spin­nen. So wie im Inter­net mit der Mode. Aus­wahl bis zum Kot­zen. Was wür­de der jun­ge Mann machen? Wahr­schein­lich mit sei­nen bes­ten Kum­pels eine Män­ner­tour nach Biar­ritz, um mal ganz ent­spannt ein paar Tage auf dem Surf­board zu hocken und die Ruhe zu genie­ßen. Wenn die Wel­le kommt, kommt sie. Wenn sie nicht kommt, kommt sie nicht. Und kei­ner kann etwas dar­an ändern.

Was macht unser Kun­de? Er ver­wei­gert sich der Mode. Aus­ge­laugt und flach­ge­bombt. Wie sag­te Armin Fich­tel, der CEO von S.Oliver kürz­lich in einem Zei­tungs­in­ter­view: Die Mode ist ent­wer­tet. Das trifft des Pudels Kern. Unser Kun­de ist nicht mehr geil auf unse­re Pro­duk­te.

Ver­kauft Mar­ken mit Geschich­te!

Und nun? Kla­mot­ten sind kei­ne Kar­tof­feln. Essen muss man täg­lich, und Essen ist ver­derb­lich. Wie lan­ge hält heu­te eine wär­men­de Jacke? 10 Jah­re? Län­ger! Der wär­men­de Fak­tor kann also nicht der Grund sein sich immer wie­der neue Jacken­Ho­sen­Hemd­enT-Shirts­Was­no­chal­les zu kau­fen. Es ist das feh­len­de Feder­kleid. Der feh­len­de Pelz. Es ist die Attrak­ti­vi­tät, die zählt. Der per­sön­li­che Style. Das Inter­es­sant machen. Die Mög­lich­keit, die eige­ne Beson­der­heit zu zei­gen. Sich abzu­gren­zen oder ein­zu­fü­gen. Etwas aus­zu­sen­den. Eine Posi­tio­nie­rung.

Aber wel­che? Wel­che Posi­ti­on ist die Rich­ti­ge, wenn in der Mode alles erlaubt und kaum etwas ver­bo­ten ist. Wer beant­wor­tet die­se Fra­gen dem End­ver­brau­cher? Unse­rem Kun­den. Das Inter­net? Wohl kaum. Das Inter­net zeigt nur man­nig­fal­ti­ge neue Wege auf.

Wer hilft? Wir!

Wenn in der Bran­che weni­ger Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten stu­diert wür­de und umso mehr Psy­cho­lo­gie, dann wür­de man sich weni­ger mit der LUG und dafür mehr mit der Unsi­cher­heit der Kun­den beschäf­ti­gen. Der Mensch braucht immer jeman­den, der ihn führt. Die meis­ten zumin­dest. Der Mensch will wis­sen, wo es lang­geht. Links Leit­plan­ke, rechts Leit­plan­ke, in der Mit­te eine Linie. Das mag unser Gehirn. Was es nicht mag, ist die über­bor­den­de Aus­wahl. Die müs­sen wir, muss der Fach­händ­ler vor­se­lek­tie­ren. Wenn aber in Wan­ne-Eickel der glei­che Mist hängt wie in Madrid, dann wird es eng.

Der Mensch will etwas sein. Er will etwas dar­stel­len, was ihm unser heu­ti­ges Leben eigent­lich gar nicht mehr ermög­licht. Der Erfolg von Camp David hat in ers­ter Linie gezeigt, dass Die­ter Boh­len ein Vor­bild für vie­le Män­ner ist. Auf­müp­fig. Frech. Stark. Und immer das letz­te Wort. Mit der Camp David-Mas­ke­ra­de sieht man wenigs­tens so aus.

Nie­mand kauft sich eine Har­ley, weil das ein Top-Motor­rad ist. Da müss­ten alle eine lang­wei­li­ge BMW fah­ren. Eine Har­ley steht über der Tech­nik. Sie steht sogar über der Hand­werks­kunst, der vie­le Män­ner, die in die Jah­re kom­men, so sehr frö­nen, dass sie eine rück­wärts­ge­wand­te Sicht ent­fal­ten und gna­den­los alles um das The­ma „Heri­ta­ge“ anbe­ten. Eine Har­ley macht aus einem Weich­ei einen Kerl. Oder nicht? Oder doch?

Tat­sa­che ist, der Glau­ben ver­setzt Ber­ge. Und genau hier muss der Fach­han­del anset­zen und den Kun­den an die Hand neh­men. Ver­kauft Mar­ken mit Geschich­te! Mar­ken mit Geschich­te haben etwas zu erzäh­len. Es gilt, mit den Kun­den, die noch in die Läden kom­men, zu kom­mu­ni­zie­ren. Sie zu begeis­tern. Sie zu bin­den. Genau hier liegt die Chan­ce der Bran­che.

Der Ver­käu­fer ist der alles ent­schei­den­de Unter­schied. Aber er braucht für sei­nen Job Werk­zeu­ge. Genau wie ein Auto­me­cha­ni­ker, der mit einer Was­ser­rohr­zan­ge nicht weit kommt, son­dern ein gan­zes Arse­nal an Werk­zeu­gen braucht. Der Ver­käu­fer braucht als wich­tigs­tes Werk­zeug eine Sto­ry zum Pro­dukt. Wenn er zu einer Mar­ke, die viel­leicht sogar einen wesent­li­chen Anteil zum Umsatz bei­trägt, nichts erzäh­len kann, weil sie mög­li­cher­wei­se gar kei­ne Geschich­te hat, bleibt nichts für das Kun­den­ge­spräch. Auf den Preis kommt er bes­ser nicht zu spre­chen. Da hat die Smart­phone App schon längst einen bil­li­ge­ren Anbie­ter ermit­telt.

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Jc bcrgen wolfJürgen Wolf ist der Erfin­der von Home­boy. Er grün­de­te das Ska­te­wear-Label 1988 und gehör­te damit zu den Street­wear-Pio­nie­ren in Deutsch­land. In den 90er Jah­ren erleb­te Home­boy einen rasan­ten Auf­stieg, in den ver­gan­ge­ne­nen Jah­ren war es fak­tisch vom Markt ver­schwun­den. 2015 hat Wolf Home­boy als Club-Kon­zept wie­der­be­lebt.

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